Wagner & Co.: Pioniere in Sachen Sonnenkollektoren
Erneuerbare Energien spielen im hessischen Cölbe nahe der Universitätsstadt Marburg eine wichtige Rolle. In der 7000-Seelen-Gemeinde residiert einer der deutschen Solarpioniere
Auf eines ist die Bevölkerung von Cölbe besonders stolz: Ihre Gemeinde lag bis vor Kurzem geografisch im Herzen Europas. „Rein rechnerisch waren wir ein paar Jahre lang Mittelpunkt der EU“, erklärt Bürgermeister Volker Carle. Dabei klingt es fast so, als möchte er sich dafür entschuldigen. 2004 ermittelte das Institut für theoretische Geodäsie die mittelhessische Gemeinde als Zentrum Europas. Inzwischen hat Cölbe den begehrten Titel verloren, mit der EU-Erweiterung ist der Mittelpunkt Europas weiter nach Osten gerückt.
In anderer Hinsicht steht aber auch heute noch Cölbe im Mittelpunkt: bei der Solarenergie. Denn in der Gemeinde befindet sich eine Firma, die deutsche Solargeschichte geschrieben hat: Wagner & Co. Die Cölber Firma war einer der ersten Solarenergie-Unternehmen in Deutschland.
Neun Marburger Studenten aus der Anti-Atomkraftbewegung glauben an Sonnenkollektoren
Neun Marburger Studenten, die aus der Anti-Atomkraftbewegung kamen, gründeten 1979 Wagner als GmbH. Aus Gewächshaus-Glasscheiben bastelten sie Solarkollektoren zusammen und verkauften sie. „Wir wollten den Traum von Energie aus erneuerbaren Quellen in die Tat umsetzen“, erzählt Peter Jacobs, einer der Firmenmitgründer. Er und seine Mitstreiter sahen schon frühzeitig die Grenzen der Kernenergie.
An das erste Projekt erinnert sich Jacobs noch heute. „Eine Bäuerin aus Kassel rief bei uns an und wollte, dass wir Kollektoren auf ihrem Bauernhof einbauen.“ Hoch engagiert schritten die Jungunternehmer zur Tat und errichteten die Kollektoren. Die Investition hat die Landwirtin bis heute nicht bereut. „Beim 30-jährigen Jubiläum der Firma berichtete sie stolz, dass die Solaranlage immer noch einwandfrei funktioniert.“
Der eigentliche Durchbruch für Wagner kam 1986. Die Stiftung Warentest bescheinigte dem Kollektorsystem von Wagner das beste Preis-Leistungsverhältnis. Inzwischen ist Wagner drittgrößter Hersteller von Solarkollektoren hinter Viessmann und Buderus und mischt auch im Photovoltaik-Markt mit. Der größte Absatzrenner sind die „Euro C2O AR-Sonnenkollektoren“. Sie gelten als leistungsstärkste Flachkollektoren in Deutschland.
Die Wagner-Kollektoren besitzen einen besonders hohen Wirkungsgrad und halten lange. „Wir bieten als eines der wenigen Unternehmen eine besonders lange Garantie von zehn Jahren“, erklärt Produktionsleiter Michael Fina. Zudem sind die Kollektoren sehr widerstandsfähig. „Wir haben auf ihnen schon bei Messen Flamenco-Tänzerinnen tanzen lassen, ohne dass sie beschädigt wurden“, erinnert sich Fina mit einem Grinsen. Noch heute werde er auf diese Show angesprochen.
In Cölbe sind keine Flamenco-Tänzerinnen notwendig, um den Einwohnern den Nutzen der Wagner-Kollektoren klar zu machen. Zahlreiche der Fachwerkhäuser in der Stadt sind mit Solarmodulen und -kollektoren „made in Cölbe“ auf dem Dach ausgestattet. Die Gemeinde bietet Bürgersolaranlagen an. „Die Bürger können in eine Anlage investieren und erhalten eine ordentliche Rendite“, wirbt der parteilose Bürgermeister.
Architektonisches Aushängeschild ist die Firmenzentrale von Wagner, auch wenn man sie erst finden muss. Sie liegt recht versteckt in einer Seitenstraße. Es ist das erste Bürogebäude Europas nach Passivhausstandard. Immer wieder pilgern Delegationen von Politikern und Wirtschaftsvertretern nach Cölbe, um sich das Haus anzusehen.
