Wärmewende in der Praxis 18.01.2025, 07:30 Uhr

Transformation der Prozesswärme: Von Erdgas zu Strom und Wasserstoff

Industrielle Prozesse erfordern oft hohe Temperaturen, Prozesswärme steht für zwei Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen. Wie kann man sie dekarbonisieren?

Prozesswärme verursacht zwei Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen. Für Unternehmen gibt es aber Möglichkeiten, diese zu reduzieren. Das Bild zeigt eine Anlage auf dem Gambro-Gelände in Hechingen. Foto: EnBW & Gambro

Prozesswärme verursacht zwei Drittel der industriellen Treibhausgasemissionen. Für Unternehmen gibt es aber Möglichkeiten, diese zu reduzieren. Das Bild zeigt eine Anlage auf dem Gambro-Gelände in Hechingen.

Foto: EnBW & Gambro

Forschung und praktische Ansätze, industrielle Prozesswärme zu dekarbonisieren, gibt es. In Deutschland beschäftigt sich insbesondere das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) mit den Fragen von Technik, Machbarkeit und Voraussetzungen zur Dekarbonisierung der Prozesswärme. In einer „Policy Brief“ genannten Kurzbeschreibung zu einer Veranstaltung fasste das ISI kürzlich den aktuellen Stand zusammen: Demnach entfallen 70 % des jährlichen Energiebedarfs in der Industrie in Deutschland auf die Prozesswärme. Das sind mehr als 400 TWh. Ein Großteil davon wird aktuell durch Erdgas gestellt (40 %), Strom spielt bisher nur eine marginale Rolle (5 %), Wasserstoff ist noch im Erprobungsstadium.

Dabei sind die Temperaturbedarfe in verschiedenen Branchen recht unterschiedlich: Vor allem in der Grundstoffindustrie (Metall) werden 1000 °C und mehr benötigt, während in der Papier-, Lebensmittel- und Teilen der chemischen Industrie weitgehend Dampf oder heißes Wasser eingesetzt wird, um die erforderlichen Temperaturen von 20 °C bis 300 °C zu erzeugen.

Wärmepumpen kommen langsam für industrielle Prozesswärme zum Einsatz

Für die Dampferzeugung existieren bereits industrielle Boiler, die mit Wasserstoff oder elektrisch durch Wärmepumpen versorgt werden. Verfügbar seien Größenordnungen zwischen 0,3 MW und 120 MW, sagt Fraunhofer-Experte Fabian Thalemann. So versorgen zwei 20-MW-Dampferzeuger im Infraserv Industriepark Höchst Frankfurt/Main das 16-bar-Netz. Im Chemiepark Leverkusen wird ein elektrischer Boiler mit 7 MW in Kombination mit einem Superheizer eingesetzt, um Temperaturen zwischen 380 °C und 400 °C für den Dampf zu erreichen, der in das 32-bar-Netz eingespeist wird. „Wärmepumpen sind in zahlreichen Prozessen einsetzbar, vor allem im Mitteltemperaturbereich“, resümiert Thalemann.

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Allerdings sind die Hochtemperaturwärmepumpen (elektrische Druck-Wärmepumpen als geschlossenes System) oft noch nicht für Temperaturen über 160 °C und hohe Dampfdichte ausgelegt und müssen daher technologisch weiterentwickelt werden. International gibt es einige Pilotprojekte zur Skalierung, eine Kommerzialisierung von Anlagen für solch höhere Temperaturen wird erst für 2026/27 erwartet. „Die Heterogenität der bestehenden Anlagen erfordert für einen Switch zu erneuerbaren Energien oder Wasserstoff zudem einen sektorspezifischen Angang für die branchentypischen Produktionsprozesse“, lautet der Befund der Fraunhofer-Wissenschaftler.

