Versorgungssicherheit: Neuer Taktgeber fürs Stromnetz gefunden
Forschende der ETH Zürich haben neue Algorithmen entwickelt, die das europäische Stromnetz auch ohne konventionelle Großkraftwerke stabil halten können. Sie helfen dabei, dass künftig Wechselrichter die Taktgeber im Stromnetz sind. Damit sind sie ein Garant für Versorgungssicherheit – auch wenn immer mehr Wind- und Solarkraftwerke den Strom liefern.

Wechselrichteranlagen sind durchaus groß – manchmal sogar vergleichbar mit Kathedralen. Vor allem, wenn sie wie in diesem Beispiel zwei Wechselstromnetze miteinander verbinden und Kühlelemente benötigen.
Foto: Courtesy of Hitachi Energy
Die Umstellung der europäischen Stromversorgung auf erneuerbare Energien stellt nicht nur hohe Anforderungen an die Erzeugungskapazitäten von Wind- und Solarkraftwerken, sondern bringt auch erhebliche Herausforderungen für das Stromnetz mit sich. Bisher sorgten die Generatoren konventioneller Großkraftwerke wie Wasser-, Kohle- und Atomkraftwerke mit ihrer einfachen und trägen Mechanik für einen stabilen Wechselstromtakt im Netz. Doch wenn diese Kraftwerke im Zuge der Energiewende nach und nach vom Netz gehen, muss jemand diese Aufgabe übernehmen. Eine Lösung ist bereits gefunden: Künftig sollen elektronisch gesteuerte Wechselrichter es im Netz regeln. Doch diese Komponenten müssen speziell geschützt werden, unter anderem vor Netzfehlern wie Spannungseinbrüchen und Kurzschlüssen. Zugleich muss weiterhin ein stabiler Netzbetrieb gewährleistet werden. Es handelt sich also um eine durchaus komplexe Herausforderung. Doch genau dafür hat das Forschungsteam um Florian Dörfler von der ETH Zürich jetzt eine Lösung gefunden.
So kommt Windenergie aus der Nordsee in den Süden
Der Schlüssel liegt in neu entwickelten Algorithmen, mit denen netzbildende Wechselrichter intelligent geregelt werden können. Diese Wechselrichter wandeln den von Wind- und Solarkraftwerken erzeugten Gleichstrom in Wechselstrom um und speisen ihn synchron zum Takt des Netzes ein. Bisher orientierten sich die Wechselrichter lediglich am vorgegebenen Takt, den die großen Generatoren der konventionellen Kraftwerke vorgaben. Doch wenn diese Taktgeber zunehmend wegfallen, müssen die Wechselrichter aktiv dazu beitragen, den Takt stabil zu halten. Genau das ermöglichen neue Algorithmen, die Dörflers Team entwickelt hat.
Algorithmen stabilisieren Stromnetz auch bei Störungen
Eine besondere Herausforderung bestand darin, die netzbildenden Wechselrichter auch bei Netzfehlern wie Kurzschlüssen oder Spannungseinbrüchen weiterbetreiben zu können, ohne dass sie durch Überlastung beschädigt werden. Bisher mussten sich Wechselrichter in solchen Fällen zum Selbstschutz vom Netz trennen, da sie sonst versuchen würden, die fehlende Spannung durch eine hohe Stromabgabe auszugleichen und dabei innerhalb von Millisekunden zerstört würden. Die intelligente Regelung mit den neuen Algorithmen macht es nun möglich, dass Wind- und Solarkraftwerke auch bei Netzfehlern am Netz bleiben, weiterhin Strom liefern und so aktiv zur Stabilisierung der Netzfrequenz beitragen. Das bislang rigorose Abschalten entfällt in Zukunft und die Wechselrichter sind mit Unterstützung der Algorithmen in der Lage, die Rolle der klassischen Großkraftwerke zu übernehmen.
Der entscheidende Ansatz bestand darin, bei Netzfehlern die Netzspannung und die Frequenz des Wechselstroms unabhängig voneinander zu behandeln. Entwickelt wurde diese Idee von Maitraya Desai, einem Masterstudenten in Dörflers Team, der mittlerweile an der ETH promoviert. Der neue Regelalgorithmus konzentriert sich bei Netzfehlern darauf, die Taktfrequenz unter allen Umständen stabil zu halten, indem er den Strom begrenzt und so eine Überlastung des Wechselrichters verhindert. Die Spannung hingegen darf in solchen Situationen weiterhin frei schwanken.
Stabiles Stromnetz: Neue Algorithmen lassen sich direkt implementieren
Die Algorithmen entstanden zunächst durch theoretische Berechnungen. Im Anschluss testeten die ETH-Forschenden diese in Computersimulationen und sogar in einer kleinen Laboranlage. Die Ergebnisse waren durchweg positiv. Ein weiterer Pluspunkt: Es handelt sich bei diesen Algorithmen um Softwareverbesserungen. Das gibt der Industrie die Möglichkeit, die neuen Algorithmen direkt in ihre Steuerungssoftware für Wechselrichter zu integrieren. Aufwendige Demonstrationsanlagen sind nicht erforderlich. Florian Dörfler plant eine enge Zusammenarbeit mit Industriepartnern, die ihr Interesse bekunden. Und auch die Studierenden an der ETH sollen von dem Projekt weiterhin profitieren: Dörfler möchte sie im Rahmen von Masterarbeiten daran beteiligen. So könnten sie direkt in den Unternehmen den neuen Ansatz in die Produkte der Hersteller integrieren.
Mit den neuen Regelalgorithmen steht nun ein vielversprechender Ansatz zur Verfügung, um die Stabilität des Stromnetzes auch bei einem hohen Anteil erneuerbarer Energien zu gewährleisten und das Risiko von Blackouts zu verringern. „Wir und andere forschen seit 15 Jahren auf diesem Gebiet“, betont Dörfler. „Unser Ansatz ist derzeit der beste, um das Problem zu lösen.“ Damit leisten die Forschenden der ETH Zürich einen wichtigen Beitrag zur Energiewende und ebnen den Weg von einem zentralen System mit wenigen Großkraftwerken hin zu einem dezentralen, flexiblen Verbund vieler kleinerer Anlagen, die erneuerbare Energien ins Netz einspeisen.
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