Trinkwassergewinnung auf der Insel setzt auf Latte-macchiato-Effekt
Weltweit sind etwa dreieinhalb Mrd. Menschen auf die Versorgung aus sogenannten Süßwasserlinsen angewiesen, bei denen Trinkwasser in einer dünnen Schicht auf dem Salzwasser schwimmt. Auf der Nordseeinsel Langeoog untersucht die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR), wie empfindlich diese Reservoire auf Umweltveränderungen reagieren.
Wenn Georg Houben die Trinkwasserversorgung der ostfriesischen Insel Langeoog erklären soll, greift er gerne zu einem Glas Latte macchiato. Unter dem Dünensand der Insel schwimme „der Süßwasservorrat auf einer Salzwasserschicht wie der Kaffee auf der Milch im Latte“, sagt Houben. Milch und Meerwasser haben eine höhere Dichte als Kaffee bzw. Süßwasser wenn man beide Flüssigkeiten vorsichtig zusammenführt, vermischen sie sich nicht oder nur geringfügig.
Doch schon geringe Eingriffe in dieses labile Schichtsystem kann zu gravierenden Veränderungen führen: Der weiß-braune Latte wird zum cremefarbenen Milchkaffee beim Wasser entsteht eine brackige und ungenießbare Brühe. Das kann katastrophale Folgen haben: Weltweit leben 500 Mio. Menschen auf Inseln und 3 Mrd. in Küstenbereichen, die für die Trinkwasserversorgung auf Süßwasserlinsen wie unterhalb von Langeoog angewiesen sind.
Um zu ergründen, wie empfindlich diese Wasservorräte auf Einflüsse wie den Klimawandel reagieren, dient die winzige Insel im niedersächsischen Wattenmeer den BGR-Experten als Freilandlabor mit idealen Untersuchungsbedingungen für ein internationales Projekt zur „Erforschung von Süßwasserlinsen“.
Während viele der übrigen ost- und nordfriesischen Inseln mittlerweile über Druckleitungen vom Festland aus mit Frischwasser versorgt werden, ist die Süßwasserlinse für Langeoog die einzige verfügbare Trinkwasserquelle. Über mehr als 100 Jahre ist dokumentiert, wie viel Wasser jährlich der Linse entnommen wurde und wie viele Menschen damit versorgt werden konnten.
Mithilfe der sogenannten Hubschrauber-Elektromagnetik (HEM) in Kombination mit der erdgebundenen transienten Elektromagnetik (TEM) konnten die BGR-Fachleute jetzt die Ausdehnung der Linse unter der 20 km² großen Insel ermitteln: „Es handelt sich um drei Linsen, die etwa 30 m bis 35 m dick sind und zusammen etwa zwei Drittel der Fläche Langeoogs umfassen“, so Houben.
Isotopen-Messungen ergaben, dass das Süßwasser in den unteren Schichten rund 100 Jahre alt ist. In den oberen Schichten, die in erster Linie für die Trinkwassergewinnung genutzt werden, ist das Wasser etwa 20 Jahre alt.
Die Stärke der Linse und das Alter des Wassers zu kennen, ist eine wesentliche Voraussetzung, um das Gefährdungspotenzial beispielsweise durch eine zu starke Wasserentnahme oder eine lang anhaltende Trockenheit zu erkennen. „Süßwasserlinsen entstehen dadurch, dass Regenwasser langsam durch den Sand sickert und sich auf der Salzwasserschicht sammeln kann“, erläutert Houben. Wenn nun zu schnell oder zu viel Trinkwasser abgepumpt wird, droht Salzwasser in die Brunnenschächte einzudringen und sie für lange Zeit unbrauchbar zu machen.
Erhöhte Gefahr in der Urlaubssaison
Auf Langeoog besteht diese Gefahr insbesondere in der Urlaubssaison: Von Frühjahr bis Herbst kommen insgesamt mehr als rund 200 000 Tages- und Übernachtungsgäste auf das Eiland, das selbst nur knapp 1800 Einwohner zählt. Über Jahrzehnte spiegelte sich der wachsende Tourismus auch im Wasserverbrauch wider, stellten die BGR-Experten fest. Von den 1940er-Jahren bis in die 1980er-Jahre wuchs die Grundwasserentnahme von unter 50 000 m³/Jahr auf bis zu 450 000 m³/Jahr.
„Der Tagesverbrauch ist während der Urlauszeit teilweise acht Mal höher als im Winter“, sagt Houben. Dass seit den 1990er-Jahren der Wasserverbrauch rückläufig ist, liege für ihn nicht nur am sorgfältigeren Umgang mit dem kostbaren Nass: „Hier macht sich vor allem auch die Wasserspartechnik zum Beispiel in Waschmaschinen deutlich bemerkbar.“
Allein aus Gründen des Verbrauches müssten sich die Gemeindepolitiker auf Langeoog keine Sorgen um die sichere Versorgung ihrer Insel machen, betont Houben. Auch der Klimawandel hat bislang noch nicht zu einer größeren Trockenheit geführt: „Im Gegenteil, seit rund zehn Jahren werden insbesondere im Winter verstärkt Niederschläge registriert“, so Houben.
Insulaner fürchten Problem der Versalzung
Dennoch fürchten die Insulaner jeden Winter aufs Neue um ihre Süßwasservorräte unter dem Sand. Als Folge des Klimawandels steigt der Meeresspiegel langsam an außerdem erreichen stärkere Sturmfluten eine größere Höhe – so besteht die Gefahr, dass Salzwasser von oben in die Süßwasserlinse läuft und das Trinkwasser unbrauchbar macht: „Im 17./18. Jahrhundert ist das einmal passiert, die damals betroffenen Brunnen sind bis heute nicht mehr nutzbar“, weiß Houben.
Auf Langeoog ließe sich das Problem der Versalzung im Katastrophenfall noch mit einer Wasserleitung vom Festland aus lösen. „Langeoog ist gewissermaßen das Labor, das uns die Erkenntnisse für den richtigen Umgang mit diesen Wasservorkommen liefert“, sagt Houben. Andere Insel- und Küstenbereiche auf der Erde sind nicht so gut ausgestattet. Für viele Menschen im vietnamesischen Mekong-Delta und in den Industrieregionen an der Küste Chinas kommt das Wissen schon zu spät: „Dort sind die Süßwasservorräte bereits durch Salzwassereinbrüche zerstört“, weiß Houben.
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