Strom erobert die Haushalte
Wie Elektrizität den Weg von Unternehmen zu privaten Abnehmern gefunden hat, zeigt eine Ausstellung in Recklinghausen. Schrittmacher dabei war die Werbung. Sie hat geholfen, die Akzeptanz des Stroms zu verbessern.
Außer der Wissenschaft interessierte sich Ende des 19. Jahrhunderts kaum jemand für die Elektrizität. „Die Erzeuger standen vor der Frage, wie sie ein unsichtbares und immaterielles Produkt bewerben sollten, um dessen Verkauf anzukurbeln“, erläutert Regina Weber als Kuratorin der Ausstellung „Elektrisierend – Werbung für Strom 1890 bis 2010“ .
Zunächst wurde Strom zur Beleuchtung in Hotels und Gaststätten eingesetzt. Um die Industrie als wesentlich größere Kunden zu gewinnen, wurden nationale und internationale Industrie-, Gewerbe- und Elektrizitätsausstellungen veranstaltet: 1881 in Paris, 1882 in München, 1891 in Frankfurt am Main sowie 1896 in Karlsruhe und Stuttgart. Besonders Frankfurt war als Ausstellungsort wichtig, denn die Stadt wollte ein Elektrizitätswerk bauen. Aber es gab einen Streit um das richtige System: Wechselstrom oder Drehstrom. „Dieser Streit wurde“, so Regina Weber, „auf dieser Ausstellung zugunsten des Drehstroms entschieden.“
Um auch gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, ließen die Unternehmer die Bedeutung solcher Ausstellungen durch Schirmherrschaften aus dem Adel hervorheben. So stand die Stuttgarter Ausstellung für Elektrotechnik und Kunstgewerbe im Sommer 1896 „unter dem Allerhöchsten Protektorate Sr. Majestät des Königs“ gemeint war Wilhelm II. von Württemberg.
In der Recklinghäuser Ausstellung ist als Beispiel für das stolze Selbstbewusstsein der Elektrizitätswirtschaft ein von Ludwig Hohlwein gemaltes Dia zu sehen. Dabei handelt es sich um die Originalvorlage für ein Plakat der Lechwerke AG aus dem Jahr 1913. Ein formatfüllender roter Adler breitet seine Schwingen schützend über das erleuchtete Augsburg. Bereits seit der griechischen Mythologie gilt der Adler als Hoheitszeichen. Die gebündelten Blitze sind Attribut des Göttervaters Zeus. Als Repräsentant des Göttlichen bringt er der Stadt die Elektrizität – die Lechwerke als Teil des göttlichen Gefüges.
Im Haushalt war Licht die erste Anwendung der Elektrizität. Auch hier stand in der Werbung das Erhellende, Erleuchtende, ja Göttliche im Mittelpunkt, das für Sicherheit in den Städten sorgte, indem es die finsteren Ecken erleuchtete. Gepaart wurden allegorische Motive der Plakatkunst zurzeit des Ersten Weltkriegs mit politischer Propaganda. So bediente die Geschäftsstelle für Elektrizitätsverwertung (Gefelek) das Feindbild mit dem Spruch „DEUTSCHES elektrisches Licht ist billiger als amerikanisches Petroleum“.
Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte ab 1921 eine Abteilung der Vereinigung der Elektrizitätswerke (VdEW) neue Formen der Gemeinschaftswerbung. So entstand 1926 nach einem Entwurf von Fritz Julian die erste einheitliche Werbemarke „Elektrizität in jedem Gerät“ die elektrische Leitung eines Steckers umrankt das Schild mit dem Werbespruch. Im Jahr 1927 hatten bereits 350 Unternehmen eine VdEW-Lizenz zur Nutzung der Marke erworben. Es gab das Motiv auch als Emailleschild für die Außenwerbung.
Im Haushalt war Elektrizität ein Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. So richtete sich die Werbung zunächst an Oberschicht und Bürgertum. Sie suggerierte ein leichtes Leben, weil ja die elektrischen „Heinzelmännchen im Haushalt“ die Hausarbeit verrichteten. Nach der Glühlampe eroberte neben Staubsauger und Waschmaschine vor allem der Elektroherd den Haushalt. Der Verbrauch der einzelnen Anwendungen wurde getrennt von Zählern erfasst: Lichtstrom, Bügelstrom, Kochstrom, Starkstrom.
Mit dem System E³ Elektrissima entwickelte das Berliner Versorgungsunternehmen Bewag 1926 ein Ratenzahlsystem, bei dem die Teilzahlungen für elektrische Großgeräte mit der Stromrechnung fällig wurden. In den Genuss dieser ausgewählten Geräte bestimmter Hersteller kamen nur Bewag-Kunden. Der Elektroherd als erstes Großgerät im Haushalt wurde von den Energieversorgern gefördert, um die privaten Haushalte an sich zu binden, damit diese den um die Mittagszeit niedrigen Stromabsatz ausglichen.
In den 1930er-Jahren war der Kühlschrank nicht nur Statussymbol, die Werbung für ihn wurde vielmehr konsequent in die Kampagne zur Lebensmittelressourcenschonung „Kampf dem Verderb“ eingebaut. Im Rahmen der Gleichschaltung der Medien unter den Nationalsozialisten wurde am 12. September 1933 mit dem Gesetz über die Wirtschaftswerbung auch die Werbebranche gleichgeschaltet. Sie hatte die Ideologie der Nationalsozialisten zu transportieren: „Elektrizität dem ganzen Volke – Deutscher Strom für deutsche Arbeit.“ Die im trauten Heim und Familienkreis dargestellte Hausfrau und Mutter war arisch blond, ihr kantiger Mann strotzte vor Kraft. Neben den „Kampf dem Verderb“ trat 1942/43 die Aktion „Kohlenklau“, die an das Energiesparen appellierte und plakativ gegen Stromvergeudung wetterte.
Die Exponate der Ausstellung „Elektrisierend“ stammen zum großen Teil aus dem umfangreichen Fundus des Museums Strom und Leben, das über mehr als 20 000 Werbemittel zur Stromanwendung verfügt, die die Sammlungsleiterin Sabine Oetzel geschickt zu vermehren weiß. Gerade Plakate sind international begehrte Objekte, sodass einige, weil ihre Eigner sie nicht mehr hergeben, extra reproduziert werden mussten. Nicht nur die aktuelle Sonderschau ist unbedingt sehenswert, in der ständigen Ausstellung können sich Liebhaber alter Straßenbahnen, Musikboxen, Küchengeräte, kurz aller elektrischer Geräte, Maschinen und Anwendungen verlieren. Und auch Elektrofahrzeuge, deren Entwicklung die Bundesregierung stärker fördern will, sind im Erdgeschoss des Neubaus vertreten. ECKART PASCHE
Bis 5. September im Umspannwerk Recklinghausen.
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