Wasserstoff marsch! 26.06.2023, 09:57 Uhr

Turbo-Mechanismus macht Methylformiat zum idealen chemischen Wasserstoffspeicher

Ein Team des Leibnitz-Institut für Katalyse in Rostock hat untersucht, wie gut sich Methylformiat als Alterative zu Ammoniak, Ameisensäure oder Methanol für die chemische Speicherung von Wasserstoff eignet. Die Ergebnisse sind überraschend, ein Turbo-Mechanismus könnte einiges verändern.

Methylformiat als H2-Speicher

Methylformiat als H2-Speicher: Wasserstoff wird am LIKAT aus einem einfachen Ester gewonnen.

Foto: Nordlicht / LIKAT

Wenn es um nachhaltige Energiekonzepte geht, steht Wasserstoff in der ersten Reihe. Allein die Speicherung ist problematisch, da das Gas flüchtig und explosiv ist. Chemie-Labore auf der ganzen Welt suchen daher nach Lösungen für die Wasserstoffspeicherung. Auch das Leibnitz-Institut für Katalyse (LIKAT) in Rostock. Das Team um Dr. Henrik Junge wirft im Journal NATURE Catalysis den Methylester der Ameisensäure in den Ring. Sie sehen Metyhlformiat als mächtige Ergänzung zu Ameisensäure und Methanol. Diese beiden Substanzen gelten schon länger als potenzielle Wasserstoff-Speichermedien. In einem Punkt lässt Methylformiat die beiden bisherigen Platzhirsche weit hinter sich: In der Geschwindigkeit, mit der das einfache Ester den Wasserstoff wieder freigibt.

Was ist Methylformiat?

Methylformiat, auch bekannt als Ameisensäuremethylester oder Methansäuremethylester, ist eine chemische Verbindung mit der Summenformel C2H4O2 und einer molaren Masse von 60,05 g/mol. Es handelt sich um den einfachsten Vertreter der Methyl-Ester der Ameisensäure. Methylformiat ist eine farblose, leicht flüchtige Flüssigkeit mit geringer Oberflächenspannung.

Es kann in begrenztem Umfang mit Wasser gemischt werden (~1:3), wobei diese Mischungen relativ schnell in umgekehrter Reaktion zu Methanol und Ameisensäure zerfallen. Auf globaler Ebene zählt Methylformiat zu den Massenchemikalien und hat eine jährliche Produktionsmenge von etwa sechs Millionen Tonnen.

Methylformiat wird in verschiedenen Anwendungen eingesetzt. Es fungiert als Lösungsmittel für Fette und Acrylharze, dient als Kältemittel und wird auch als Zwischenprodukt in organischen Synthesen verwendet. Derzeit wird es meist noch unter hohem Druck aus Methanol und Kohlenmonoxid hergestellt, wobei fossile Rohstoffe als Ausgangsmaterialien verwendet werden. Es geht aber auch anders.

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Nachhaltige Methylformiat-Produktion

Auch wenn eine Methylformiat-Produktion auf fossiler Rohstoffbasis heute noch Standard ist, lässt sich die Flüssigkeit heute auch bereits nachhaltig produzieren. Das geschieht katalytisch mit Hilfe von CO2 aus der Luft, Wasserstoff und Methanol, das ebenfalls bereits längst mittels CO2 produziert werden kann.

„Somit ist unser Vorschlag, Wasserstoff chemisch in Methylformiat zu speichern, CO2-neutral und erfüllt die Kriterien einer Kreislaufwirtschaft“, sagt Prof. Dr. Matthias Beller, LIKAT-Direktor und einer der Hauptautoren des NATURE CATALYSIS-Papers. Bei der Freisetzung des Wasserstoffs entsteht am Ende nur so viel Kohlendioxid, wie zuvor bei der Speicherung in Methylformiat verwendet wurde. Ein Nullsummenspiel sozusagen.

Wann lohnen sich chemische Wasserstoffspeicher?

In einer klimaneutralen Energiewirtschaft bieten sich chemische Speicher für Wasserstoff insbesondere dort an, wo Wind und Sonne mehr Strom liefern, als gerade für den Bedarf benötigt wird. Anstatt den Strom in einer herkömmlichen Batterie zu speichern, wird dieser über Elektrolyse in grünen Wasserstoff umgewandelt. Er wird zu diesem Zweck katalytisch umgewandelt.

Der Vorteil: In Form von Wasserstoff lässt sich Strom dauerhaft und verlustfrei speichern. Bei Bedarf kann der Wasserstoff aus dem Speicher wieder chemisch freigesetzt werden, um Brennstoffzellen oder andere Energiesysteme mit Energie zu versorgen. Wie gerade gelernt, lässt er sich zudem für die Herstellung von Methylformiat verwenden.

