Klimaziele in Gefahr 06.02.2023, 13:15 Uhr

Studie macht klar: Energiewende kommt zu langsam voran

Die Energiewende kommt zu langsam voran, um die gesetzlichen Klimaziele zu erreichen. Bis 2030 müssten 600 Milliarden Euro investiert werden, so das Ergebnis einer Studie. Die Gründe für den schleppenden Fortschritt sind vielfältig.

Energiewende

Die Energiewende kommt zu langsam voran, um die Klimaziele zu erreichen.

Foto: Panthermedia.net/oliverdelahaye

Im Jahr 2019 hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz verabschiedet, dessen Ziele im Jahr 2021 noch einmal konkretisiert und verschärft worden sind. Demnach soll der Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden. Diese Klimaziele liegen in weiter Ferne, denn bislang kommt die Energiewende zu langsam voran. Zu diesem Ergebnis kommt der „Fortschrittsmonitor Energiewende“, den der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) gemeinsam mit Ernst & Young (EY) veröffentlicht hat.

Klimaziele von Deutschland bis 2030 und darüber hinaus

Deutschlands Weg zur Klimaneutralität ist im Klimaschutzgesetz vom 31. August 2021 vorgezeichnet. Dort steht es Schwarz auf Weiß: Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen im Vergleich zu 2030 um mindestens 65 Prozent sinken. Für das Jahr 2040 wurde ein Minderungsziel von 88 Prozent festgehalten, bis 2045 soll Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Es muss dann also ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgas-Emissionen und deren Abbau herrschen.

Da es nicht nur eine Absichtserklärung, sondern ein Gesetz ist, sollen die Klimaziele kontinuierlich überprüft werden. Und zwar vom Expertenrat für Klimafragen. Erstmals hat der Expertenrat Ende 2022 solch ein Gutachten vorgelegt. Hier wurde bereits deutlich, dass Deutschland seinen selbstgesteckten Zielen hinterherhinkt. Zwar lagen die Emissionen des Energiesektors im Jahr 2021 36 Prozent niedriger als im Jahr 2000, doch das reicht nicht. Ähnlich sieht es in den anderen Sektoren aus. Im Gebäudesektor sanken die Emissionen zwischen 2000 und 2021 um 35 Prozent, in den Sektoren Verkehr und Industrie sieht es noch trauriger aus. Im Verkehrssektor sanken die Emissionen lediglich um 18 Prozent, im Industriesektor sogar nur um 13 Prozent.

Lesen Sie dazu: Klimabilanz – es geht nur langsam voran

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Der Expertenrat kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Emissionsminderung unbedingt beschleunigt werden muss. Als Schwerpunkte wurden Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energieträger sowie eine verstärkte Stromnutzung in Gebäuden, Verkehr und Industrie ausgemacht. Gelingt das nicht, können die Klimaziele nur über andere Hebel erreicht werden. Hier geht es dann zum Beispiel um unser Konsumverhalten. So oder so wird es nach Ansicht der Experten schwierig. Zu ähnlichem Ergebnis kommt die Studie von BDEW und EY, die wir uns nun einmal etwas genauer anschauen.

Viele Gründe für schleppenden Fortschritt der Energiewende

Der Expertenrat für Klimafragen, beauftragt von der Bundesregierung, legt alle zwei Jahre einen Fortschrittsgutachten zur Energiewende vor. BDEW und EY wollen ihren Fortschrittsmonitor Energiewende jährlich aktualisieren. Der Bericht untersucht anhand von Kennzahlen den aktuellen Stand der Energiewende und zeigt, wo die größten Hemmnisse für dieses Jahrhundertprojekt liegen. Der erste Fortschrittsbericht wurde Anfang Februar 2023 veröffentlicht.

Wichtigste Erkenntnis aus dem Bericht: Insbesondere der Ausbau der erneuerbaren Energien bleibt in fast allen Sektoren deutlich hinter den Zielen zurück. So hatte zum Beispiel der Bereich Photovoltaik zwar 2021 die höchste Zubaurate aller Technologien. Dennoch ist es selbst hier fraglich, ob die Zielvorgaben für 2030 erreicht werden. Große Nachholpotenziale gibt es aber auch in den Bereichen Netzausbau und Netzumbau, bei der Digitalisierung und der angepeilten Elektrifizierung des Verkehrssektors.

