Virtuelles Kraftwerk: Was ist das, wie funktioniert es?
Große Kraftwerke haben in Deutschland bald ausgedient. In Zukunft sollen vor allem viele kleinere Anlagen die Stromversorgung sichern. Damit das gelingt, müssen sie sinnvoll miteinander verbunden werden. Sogenannte virtuelle Kraftwerke sind in der Lage, sie zu einer Art Schwarm zu bündeln.
Strom aus Sonnen-, Wind- und Wasserkraft soll künftig die Stromversorgung in Deutschland sicherstellen. Im Jahr 2022 lag der Anteil der erneuerbaren Energien bei gut 46 Prozent. Bis 2030 will die Bundesregierung diesen auf mindestens 80 Prozent ausbauen. Genau das ist auch notwendig, denn Deutschland schaltet nicht nur alle vorhandenen Atomkraftwerke ab, sondern steigt auch aus der Kohleverstromung aus. Das ist bis spätestens 2038 geplant.
Zwischen einer Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und einer durch herkömmliche Kraftwerke gibt es zwei entscheidende Unterschiede:
- Die Sonne scheint nicht rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr und auch nicht gleichmäßig stark. Gleiches gilt für den Wind. Das bedeutet: Stromlieferungen aus erneuerbaren Energien sind schwankend und wenig planbar. Steuerbar sind sie damit nicht. Herkömmliche Kraftwerke dagegen liefern gleichmäßig Strom und lassen sich regeln.
- Ein Solar- oder Windpark, auch ein Wasserkraftwerk sind hinsichtlich ihrer Leistung nicht mit einem Kohle- oder Gaskraftwerk vergleichbar. Es braucht also zum Beispiel mehrere Windparks, um ein solches Kraftwerk zu ersetzen. Hinzu kommen immer mehr private Stromerzeuger, die zum Beispiel die klassische Solaranlage auf einem Hausdach installiert haben. Das bedeutet: Mit dem Umbau der Stromversorgung entstehen weitere Erzeugungseinheiten, die sinnvoll zusammengeschlossen werden müssen. Die moderne Stromerzeugung der Zukunft wird dezentraler.
Es gilt also, diese dezentrale Struktur zu vernetzen und zu koordinieren, damit das Stromnetz stabil bleibt. Die Lösung: ein virtuelles Kraftwerk.
Virtuelles Kraftwerk: Schwarmenergie intelligent gesteuert
Ein virtuelles Kraftwerk funktioniert praktisch wie ein zentrales Leitsystem. Man könnte es auch als das Gehirn der Energieversorgung bezeichnen. Es steuert den Zusammenschluss verschiedener Anlagen, die Strom erzeugen, und bildet aus ihnen sozusagen einen Schwarm. Das Ziel: Es soll möglichst immer gleich viel Strom produziert werden und durch das Stromnetz fließen. Das funktioniert, indem das virtuelle Kraftwerk die einzelnen Akteurinnen und Akteure steuert. Ein Beispiel: Aufgrund einer Windflaute liefern die Windparks nicht ausreichend Energie. In einem solchen Fall können dann Wasserkraftwerke oder Biogasanlagen übernehmen. Sie erzeugen – ganz unabhängig vom Wetter – so viel Strom, wie gerade benötigt wird und lassen sich flexibel einsetzen. So lässt sich der notwendige Strombedarf decken und die Netzstabilität bleibt erhalten.
Damit ein solches virtuelles Kraftwerk ausreichend Strom liefert, ist es notwendig, Erzeugungsanlagen aus verschiedenen Energieträgern zusammenzuschließen. Darüber hinaus sind auch Speicher notwendig. Zu einem virtuellen Kraftwerk sollten neben Wind- und Solarenergieanlagen auch regelbare Anlagen wie Wasserkraftwerke und Biogasanlagen gehören, ebenso flexible Stromverbraucher, Stromspeicher und Power-to-X-Anlagen. Power-to-X-Anlagen sind in der Lage, Strom aus regenerativen Anlagen in andere, zum Beispiel chemische Energieträger wie Wasserstoff, umzuwandeln, die sich dann speichern oder anderweitig nutzen lassen, etwa als Antrieb für Fahrzeuge.
Wie funktioniert die Steuerung eines virtuellen Kraftwerks?
Damit sich verschiedene Stromerzeuger miteinander verbinden und regeln lassen, ist ein spezielles Leitsystem notwendig. Grundlage dafür muss eine speziell gesicherte Datenverbindung sein. Darüber werden verschiedene Informationen ausgetauscht, zum Beispiel die Auslastung der Anlagen in Echtzeit, Einspeiseleistung, Verbrauchsdaten und Stromspeicherstände. Diese Angaben helfen dabei, Prognosen für den Stromhandel und eine Einsatzplanung der regelbaren Stromerzeuger zu erstellen. Dank eines speziellen Algorithmus, der dabei zum Einsatz kommt, lassen sich die Daten weitgehend autonom auswerten und aufbereiten. Zugleich entsteht durch das intelligente Steuerungssystem nach außen hin das Bild eines einzelnen großen Kraftwerks, das auf Netzzustände und Regelenergieabrufbefehle reagiert, obwohl es sich im Grunde um eine Bündelung vieler kleinerer Erzeugungseinheiten handelt.