Vorteile von Methylformiat als Wasserstoffspeicher

Bislang kannten wir insbesondere Ameisensäure, Methanol und Ammoniak als chemische Wasserstoffspeicher. Allerdings gibt es hierbei den einen oder anderen Nachteil: „Methanol und Ammoniak weisen zwar einen ausreichend hohen Wasserstoffgehalt auf“, erläutert Dr. Henrik Junge, „wurden aber durch UN-Gremien als giftig und brennbar eingestuft.“ Bleibt noch Ameisensäure, die jedoch über eine etwas geringere Wasserstoffdichte als Metyhlformiat verfügt. Zudem ist die Substanz ungiftig und daher unproblematisch im Umgang.

Vor 15 Jahren konnten Chemiker des LIKAT erstmals Wasserstoff aus Ameisensäure gewinnen – und zwar bei niedrigen Temperaturen bis runter zur Zimmertemperatur. Diese Möglichkeit ebnete den Weg für eine praktikable chemische Speicherung dieses für die Energiewende wertvollen Elements und gab der weltweiten Forschung auf diesem Gebiet einen bedeutenden Schub.

Dr. Junge: „Auf der Suche nach weiteren H2-Quellen lag es nahe zu schauen, inwieweit sich auch Methylformiat als Speicher eignet, das ja aus Ameisensäure und Methanol unter Wasserabspaltung entsteht.“ Bislang hatte es nur noch niemand getan.

Methylformiat setzt Wasserstoff besonders machtvoll frei

Chemisch betrachtet ist die Freisetzung von Wasserstoff aus einem Gemisch aus Methylformiat und Wasser eine Dehydrierungsreaktion. Am LIKAT wird diese Reaktion in einem Druckreaktor unter Verwendung eines Ruthenium-Katalysators durchgeführt. Die Menge des produzierten Wasserstoffgases kann genau aus dem Druck abgelesen werden, der im Reaktor entsteht.

In den Versuchsreihen wurde festgestellt, dass Ameisensäure unter den gegebenen Bedingungen den Wasserstoff wesentlich langsamer freisetzt. Dr. Junge: „Bei wässrigem Methanol läuft die Freisetzung etwas schneller, stoppt aber bald, indem sich das chemische Gleichgewicht einstellt.“ Das ging beim Methylformiat-Wasser-Gemisch sehr viel schneller, der Druck schoss sofort und deutlich in die Höhe. „Das war überraschend und im Grunde nur zu erklären, wenn wir der Reaktion einen bislang unbekannten Mechanismus unterstellten.“

Schnelle Freisetzung hat Auswirkungen auf die Praxis

Methylformiat setzt den Wasserstoff 20-mal schneller frei als Methanol und 5-mal schneller als Ameisensäure. Diese Werte haben Auswirkungen auf die spätere praktische Anwendung. Dr. Junge erklärt: „Wer mit seinem Verfahren einen Energieträger um den Faktor 20 schneller als üblich bereitzustellen vermag, kann z.B. seine Anlage entsprechend kleiner planen oder mehr Nutzer als geplant versorgen.“

Die LIKAT-Chemiker sichern sich die Praxisrelevanz ihrer Arbeit durch die Zusammenarbeit mit der APEX-Group, einem Unternehmen in Rostock-Laage, das sich auf Wasserstofftechnologien spezialisiert hat. Als Ergebnis dieser Zusammenarbeit wurden zwei Patente angemeldet.

Auf der Suche nach dem Turbo-Mechanismus

„Wer solche überraschenden Werte vorweist, muss auch in der Lage sein, den molekularen Mechanismus dahinter aufzudecken“, wie Dr. Junge sagt. Die Forschergruppe am LIKAT diskutierte ihre Befunde mit den Theoretikern, die am Institut tätig sind. Die Berechnungen zu den Reaktionen lieferten wiederum wichtige Hinweise für neue Laborexperimente.

Die Gruppe führte Untersuchungen zu den Zwischenprodukten der Reaktion, den sogenannten Intermediaten, durch. Dabei kamen Methoden wie die Kernspinresonanzspektroskopie (NMR) und die Röntgenstrukturanalyse zum Einsatz.

Ein wichtiger Beitrag dazu wurde von Dr. Elisabetta Alberico vom Forschungsinstitut für Chemie und Molekularbiologie in Sassari, Sardinien, geleistet. Sie war als Gastwissenschaftlerin am LIKAT in Rostock tätig. Ihr gelang es, die spezifischen Arten im Katalysezyklus zu identifizieren, die die Freisetzung von Wasserstoff beschleunigen und eine entscheidende Rolle in der Reaktion spielen. Diese Erkenntnisse sind von großer Bedeutung, um den chemischen Prozess zu optimieren.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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