Damit eine Dekarbonisierung des Wärmesektors spürbar wird, müsste der Studie zufolge, der Anteil der Erneuerbaren an der Wärmeversorgung verdreifacht werden. Zudem müsste der Verbrauch deutlich sinken. Die Gründe für den schleppenden Fortschritt seien vielfältig, unter anderem werden genannt:

  • Alarmierender Fachkräftemangel in allen relevanten Sektoren
  • Mangelnde Verfügbarkeit von Flächen
  • Langwierige und aufwändige Genehmigungs- und Bauverfahren
  • Engpässe bei wichtigen Rohstoffen wie Lithium, Seltene Erden, Kupfer und Silizium

Investitionen von 600 Milliarden Euro bis 2030 notwendig

BDEW und EY kommen in ihrem Fortschrittsbericht zu dem Ergebnis, dass bis 2030 600 Milliarden Euro investiert werden müssen, um die von der Bundesregierung vorgegeben Klimaziele zu erreichen. Das sind jährlich 54 bis 57 Milliarden Euro. Den weitaus größte Investitionsbedarf sieht die Studie beim Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten, hier seien Investitionen von 498 Milliarden Euro notwendig. Hier fallen die erneuerbaren Energien mit 351 Milliarden Euro am heftigsten ins Gewicht, gefolgt vom Ausbau der Stromübertragungsnetze mit 126 Milliarden Euro. Der Aufbau der Erzeugungskapazitäten für klimaneutrale Gase (12 Milliarden Euro) und der Ausbau der öffentlichen Elektro-Ladeinfrastruktur (9 Milliarden Euro) sind hingegen eher günstig.

Diese Ausgaben würden für eine erhebliche Wertschöpfung bei den Herstellern sorgen, EY und BDEW schätzen die Wertschöpfungskette auf 33 Milliarden Euro jährlich. Davon profitieren könnten zum Beispiel Hersteller von Windturbinen, Solarpaneele oder von Prozessanlagen für Elektrolyse von grünem Wasserstoff. Bislang sind wir von den 33 Milliarden Euro jährlich weit entfernt, im Jahr 2021 lag die Wertschöpfung bei etwa 8,6 Milliarden Euro, etwa einem Viertel von dem, was nötig wäre. Insgesamt wurden lediglich 14,5 Milliarden Euro investiert.

„Die Energiewende ist ein Mammutprojekt – und vermutlich das größte Investitionsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik. Bislang aber kommen wir längst nicht so schnell voran, wie es möglich und nötig wäre. Das gefährdet zum einen das Erreichen der für 2030 anvisierten Ziele, zum anderen entfallen dadurch aber auch große Teile der volkswirtschaftlichen Impulse, die mit den nötigen Investitionen verbunden wären. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten wären solche Impulse hoch willkommen, da sie zu nachhaltiger Wertschöpfung und nachhaltigem Wachstum führen können“, sagt Metin Fidan, Partner bei EY und Leiter des Bereiches Green Transformation und Mining & Metals in der Region Europe West.

Leistung bei Photovoltaik muss verdoppelt, bei Onshore-Wind verdreifacht werden

Insgesamt macht Fortschrittsbericht von BDEW und EY wenig Hoffnung, dass die gesetzlich vorgegebenen Ziele erreicht werden. „Um die für 2030 anvisierten Ziele zu erreichen, müsste die installierte Leistung bei Photovoltaik mehr als verdoppelt, bei Onshore-Wind sogar mehr als verdreifacht werden. Dass dies mit der aktuellen Ausbaugeschwindigkeit gelingt, ist höchst unwahrscheinlich“, stellt Fidan fest.

Der BDEW sieht es ähnlich, so meint Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung: „Die Ergebnisse des Fortschrittsmonitors zeigen: Mit dem bisherigen Tempo können die Klimaziele nicht erreicht werden. Es ist verständlich, dass angesichts der aktuellen Krise der Fokus der Politik zuletzt an anderer Stelle lag. Doch mit einer erfolgreichen Energiewende schützen wir nicht nur unser Klima, sondern sie trägt auch dazu bei, unabhängig vom Import fossiler Energieträger zu werden. Die Bundesregierung muss daher nun alle bestehenden Hemmnisse für die Energie- Wärme- und Verkehrswende beseitigen.“

Wie das geschehen soll? Kerstin Andreae macht folgende Vorschläge: „Konkret bedeutet das: Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen, mehr Flächen für erneuerbare Erzeugungsanlagen, Netze und Ladeinfrastruktur bereitstellen, einen Markt für Wasserstoff schaffen und die Weichen für ein Marktdesign stellen, in dem sich auch Investitionen in steuerbare Stromerzeugungskapazitäten lohnen. Die Bundesregierung hat wichtige Verbesserungen auf den Weg gebracht, um Planung und Genehmigung zu beschleunigen. Es muss jedoch noch viel mehr passieren. Das gilt insbesondere für die schnellere Bereitstellung der benötigten Flächen für Erneuerbare Energien.“

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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