Alten Anlagen droht Abschaltung 02.08.2013, 13:59 Uhr

Unrentabel: RWE überprüft jedes Kraftwerk

Der Energiekonzern RWE überprüft derzeit die Rentabilität seiner Kraftwerke und leidet selbst bei den bislang profitablen Braunkohlekraftwerken unter schwindenden Erträgen. „Beim derzeitigen Preisniveau bekommen wir auch bei der Braunkohle ein Problem, vor allem bei den älteren Anlagen“, sagte Matthias Hartung, Vorstandsvorsitzender des Kraftwerksbetreibers RWE Generation SE, den VDI nachrichten. „Diese Anlagen haben massive Schwierigkeiten, ihre Vollkosten zu verdienen.“

RWE-Vorstand Matthias Hartung (m.) beklagt Renditeprobleme bei der Stromerzeugung aus Braunkohle und fordert eine Änderung des EEG.

RWE-Vorstand Matthias Hartung (m.) beklagt Renditeprobleme bei der Stromerzeugung aus Braunkohle und fordert eine Änderung des EEG.

Foto: RWE AG

Hartung geht davon aus, dass RWE um weitere Kraftwerksschließungen nicht herum kommt. „Wir finden momentan Marktrahmenbedingungen vor, die nicht in die Zukunft führen“, so Hartung und verweist auf Wettbewerber, die bereits Kraftwerksschließungen beantragt haben. „Wir nähern uns damit einem Punkt, bei dem die Versorgungssicherheit nicht mehr jederzeit gewährleistet werden kann. Als Industriestandort können wir das in Deutschland nicht vertragen.“

Die Bundesregierung müsse kurzfristig handeln und die Rahmenbedingungen verändern. „Allen ist klar, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, reformiert werden muss: Wir brauchen auch dringend Klarheit über das künftige Marktdesign. Wenn Investoren, die zum Beispiel für neue Gaskraftwerke Hunderte von Millionen Euro in die Hand genommen haben, mit den Anlagen aber nichts mehr verdienen können, dann ist das ein verheerendes Signal für die europäische und deutsche Energiepolitik“, kritisiert Hartung. „Unter den heutigen Umständen investiert kaum einer. Das ist unerfreulich und kontraproduktiv für unseren Wirtschaftsstandort vor allem in Zeiten einer anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise.“

Hier lesen Sie das Interview im Wortlaut:

VDI nachrichten: Herr Hartung, wie sieht es für RWE Generation derzeit als Betreiber von Kraftwerken aus? Wie ist das Umfeld für Investitionen?

Hartung: RWE verfügt als Ausgangspunkt für die Energiewende über einen modernen, hocheffizienten Kraftwerkspark. Wir haben in den letzten Jahren in die konventionelle Stromerzeugung 12 Mrd. € investiert, 12 000 MW neue Kraftwerkskapazitäten errichtet und damit 25 % des konventionellen Kraftwerksparks erneuert. Nur machen uns die Großhandelspreise zurzeit wenig Freude. Auch in erneuerbare Energien hat RWE viel investiert, vor allem auch in Offshore-Windkraft – aber auch bei den Erneuerbaren bereiten uns die unklaren politischen Rahmenbedingungen derzeit Sorgen.

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Momentan sehen wir – bei der Entwicklung der Großhandelsstrompreise – nur eine Richtung, und die ist nach unten. Vor anderthalb bis zwei Jahren hatten wir noch ein Preisniveau bei 55 €/MWh bis 60 €/MWh. Heute liegen wir bei unter 38 €/MWh. Auch wir haben in neue Gaskraftwerke investiert, knapp die Hälfte der von uns neu installierten 12 000 MW. Teilweise verdienen diese Anlagen noch nicht einmal ihre Betriebskosten. Das heißt, wir betreiben diese Kraftwerke und legen noch Geld drauf.