Einzelne Unternehmen setzen gezielt auf Innovationen für Transformation der Prozesswärme

Bei einzelnen Industrieunternehmen sammelt man bereits erste Erfahrungen mit der alternativen Bereitstellung von Prozesswärme oder will sich auf den Weg dazu machen. So hat EnBW in Zusammenarbeit mit der Firma Gambro, die an mehreren Standorten in Baden-Württemberg Dialyseprodukte herstellt, ein aus mehreren Phasen bestehendes Dekarbonisierungskonzept entwickelt, das auf der Nutzung von Abwärme basiert. Diese entsteht beim Einsatz von Druckluftkompressoren für die Herstellung der Dialyseprodukte und wurde bisher nicht genutzt, vielmehr wurde mithilfe von Strom rückgekühlt. Ungenutzt blieb bisher auch die Abwärme von heißem Abwasser aus einem der ansässigen Werke. Mithilfe der EnBW wurden hohe Einsparpotenziale identifiziert, um den Wirkungsgrad der eingesetzten Primärenergie wesentlich zu verbessern.

„Die Einsparungen lassen sich sogar noch steigern, indem wir die Temperatur im Heizungsnetz optimieren. Dafür werden wir unter anderem neue Wärmetauscher und größere Pufferspeicher nutzen“, sagt Andreas Hockun, Geschäftsführer der EnBW Contracting GmbH. Für 2026 ist in einem weiteren Schritt die Integration einer Hochtemperatur-Wärmepumpe geplant, die höhere Vorlauftemperaturen ermöglicht. In der letzten Phase soll dann eine komplett klimaneutrale Energieversorgung konzipiert werden, indem die vorher gewonnenen Zählerdaten für die optimale Auslegung der Hochtemperatur-Wärmepumpe genutzt werden.

Geothermie transformiert Prozesswärme bei Papierherstellung

Papierhersteller Kabel Premium Pulp & Paper in Hagen will sein Papier nachhaltig und CO2-arm herstellen. Zur Papiertrocknung wird thermische Energie in Form von Heizdampf benötigt. Rund 12 % der Energie liefert aktuell eine Biomasseanlage, die übrigen 88 % stellt eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage. Der jährliche Erdgasbedarf liegt bei rund 550.000 MWh.

Da sich prozessbedingt der enorme Energieaufwand nicht beliebig weit reduzieren lässt, setzt man auf erneuerbare Energie: direkt am Standort gewonnene Tiefengeothermie. Dafür setzte Kabel Premium Pulp & Paper ein Forschungsprojekt auf. Nach einer Machbarkeitsstudie der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien (IEG) soll eine Anlage mit einer Leistung von ca. 20 MW entstehen, die die Wärme aus 4000 m Tiefe fördert. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) entwickelt dazu ein verfahrenstechnisches Konzept für die Integration in die Papierherstellungsprozesse.

Abwärmenutzung zur CO2-Vermeidung und als Einnahmequelle

Dabei ist die Nutzung der Abwärme eine wichtige Maßnahme zur Verbesserung der CO2-Bilanz. „Die Industrieabwärme, vor allem jene auf höheren Temperaturniveaus, sollte in erster Linie so weit wie möglich wieder den Industrieprozessen zugeführt werden, um dort die Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz zu heben“, betonen die Forscher in ihrem Bericht.

Weil dies aber aus den genannten Gründen noch in den Anfängen steckt, verlegen sich zahlreiche Unternehmen derzeit eher auf die Lieferung von Abwärme für externe Versorgung, zum Beispiel in Industrieparks oder Fernwärme für Haushalte, was eine zusätzliche Einnahmequelle bedeutet. So wird das Stahlwerk von Arcelormittal Wärme an den dortigen Lokalversorger Hamburger Energiewerke liefern. Das gilt auch für den Kupferhersteller Aurubis in Hamburg. Hierfür wurde eigens ein Druckwärmespeicher errichtet.

Wärmespeicher können Transformation im industriellen Wärmesektor beschleunigen

Überhaupt sind Wärmespeicher in der Industrie und bei Energieversorgern ein großes Zukunftsthema, auch wenn der Anteil des Segments Industrie und Gewerbe am deutschen Speichermarkt noch niedrig ist: Der Umsatzanteil 2024 beträgt lediglich 1,5 Mrd. € von insgesamt 15,7 Mrd. €, so vorläufige Zahlen des Bundesverbands Energiespeicher (BVES). Der Verband erwartet jedoch im Zusammenhang mit dem Wasserstoffhochlauf für 2025 ein deutliches Wachstum.

