Solarthermie: Raus aus der Eigenheim-Nische
Der Solarwärmemarkt in Deutschland dümpelt vor sich hin – ungerührt von der Energiewende, wenig beachtet von den Politikern, umso mehr beweint von der Solarindustrie. Ungefähr 1,2 Mio. m2 Sonnenkollektoren ließen sich die Deutschen laut einer Schätzung des Heizungsindustrieverbandes BDH im Jahr 2012 auf ihre Dächer montieren. Das ist ein Rückgang um 5 % im Vergleich zum Vorjahr und gut zwei Fünftel weniger als im Boomjahr 2008.
Weder das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz noch die unsteten Zuschüsse der Bundesregierung konnten die Begeisterung der Hausbesitzer für Solarwärme in den letzten Jahren steigern, wie man im Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Wärmegesetz nachlesen kann. Das Problem: Im Preisvergleich mit einer Gasbrennwertheizung schneidet die Solarthermie noch immer zu schlecht ab, Wärmepreise deutlich über 10 Cent/kWh sind die Regel.
Die Kollektorhersteller haben in den letzten zehn Jahren ihre Fabriken automatisiert und die Stückkosten in der Fertigung gesenkt – von 15 % bis 30 % pro Verdopplung der produzierten Menge, erzählt man sich auf Fachkonferenzen.
Doch beim Verbraucher kommt davon wenig an. Das liegt daran, dass am größten Posten auf der Rechnung, den Rohstoffkosten, kaum zu rütteln ist. Vor allem die Preise für Kupfer und Aluminium, die gängigen Absorbermaterialien, sind in den letzten zehn Jahren stark gestiegen.
Etwa zwei Drittel der Kosten eines Kollektors machen die Rohstoffe mittlerweile aus. Alternativen sind nicht in Sicht. Zwar brachte im vorigen Jahr die israelische Firma Magen den ersten Kunststoffkollektor auf den Markt. Aber wegen seiner geringeren Effizienz ist dieser nicht für Mitteleuropa geeignet, wie der Hersteller einräumt. Es sieht derzeit nicht so aus, als ob es demnächst einen Preissturz bei den Kollektoren geben wird.
Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Die Kollektoren sind gar nicht Schuld an den hohen Preisen. „Selbst wenn man die Kollektoren verschenken würde, würde der Systempreis für den Endkunden nur um 6 % sinken“, sagt Bernd Hafner vom Heiztechnikhersteller Viessmann über die typische Einfamilien-Solaranlage.
Gut die Hälfte des Systempreises kassiert der Installateur für seine Arbeitszeit, wie eine von Hafner erstellte Statistik zeigt. Die Hersteller versuchen mit abgestimmten Komponenten, die sich schneller montieren lassen, die Kosten zu senken, doch ihr Einfluss bleibt begrenzt.
Billig kann Solarwärme nur mit Großanlagen werden. Das zeigen die riesigen Kollektorfelder der dänischen Fernwärmegenossenschaften, die für weniger als 4 Cent/kWh die Wärme der Sonnenstrahlen einfangen.
„Prozesswärme“ lautet das magische Wort, das die Augen der Solarthermieunternehmer in Deutschland wieder leuchten lässt. Bier brauen, Flaschen spülen, Kochen und Destillieren – viele Prozesse in der Industrie brauchen Wärme unter 250 °C. Jährlich kommt so ein Wärmebedarf von 130 TWh zusammen. Den haben Klaus Vajen, Lehrstuhlinhaber für Solar- und Anlagentechnik am Institut für Thermische Energietechnik der Universität Kassel, und seine Mitarbeiter untersucht.
Vajen und sein Team gehen davon aus, dass Solarwärme 16 TWh zu den 130 TWh beisteuern könnte. Das entspricht etwa 40 Mio. m2 Kollektorfläche, mehr als das Dreißigfache des Jahresabsatzes von 2012. Gewerbliche Prozesse wie Autowaschen und Anwendungen in der Landwirtschaft hat Vajen in seiner Studie nicht einmal untersucht.
Doch während für recht viele Privatleute die Solarwärme zu einer modernen Heizung einfach dazugehört, zögern die gewerblichen Kunden. Erst rund ein Dutzend Solaranlagen erzeugt in Deutschland heute schon Prozesswärme für die Industrie – für Brauereien, Lackieranlagen und Galvanikbäder. Hinzu kommen etwa sechzig kleinere Anlagen, vor allem in Gewerbebetrieben.
Das brachliegende Potenzial will die Bundesregierung jetzt mit einer neuen Förderung erschließen. Für Solaranlagen mit bis zu 1000 m2 Kollektorfläche, die Prozesswärme für Industrie, Gewerbe und Landwirtschaft erzeugen, schießt der Staat seit August 2012 im Rahmen des Marktanreizprogramms für erneuerbare Energien bis zur Hälfte der Kosten zu. Das ermöglicht heute bei guten Randbedingungen einen Wärmepreis um 4 Cent/kWh bis 6 Cent/kWh, wie die Prozesswärmespezialisten der Uni Kassel ausgerechnet haben.
Um sich im Preiskampf mit Öl, Gas und Strom messen zu können, müssen die Solarunternehmen auch mit der Förderung an allen Schrauben drehen, die Einfluss auf die Kosten haben: Planung, Montagekosten, Regeltechnik. Oft ist auch die Prozesseinbindung wichtig – nicht nur für die Effizienz, sondern auch um die Kunden zu überzeugen.
Mehrere Pionierfirmen der solaren Prozesswärme kooperieren daher direkt mit Maschinenherstellern. Ritter XL Solar, die Projektierungstochter des Vakuumröhrenkollektorherstellers Ritter Solar, hat sich zum Beispiel mit dem Lackieranlagenhersteller Eisenmann zusammengetan. Ihr erstes gemeinsames Projekt ist eine Lackierstraße für einen Schweizer Heizkörperhersteller.
Auch Forscher befassen sich intensiv mit der Prozessintegration. Sie formulieren anhand der Erfahrungen in ihren Pilotprojekten Leitfäden, die Ingenieuren bei der Planung von Prozesswärme-Solaranlagen helfen sollen.
Im Anfang 2013 angelaufenen Projekt SoProW will ein vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) koordiniertes Konsortium Konzepte entwickeln, um Solarwärme in Wäschereien einzubinden. Ein ähnliches Branchenkonzept für Brauereien hat das Institut für Thermische Energietechnik der Universität Kassel bereits im September 2012 erstellt. Damit wollen sie so schnell wie möglich die Planungskosten senken, denn diese machen heute – anders als bei Installationen zur privaten Nutzung – oft die Hälfte der Investition aus.
Ganz langsam kommt die solare Prozesswärme in Deutschland in Bewegung. Etwa 40 Förderanträge hat das dafür zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle seit Herbst 2012 erhalten, hinzu kommen noch einmal genauso viele Voranfragen. Häufig geht es um Autowaschanlagen und um landwirtschaftliche Projekte – Ferkelmast-
ställe, Orchideenzuchten, Molkereien.
Die typischen Anlagengrößen liegen bei 40 m2 bis 60 m2. Unter den Anfragen gebe es aber auch Projekte mit mehreren 100 m2, sagt Ralph Baller, Leiter des zuständigen Referats am Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Gemessen an dem von Klaus Vajen bezifferten Potenzial ist das fast nichts, verglichen mit dem bisherigen Absatz der Solarwärmebranche allenfalls wenig. Die Solarwärmebranche hofft aber, dass es der erste Schritt eines weiten Wegs ist. EVA AUGSTEN
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