Stehen Sie vor der Entscheidung, Kraftwerke in Kaltreserve zu stellen?

Wir sehen uns in unserem Portfolio Kraftwerk für Kraftwerk an und entscheiden dann über den Weiterbetrieb. Das gilt für alle unsere Kraftwerke, nicht nur in Deutschland und in den Niederlanden, wo die Folgen der deutschen Energiewende spürbar sind, aber auch in Großbritannien. Wir finden momentan Marktrahmenbedingungen vor, die nicht in die Zukunft führen.

Auch unsere Mitbewerber gehen – wie Presseverlautbarungen zu entnehmen ist – ähnlich vor, auch sie stehen vor Stilllegungsentscheidungen oder haben sie schon getroffen. Wir nähern uns damit einem Punkt, bei dem die Versorgungssicherheit nicht mehr jederzeit gewährleistet werden kann. Als Industriestandort können wir das in Deutschland nicht vertragen.

Beim jetzigen Preisniveau lohnt sich Kohleverstromung in Altanlagen nicht

Braunkohlekraftwerke rechnen sich aber derzeit noch?

Beim derzeitigen Preisniveau bekommen wir auch bei der Braunkohle ein Problem, vor allem bei den älteren Anlagen. Dies sind, nachdem wir bis Ende 2012 unsere 150-MW-Blöcke stillgelegt haben, heute die 300-MW-Blöcke, deren Wirkungsgrade natürlich nicht so hoch sind wie die der neuen Blöcke mit der BoA-Technologie. Diese Anlagen haben massive Schwierigkeiten, ihre Vollkosten zu verdienen.

Aber die niedrigen Preise für CO2-Zertifikate sind doch derzeit ein Vorteil für RWE als Betreiber von Braunkohlekraftwerken, oder?

Auch wenn wir momentan sehr niedrige CO2-Preise haben mit Tiefstwerten von um die 4 €/t, sind wir davon überzeugt, dass das EU-Emissionshandelssystem ETS funktioniert. Wenn die Preise jetzt niedrig sind, dann ist das Ausdruck der gegenwärtigen Marktsituation. Das von der EU-Kommission gesetzte CO2-Mindestziel bis 2020 wird ja eingehalten, dafür wurde das ETS aufgesetzt.

Deshalb halten wir auch einen kurzfristigen Markteingriff – Stichwort Backloading – prinzipiell nicht für zielführend. Für uns als Investor ist vielmehr wichtig, eine Perspektive aufgezeigt zu bekommen: Was ist nach 2020? Was ist 2030? Was ist das neue Ziel und wie sieht ein System aus, um es zu erreichen? Wenn jetzt einmalige regulatorische Eingriffe erfolgen, indem wie beim Backloading – wenn auch nur vorübergehend – Zertifikate aus dem Markt genommen werden, dann fehlt den Investoren immer noch die langfristige Perspektive,die Planungssicherheit.

Das EU-Parlament hat in einer neuen Kompromisslinie zum Backloading beschlossen, etwa 900 Mio. CO2-Emissionszertifikate für zwei Jahre vom Markt zu nehmen. Auch das ist Ihrer Meinung nach nicht zielführend?

Es ist jedenfalls keine Antwort auf die Frage, wie es langfristig weitergehen soll mit dem ETS. Das ist ein momentaner Eingriff ins System und steigert das Vertrauen von Unternehmern und Investoren in die Politik nicht. Wir sprechen uns dafür aus, die langfristigen Minderungsziele für die Zeit nach 2020 schon heute auf die Agenda zu setzen.

Hartung: Das EEG muss reformiert werden

Sehen Sie das Vertrauen der Investoren in die Energiepolitik als stark gestört an?