Regelenergie ist für ein Stromnetz von entscheidender Bedeutung, denn sie fungiert als Reserve und gleicht Schwankungen im Stromnetz aus. Sie erhält damit also dessen Stabilität, indem sie ins Netz eingespeist oder auch entnommen wird. Für die Regelenergie gibt es Vorgaben: Wer sie anbieten möchte, muss eine Leistung von mindestens einem Megawatt aufbringen können. Durch den Zusammenschluss in einem virtuellen Kraftwerk lässt sich diese Grenze erreichen. Das ist vor allem auch deshalb interessant, weil die Übertragungsnetzbetreiber diese Regelenergie speziell vergüten. Schließlich wird sie als Reserve von den Erzeugern bereitgehalten.
Vorteile eines virtuellen Kraftwerks
Ein virtuelles Kraftwerk ist deutlich anpassungsfähiger und flexibler als herkömmliche Großkraftwerke. Dadurch sind sie in der Lage, dem Strompreis an der Strombörse optimal zu folgen und den erzeugten Strom zu adäquaten Konditionen auf dem Markt anzubieten. Da sich der Strompreis mehrmals am Tag ändert, müssen die Akteure darauf reagieren. Für ein virtuelles Kraftwerk ist das kein Problem. Ein Beispiel: Ein großes Braunkohlekraftwerk verhält sich ähnlich träge wie ein großes Containerschiff. Ein solches Kraftwerk in der Leistung zu reduzieren ist vergleichbar mit dem sehr langen Bremsweg eines Containerschiffes. Gibt es wetterbedingte Veränderungen, die eine Drosselung der Einspeisung ins Stromnetz erfordern, werden deshalb aktuell häufig Windkraftanlagen vom Netz genommen. Sie reagieren wesentlich schneller. Innerhalb eines virtuellen Kraftwerks sind Leistungen der angeschlossenen Anlagen einfach regelbar. Dadurch lassen sich eventuelle Schwankungen sogar in Echtzeit ausgleichen, was das Stromnetz daher so gut wie gar nicht belastet.
Sogar Industrie- oder Gewerbebetriebe können von einem virtuellen Kraftwerk profitieren. Sie haben darüber Anschluss an den Strommarkt und bekommen Preissignale mit. Verwendet zum Beispiel ein produzierender Betrieb den Strom genau dann, wenn er besonders reichlich vorhanden und damit besonders günstig ist, lässt sich auf diese Art und Weise eine erhebliche Menge Strom einsparen. Dies kann sogar vollautomatisiert ablaufen, indem das Leitsystem des virtuellen Kraftwerks zum Beispiel mit dem Maschinenleitstand des Betriebs verbunden ist und per Impuls die Produktion in Gang setzt. Voraussetzung dafür ist ein Stromzähler mit registrierender Leistungsmessung, ein sogenannter RLM-Zähler. Diese sind in der Regel ab einem Jahresverbrauch von 100.000 Kilowattstunden (kWh) in Unternehmen eingebaut.
Können auch private Haushalte Teil eines virtuellen Kraftwerks werden?
Ein virtuelles Kraftwerk gibt es auch beispielsweise als regionale Variante. Ein solches bündelt dann unter anderem Photovoltaikanlagen auf Hausdächern, Biogasanlagen von Landwirten und Windräder von Energieversorgungsunternehmen. Auf diese Art und Weise können auch Privathaushalte Teil eines virtuellen Kraftwerks werden. Damit sie von den Vorteilen des sich regelmäßig ändernden Strompreises profitieren können, müssen zuerst die passenden Stromzähler, sogenannte Smart Meter, eingebaut werden. Sie ermöglichen eine Kommunikation mit dem virtuellen Kraftwerk. Bis alle Haushalte einen solchen Zähler erhalten, wird es noch einige Zeit dauern. Aktuell sieht die Bundesregierung vor, dass Haushalte mit einem Jahresstromverbrauch von mehr als 6.000 kWh oder einer PV-Anlage mit mehr als sieben Kilowatt Leistung bis 2030 mit einem Smart-Meter ausgestattet sein sollen.
Ein regionales Beispiel eines solchen virtuellen Kraftwerks gibt es zum Beispiel im Fichtelgebirge: Die Stadtwerke Wunsiedel und der Energieverbund Zukunftsenergie haben es gemeinsam aufgebaut. Es bündelt Photovoltaik-, Biomasse- und Windkraftanlagen. Die Menschen in Franken beziehen darüber Ökostrom, der direkt in der Region erzeugt wird. Ein solches regional gedachtes virtuelles Kraftwerk kann ebenso auf etliche Megawatt installierte Leistung kommen. Denn das funktioniert auch mit vielen kleinen Anlagen und nicht nur mit wenigen großen. Der Clou eines virtuellen Kraftwerks: Es lässt sich problemlos erweitern.
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