Wolfram macht es möglich 02.04.2024, 10:42 Uhr

Südkoreas Fusionsreaktor stellt neuen Rekord auf

Die koreanische „künstliche Sonne“, der Fusionsreaktor KSTAR, hat erneut einen Weltrekord aufgestellt. Dank umfangreicher Modernisierungsmaßnahmen konnte ein 100 Millionen Grad Celsius heißes Plasma fast 50 Sekunden lang stabil gehalten werden. Dies ist eine deutliche Verbesserung gegenüber früheren Leistungen.

Vakuumbehälter KSTAR

Blick in den Vakuumbehälter des Fusionsreaktors.

Foto: Korea Institute of Fusion Energy (KFE)

Die Kernfusion wird oft als der heilige Gral der Energieerzeugung bezeichnet. Sie verspricht eine nahezu unerschöpfliche Quelle sauberer Energie. Die größte Herausforderung besteht darin, das extrem heiße Plasma mit Hilfe von Magnetfelder zu stabilisieren. Der Schlüssel zum jüngsten Erfolg von KSTAR liegt in der Einführung von Divertoren aus Wolfram. Wolfram ist bekannt für seinen hohen Schmelzpunkt. Die neuen Bauteile können daher mit den extremen Temperaturen besser umgehen als ihre Vorgänger aus Kohlenstoff, was eine längere Stabilisierung des Plasmas ermöglicht.

Plasma 48 Sekunden stabil

Der Korea Superconducting Tokamak Advanced Research Reactor (KSTAR) hat gezeigt, dass er ein Plasma, eine extrem heiße Gaswolke, länger als je zuvor einschließen kann. Damit wurde der bisherige Rekord um fast 20 Sekunden übertroffen. Insgesamt konnte das 100 Millionen Grad heiße Plasma für 48 Sekunden stabil gehalten. KSTAR erreichte 2018 erstmals den Meilenstein eines 100-Millionen-Grad-Plasmas. Im Jahr 2021 konnte der Fusionsreaktor die Temperatur für 30 Sekunden aufrechterhalten.

Ziel der Fusionsforschung ist die Gewinnung von Energie durch die Verschmelzung von Atomkernen in Kraftwerken. Die einfachste Fusion unter irdischen Bedingungen findet zwischen den Wasserstoffisotopen Deuterium und Tritium statt. Dabei entsteht ein Heliumkern, ein Neutron wird freigesetzt und große Mengen Energie werden freigesetzt. Zum Vergleich: Ein Gramm dieser Brennstoffe kann so viel Energie erzeugen wie die Verbrennung von 11 Tonnen Kohle, was etwa 90.000 Kilowattstunden entspricht.

Die Brennstoffe für die Fusion, Deuterium und Tritium, sind billig und weit verbreitet. Deuterium kommt in nahezu unbegrenzten Mengen im Meerwasser vor. Tritium, ein radioaktives Gas mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren, kommt in der Natur nur selten vor, kann aber im Kraftwerk aus dem ebenfalls reichlich vorhandenen Element Lithium gewonnen werden. Angesichts der vorteilhaften Umwelt- und Sicherheitseigenschaften, die ein Fusionskraftwerk verspricht, könnte die Fusionsenergie einen nachhaltigen Beitrag zur zukünftigen Energieversorgung leisten.

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Wegbereiter für die Zukunft

Die jüngsten Erfolge von KSTAR sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Nutzung der Fusionsenergie. Sie ebnen zum Beispiel auch den Weg für den Internationalen Thermonuklearen Versuchsreaktor (ITER), der der größte Fusionsreaktor der Welt werden könnte. Wie bereits eingangs geschrieben, sind die Leistungssprünge auf Verbesserungen am Reaktor, insbesondere am Divertor, zurückzuführen. Dieses Bauteil, das nun aus Wolfram besteht, kann den extremen Temperaturen im Reaktor nun besser standhalten.