Im Moment ist es sicherlich ein Stück erschüttert. Allen ist klar, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, reformiert werden muss: Wir brauchen auch dringend Klarheit über das künftige Marktdesign insgesamt in der Energiebranche. Wenn Investoren, die zum Beispiel für neue Gaskraftwerke Hunderte von Millionen Euro in die Hand genommen haben, mit den Anlagen nichts mehr verdienen können, dann ist das ein verheerendes Signal für die europäische und deutsche Energiepolitik.

Wie soll die Klarheit aussehen, die Sie sich wünschen?

Es ist gar nichts grundsätzlich Neues: Wir agieren im energiewirtschaftlichen Zieldreieck aus Bezahlbarkeit, Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit. Das ist nach wie vor ein vernünftiges Prinzip.

Für jedes dieser Ziele gibt es unserer Ansicht nach ein geeignetes Instrument: ein neues Strommarktdesign zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit, das ETS mit einem Reduktionspfad zur Erreichung der CO2-Minderungsziele für die Nachhaltigkeit und eine Reform des EEG, damit die Strompreisentwicklung kalkulierbar bleibt.

Unter den heutigen Umständen investiert kaum einer. Die Industrie sorgt sich um die Ausnahmeregeln bei der EEG-Umlage die Privathaushalte sind in Sorge, wie sie die anhaltenden Preiserhöhungen bezahlen können. Das ist unerfreulich und kontraproduktiv für unseren Wirtschaftsstandort vor allem in Zeiten einer anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise.

RWE Innogy betreibt in den USA ein großes Pelletwerk, in Europa werden damit Kohlekraftwerke der RWE Generation im Cofiringbetrieb gefahren. Wie steht es um diesen Bereich?

Die in den USA hergestellten Pellets werden vor allem im Steinkohlekraftwerk im niederländischen Amer mitverfeuert. Die Anlage in Waycross in Georgia läuft gut, da wir unsere Pellets auch am Markt verkaufen.

Investitionen in kleine Biomasseanlagen lohnen sich derzeit nicht

Ist das derzeit ein profitables Geschäft?

Auch das Biomassegeschäft ist volatil. Alles, was man derzeit im Energiemarkt betrachtet, leidet ein Stück weit unter den niedrigen Preisen. Investitionen in kleine Biomasseanlagen rechnen sich derzeit nicht oder haben hohe Risiken. Am Cofiring von Biomasse in Kohlekraftwerken wollen wir festhalten, aber wir müssen Spitz auf Knopf rechnen und Anlage für Anlage entscheiden, ob wir investieren, ob wir weitermachen oder nicht.

Von diesen niedrigen Strompreisen bleibt ja kein Bereich verschont, auch zum Beispiel unsere Pumpspeicherkraftwerke nicht. Es ist einfach kein Investitionsklima. Es wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, dass sich Pumpspeicherkraftwerke nicht rechnen könnten.

Apropos Investitionsentscheidungen: Wie sieht es mit Innovationen aus?

Unsere finanzielle Situation als Erzeugungsgesellschaft kann man durchaus als dramatisch bezeichnen. Dennoch investieren wir weiter in Forschung und Entwicklung, auch wenn derzeit finanziell nur wenig Spielraum besteht. RWE hat in Forschung und Entwicklung von Carbon Capture & Storage (CCS), dem Abscheiden und Speichern von Kohlendioxid aus dem Rauchgas der Kraftwerke, investiert. Welche Perspektive sehen Sie derzeit für diese Technologie?

Dies ist auch ein Thema der niedrigen CO2-Preise und CCS ist erst jenseits von 30 €/t wirtschaftlich. Aus langfristiger Sicht werden aber die Kohlendioxidemittenten, weder Stromerzeuger noch Industrie, an CCS vorbeikommen. Die Frage ist: Wann ist es so weit? Als die CO2-Preise höher waren, sind wir vom Anfang bis Mitte der nächsten Dekade ausgegangen. Heute gehen wir davon aus, dass CCS erst sicher in der übernächsten Dekade kommen wird.