Wagner & Co.: 400 Mitarbieter produzieren bis zu 200 000 Sonnenkolektoren jährlich
Ein Großteil der 400 Mitarbeiter ist hier untergebracht. Der Rest der Belegschaft arbeitet im Produktionswerk im benachbarten Kirchhain in der Sonnenallee. Dort „können bis zu 200 000 Kollektoren jährlich auf vier Fertigungsstraßen hergestellt werden“, erklärt Werksleiter Fina.
In der zentralen Produktionshalle geht es laut zu. Das stört den Roboter nicht, der für die Vormontage zuständig ist. Er bereitet die Aluminiumrahmen für die Kollektoren vor und befördert das Sicherheitsglas auf einen Drehtisch, nachdem es vorher in einer automatischen Waschanlage gereinigt und gescannt worden ist.
Bei der Endmontage ist Handarbeit gefragt. Arbeiter packen die einzelnen Komponenten – den Aluminiumrahmen, die Alurückwand sowie Rückwanddämmung, den ultraschall- oder lasergeschweißten Absorber, die Gummiabdichtung und die Glasscheibe – übereinander und pressen sie zusammen. Danach werden die Kollektoren einzeln verpackt und auf Paletten mit Folie gesichert.
Besonders stolz ist Fina auf den Absorber. „Er ist das Herzstück der Kollektoren“, schwärmt er. Dank einer hochselektiven Beschichtung und einer Abdeckung von hochdurchlässigem Glas verfügt der Kollektor über einen Wirkungsgrad von 95 %.
In seinem Niedrigenergie-Büro verweist der Werksleiter auf die autarke Energieversorgung der Kollektorfabrik. Die gesamte Energiemenge für die Gebäudeheizung und Kollektorproduktion wird mit erneuerbaren Energien vor Ort erzeugt. Eine 265-kW-Photovoltaikanlage auf dem Dach, eine thermische Solaranlage sowie eine Holzhackschnitzel-Heizung decken den Energiebedarf. „Das Werk ist komplett CO2-neutral“, freut sich Fina.
Auch bei den Gehältern unterscheidet sich Wagner von anderen Firmen. Die Mitarbeiter verdienen nahezu alle denselben Lohn. Führungspersonen erhalten maximal zweieinhalb mal so viel wie Angestellte mit dem niedrigsten Lohn. Denn das Unternehmen ist seit seiner Gründung ein selbstverwalteter Betrieb und liegt zu 100 % in den Händen der Belegschaft.
Von der Putzfrau bis zum Geschäftsführer: Wagner & Co. zahlt bis zum Jahr 2000 Einheitslohn
Bis zum Jahr 2000 gab es sogar einen Einheitslohn – vom Geschäftsführer bis zur Putzfrau. Das aber ließ sich auf Dauer nicht durchhalten. „Wenn wir in die Fertigungstiefe wollen, müssen wir einzelnen Spezialisten mehr zahlen“, räumt Personalleiter Jacobs ein. Nach harten Diskussionen wurden vor elf Jahren gestaffelte Löhne eingeführt.
Die Selbstverwaltung funktioniert. Gut ein Viertel der Mitarbeiter halten Anteile an der GmbH. Einzige Voraussetzung: Sie müssen mindestens 130 Stunden im Monat arbeiten und mehr als drei Jahre im Unternehmen angestellt sein. Beim Einstieg in die GmbH zahlen die Mitarbeiter einen fünfstelligen Betrag. Ein Teil des Gewinns fließt ihnen im Laufe der Zeit zu. Das Gros der Überschüsse freilich – etwa 80 % – diene aber als Rücklage oder für künftige Investitionen im Betrieb, erklärt Jacobs.
Dank der Anteilseigner aus den eigenen Reihen verfügt Wagner über genügend Eigenkapital – auch in stürmischen Zeiten. Jacobs: „Wir sind relativ unabhängig von den Banken.“
Mitbestimmung wird bis heute ganz groß geschrieben. Wer Topposten im Unternehmen übernimmt, entscheiden die Mitarbeiter. Sie wählen alle zwei Jahre die Abteilungsleiter. Im gleichen Rhythmus bestimmt die Gesellschafterversammlung die sieben Geschäftsführer – Jacobs nennt sie „die glorreichen Sieben“.