„Wir sehen, dass das Thema Hochtemperaturspeicher immer mehr in den Fokus rückt, weil die Unternehmen mehr Flexibilität brauchen“, berichtet Cedric Fritsch von Kraftblock, einem Start-up, das Hochtemperaturspeicher für die Industrie anbietet. Beim BVES sieht man das genauso. Die Technologie ermögliche es, den Wärmeüberschuss sinnvoll zu nutzen, sie sei aber noch nicht sehr bekannt, erläutert Fritsch. In der Tat setzt die Bundesregierung bisher vor allem auf Elektrifizierung und Wasserstoff – der aber nicht in genügender Menge vorhanden sein wird, um den hohen Bedarf zu decken.

Komplexe Förderbedingungen schrecken Investments ab

Zudem bieten Hochtemperaturspeicher gegenüber der Stromerzeugung aus Wind oder Sonne den Angaben zufolge den Vorteil, dass für sie keine Seltenen Erden benötigt werden. Ausgebremst wird ihr wirtschaftlich attraktiver Einsatz allerdings durch den geltenden regulatorischen Rahmen – etwa durch die Netzentgelte. Dabei, so Fritsch, läge man beim Betrieb mit 4000 bis 5000 Volllaststunden „voll unter dem Gaspreis“. Allerdings findet er die öffentliche Förderung der Anlagen unzureichend.

Diese spielt jedoch eine wichtige Rolle bei den oft kostspieligen Investitionen zur Einführung neuer Technologien. Dazu gibt es verschiedene Programme von Bund und EU, deren Bedingungen und Kriterien allerdings oft sehr komplex sind. Falk Wittmann von der Ingenieur-Consultingfirma Gicon spricht von „Wahnsinn“. Und auch Schossig sagt: „Der Aufwand bei den Förderprogrammen lässt mich manchmal ratlos.“

Investitionsunsicherheit bremst die Transformation bei Prozesswärme aus

Viele, vor allem mittelständische Unternehmen, schrecken angesichts der hohen Strompreise vor den Investitionen zur Dekarbonisierung zurück, so die Erfahrung von Stefan Halmel, Berater für nachhaltige Wärme- und Kältesysteme in der Lebensmittelbranche bei Cerbor Engineering in München: „Wir kriegen sie nicht dazu, dass sie sich bewegen. Und wenn sie sich bewegen, sprechen sie nicht darüber.“ Wenn überhaupt, würden „optische Kleinstmaßnahmen“ gemacht, denn im Mittelpunkt stehe in der Branche der Preiskampf mit den Konkurrenten. „Wir kriegen die Unternehmen ganz schwer zur Elektrifizierung.“ Dass es geht, zeigt eine Fabrik in den Niederlanden, die Kartoffelchips herstellt. Sie hat den Schwenk vom Gas zum Strom bereits vollzogen. Halmel plädiert dafür, als Anreiz Benchmarks für Klimafreundlichkeit einzuführen.

„Die Lage ist ernst, aber nicht hoffnungslos“, konstatiert jedoch Roland Berger von der Ökotec Energiemanagement GmbH. „Vor acht bis neun Jahren wollte keiner das Thema Flexibilitätsmanagement hören, höchstens Lastverschiebung. „Das ist seit etwa zwei Jahren anders.“ Berger führt das Beispiel eines Kaffeerösters in Kanada an, der bereits vollelektrisch röstet, während hierzulande nach wie vor Gas genutzt wird. Berger betont, es müsse „mehr Durchlässigkeit zwischen Wärme und Strom“ geschaffen werden, da gehe auch heute schon bei dem bestehenden Anlagenpark einiges. Peter Schossig vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) ist sich sicher: „Wir werden bald flexible Stromtarife haben.“ Das werde der Balance im Stromnetz helfen und könne so auch höhere Prozesssicherheit bringen.

Ein Beitrag von:

  • Angelika Nikionok-Ehrlich

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