Wir setzen unsere Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten aber fort, Großprojekte gehen wir jedoch nicht an. Unabhängig von CCS war für uns wichtig, dass wir bei den jüngsten Neubauten in Sachen CO2-Minderung durch Wirkungsgradverbesserung nochmals einen großen Schritt nach vorne gemacht haben.

Die Braunkohle am Rhein reicht noch vier Jahrzehnte

Braunkohle ist der einzige in großem Maße zur Verfügung stehende heimische Energierohstoff in Deutschland. Wie sieht es dort mit Investitionsentscheidungen aus?

Tagebau und Kraftwerk sind bei der Braunkohle ein Pärchen. Wir haben im Rheinischen Revier über 3 Mrd. t Braunkohle in genehmigten Lagerstätten im Zugriff. Das langt für die nächsten drei bis vier Jahrzehnte. Daher entwickeln wir auch unser Kraftwerksprojekt BoAplus weiter.

Aber auch dort gilt: Wenn wir heute eine Investitionsentscheidung auf Basis der bestehenden Preise im Energy-only-Market treffen müssten, würde sich ein solches Kraftwerk nicht rechnen. Da wir aber davon überzeugt sind, dass in Zukunft Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit im Markt eine Rolle spielen werden, entwickeln wir das Projekt weiter.

Gibt es Planungen für neue Braunkohletagebaue?

Nein, die gibt es nicht. Was neue Tagebaue angeht, das sollten jene Generationen entscheiden, die es nachher betrifft. Das ist eine Frage des Gemeinwohlinteresses und die zukünftigen Generationen werden entscheiden müssen, ob dann die energiewirtschaftliche Notwendigkeit gegeben ist.

Welches Stilllegungskonzept verfolgen Sie bei Ihren Kernkraftwerken: den sicheren Einschluss oder einen Rückbau?

Wir haben mit beiden Rückbaukonzepten operative Erfahrung. Beim Thoriumhochtemperaturreaktor in Hamm haben wir den sicheren Einschluss gewählt, in Mülheim-Kärlich bauen wir zurück. Da gehen wir ergebnisoffen in unsere Entscheidungen hinein. Die Gretchenfrage lautet: Ab wann steht Schacht Konrad zur Verfügung, den wir dringend für den Rückbau brauchen. Wie geht es mit diesem Endlager weiter?

Endlagersuche: Das sehen wir uns primär nicht in der Pflicht

Inwieweit hat das Urteil zum Zwischenlager beim Kernkraftwerk Brunsbüttel (Betreiber: Vattenfall) Einfluss auf Ihre Pläne?

Zunächst müssen wir die Urteilsbegründung genau prüfen. Unsere Zwischenlager sind aber rechtskräftig genehmigt, von daher sind wir zuversichtlich, dass es für uns aus dem Brunsbüttel-Urteil keine negativen Implikationen für unsere Standorte gibt. Die genehmigten Zwischenlager reichen für die Brennelemente unserer Anlagen jeweils aus.

Die Betreiber der Kernkraftwerke in Deutschland und damit auch RWE sollen die ergebnisoffene Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle maßgeblich bezahlen …

Zunächst: Wir haben sehr viel investiert in Gorleben, aber bislang kein Sachargument erläutert bekommen, warum Gorleben als Standort nicht geeignet ist. Gorleben ist im Standortsuchgesetz nach wie vor enthalten, das ist zu begrüßen. Wenn die Politik jetzt entscheidet, das Verfahren noch einmal komplett und ergebnisoffen zu prüfen, dann ist natürlich erst einmal die Frage, wer die Kosten trägt, zu beantworten. Da sehen wir uns primär nicht in der Pflicht.

Ein Beitrag von:

  • Stephan W. Eder

    Stephan W. Eder

    Redakteur VDI nachrichten
    Fachthemen: Energie, Energierohstoffe, Klimaschutz, CO2-Handel, Drucker und Druckmaschinenbau, Medien, Quantentechnologien

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