Der Divertor hat die Aufgabe, die Helium-„Asche“ kontinuierlich aus dem Plasma zu entfernen. Dadurch wird das Erlöschen des Fusionsfeuers verhindert. Die elektrisch neutralen Neutronen hingegen können den durch Magnetfelder erzeugten „Käfig“ um das Plasma problemlos passieren. Sie treffen auf das so genannte „Blanket“, eine Schicht, die das Plasmagefäß umgibt. Dort erzeugen sie aus Lithium Tritium. Das Tritium wird aufgefangen und zusammen mit Deuterium über Zwischenspeicher in das Plasma zurückgeführt.

So kam es zu dem Rekord

Die Installation der neuen Divertoren wurde im vergangenen Jahr abgeschlossen. Zwischen Dezember 2023 bis Februar 2024 erzielte der Fusionsreaktor bei der letzten KSTAR-Plasmakampagne schließlich den neuen Rekord. „Obwohl es sich um das erste Experiment in der Umgebung der neuen Wolfram-Divertoren handelt, konnten wir dank gründlicher Hardware-Tests und Kampagnenvorbereitung in kurzer Zeit Ergebnisse erzielen, die die bisherigen KSTAR-Rekorde übertreffen“, erklärte Si-Woo Yoon, Direktor des KSTAR-Forschungszentrums in einer Pressemitteilung.

Die Leistungsfähigkeit des Divertors bei Temperaturen, die siebenmal so hoch sind wie in der Sonne, musste jedoch noch bewiesen werden. Das Forschungsteam erwartete, dass der Divertor ähnlich funktionieren würde wie ein Divertor auf Kohlenstoffbasis. Es bestand allerdings das Risiko, dass das Wolfram brechen könnte oder dass die neue Struktur kein Plasma erzeugen würde. Nicht nur das Material des Divertors hatte sich geändert, sondern auch seine Form.

„Zu Beginn der Kampagne stieg die Temperatur der Innenwand des Tokamaks nicht gut an“, sagt der KFE-Physiker Hyunseok Kim. Das Forschungsteam konnte sich jedoch schnell an die neuen Betriebsbedingungen anpassen, um das Plasma mit Magnetfeldern zu umspielen.

Schwächen am Rande des Plasmas wurden stabilisiert

Der Wolfram-Divertor war nicht das einzige Upgrade, das zur Leistungssteigerung von KSTAR beitrug. KFE-Forscher, die mit dem Princeton Plasma Physics Laboratory des US-Energieministeriums zusammenarbeiten, beschrieben im Februar in Nature Communications, wie sie einen Weg gefunden haben, Schwächen am Rand des Plasmas zu stabilisieren, die durch winzige Defekte in den Magnetspulen verursacht werden, die das Plasma an Ort und Stelle halten.

Diese Verbesserung führte zu einem zweiten Meilenstein: Das Plasma konnte 102 Sekunden lang in einem hocheffizienten Zustand gehalten werden, dem so genannten Hocheinschluss oder „H-Modus“. Frühere Versuche waren auf wenige Sekunden beschränkt, bevor die Leistung drastisch abnahm.

Im Idealfall würde ein voll funktionsfähiges Fusionskraftwerk bei kritischen Temperaturen im H-Zustand lange genug arbeiten, um eine nachhaltige Energiequelle zu erzeugen. Die nun erzielten Ergebnisse bedeutete einen wichtigen Schritt in diese Richtung.

Bald 300 Sekunden möglich?

Hyeon-seon Han, Plasmaphysiker im KFE-Forschungsteam für Hochleistungsszenarien, erklärt, dass das Team derzeit die neuesten experimentellen Daten prüft, die in die Vorbereitungen für ITER einfließen werden. Außerdem stellt das Team die Ergebnisse für die Veröffentlichung zusammen und plant die nächste Kampagne.

Han hofft, bald die 50-Sekunden-Marke auf dem Weg zum Endziel des Projekts zu durchbrechen: 300 Sekunden Plasmabetrieb bei Temperaturen über 100 Millionen Grad bis Ende 2026.  Das ist sechsmal länger als der derzeitige Rekord von KSTAR und immer noch einige Minuten kürzer als der chinesische Experimental Advanced Superconducting Tokamak (EAST), der im April letzten Jahres fast sieben Minuten lang ein Plasma erzeugen und aufrechterhalten konnte.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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