Anders als in den meisten Unternehmen stecken die Geschäftsführer oder Abteilungsleiter im Dilemma. Einerseits müssen sie die Interessen der Mitarbeiter berücksichtigen, andererseits auch mal Einsparungen durchsetzen, weiß Jacobs. Immerhin: „Wir haben noch nie in unserer Geschichte betriebsbedingt entlassen“, erklärt der Personalleiter mit stolz geschwellter Brust.
Qualifiziertes Personal zu finden, ist für Wagner noch kein Problem. Ingenieurmangel kennt die Firma nicht. Bislang jedenfalls. „Für Ingenieure ist es sexy, hier zu arbeiten“, glaubt Jacobs. Wie beliebt das Unternehmen sei, zeige die Tatsache, dass neun der zehn Auszubildenden bei Wagner bleiben. Schließlich, so Jacobs, böte der Standort Cölbe einen „schönen Zugang zur Natur“ und eine gute Verkehrsanbindung zur weltoffenen Uni-Stadt Marburg.
Manager Jacobs bereut bis heute nicht, die Solarfirma gegründet und mit aufgebaut zu haben. „Das doppelte Experiment“ sei gelungen. „Wir haben einen neuen Markt erobert und gezeigt, dass selbstbestimmte Organisationsformen funktionieren“, erklärt er. Eine Genugtuung war für Jacobs und seine Mitarbeiter denn auch die jüngste Auszeichnung zum „Entrepreneur des Jahres“ in der Frankfurter Alten Oper.
Wagner & Co. will mit seinen Sonnenkollektoren international expandieren
Um weiter zu expandieren, baut Wagner & Co. ein neues Passivenergiegebäude mitten in Cölbe, das die aus allen Nähten platzende Firmenzentrale entlasten soll. Das runde Bürohaus, das wie ein Amphitheater konzipiert ist, wird einen Teil der Verwaltung beherbergen. Darüber hinaus dient es als Veranstaltungsort und neues architektonisches Leuchtturmprojekt der Stadt Cölbe.
Bis das Gebäude eröffnet wird, muss Wagner allerdings noch eine Durststrecke überwinden. Nach zuletzt zehn guten Jahren haben sich die Wolken am Horizont verdüstert. Wegen der drastischen Senkung der Einspeisevergütung ist der Solarmarkt in Deutschland 2011 zusammengebrochen.
„Der Branche geht es nicht gut“, weiß Jacobs. „Auch wir werden in diesem Jahr wohl nach langer Zeit erstmals Verluste zu verbuchen haben.“ Und der Solarmanager prophezeit, das am Markt der eine oder andere Wettbewerber verschwinden werde.
Künftig will deshalb Wagner seine Abhängigkeit vom deutschen Heimatmarkt verringern und die internationale Expansion vorantreiben. Derzeit liegt der Exportanteil bei über 25 %. Tendenz steigend.
Trotz des schwieriger gewordenen Marktumfelds in Deutschland hat Jacobs seinen Traum von der totalen Energiewende noch nicht aufgegeben. Langfristig hält er die komplette Versorgung Deutschlands mit erneuerbaren Energien für möglich. Zumindest in Cölbe könnte es bald so weit sein. Bis 2040 plant Bürgermeister Carle, den Energiebedarf der Gemeinde zu 100 % aus erneuerbaren Quellen zu decken.
Nachhaltigkeit ist in Cölbe längst keine leere Worthülse mehr. Die mittelhessische Gemeinde war einer der ersten Kommunen, die ein Klimaschutzkonzept verabschiedet haben. Bei der Ansiedlung neuer Firmen werden bevorzugt leer stehende Gebäude neu genutzt. Zudem hat Cölbe mit sieben anderen Nachbargemeinden den Verbund „Marburg Plus“ geschaffen, der das lokale Kirchturmdenken beenden und neue Standorte auf der grünen Wiese verhindern soll. Offenbar mit Erfolg. Cölbe hat es geschafft, neue Firmen aus der Medizintechnik wie die österreichische PAA Laboratories anzulocken. „Unser Nachhaltigkeitskonzept hat die überzeugt“, glaubt Carle.
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