Lima stemmt Großprojekt 25.04.2013, 10:15 Uhr

Wasser für die Wüstenstadt

Lima will als erste Metropole Südamerikas alle seine Einwohner an das zentrale Wasser- und Abwassernetz anschließen. Die Herausforderungen sind enorm, denn Niederschläge gibt es kaum, die Leitungen sind marode und die Stadt dehnt sich ständig weiter in die Wüste aus. Ein Besuch beim größten kommunalen Infrastrukturprojekt Lateinamerikas.

Lima will als erste Metropole Südamerikas alle Einwohner an das zentrale Wasser- und Abwassernetz anschließen.

Lima will als erste Metropole Südamerikas alle Einwohner an das zentrale Wasser- und Abwassernetz anschließen.

Foto: Corazon Espinado

Der Mann im orangefarbenen Overall reißt mit der Spitzhacke den Gullydeckel hoch und wuchtet ihn beiseite. Unten fließt ein Rinnsal grünlicher Brühe über den porösen Beton. Der Arbeiter lüftet kurz Staubmaske und Helm und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Die Luft ist trocken wie der sandige Boden ringsumher und heiß. „Consorcio Lima Norte“ (CNL) steht auf dem Rücken seines Arbeitsanzugs wie auf einem Fußballtrikot. „Das sind die alten Abwasserleitungen“, erklärt CNL-Projektleiter Augusto Tamaki. Der Wasseringenieur blickt in den kaum zwei Meter tiefen Schacht und deutet auf die zerfressene Oberfläche des schmalen Kanals. „Die müssen ersetzt werden.“

Kanäle kaum älter als 30 Jahre

Die Chemie der Haushaltsabwässer hat dem Stein zusammen mit der Hitze in der Wüstenstadt enorm zugesetzt. Dabei sind die Kanäle kaum älter als 30 Jahre. Länger existiert der ganze Bezirk nicht.

Comas ist eines der „jungen Viertel“ im Norden der Acht-Millionen-Metropole Lima, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ohne stadtplanerische Begleitung um den historischen Kern der Stadt ausgebreitet und Zuwanderer aus den armen Regionen des Landes aufgenommen haben. In dem Stadtteil leben mit geschätzt 525 000 Einwohnern so viele Menschen wie in Hannover oder Leipzig – nur auf viel engerem Raum und mit nur 60 000 Abwasseranschlüssen.

Wasser- und Abwasserversorgung für 150 000 Menschen

Augusto Tamaki verantwortet den Sektor „Lote III“ und damit die Wasser- und Abwasserversorgung für 150 000 Menschen. 75 km an neuen PVC-Abwasserrohren sind zu verlegen, 12 000 Hausanschlüsse zu erneuern, unzählige neu zu schaffen und knapp 2000 Gullys zu renovieren. Einer davon wird gerade fertiggestellt. Arbeiter schütten Mörtel mit breiten Spaten um den Betonring, der den Deckel tragen wird. Der alte Gully und der Betonkanal nebenan werden bald stillgelegt und sich selbst überlassen wie insgesamt mehr als 40 km alte Rohrleitungen im „Lote III“.

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Rot ist die Farbe der Erneuerung, die Farbe der PVC-Rohre. Sie liegen überall in der Nachbarschaft bereit. Viele Straßen sind aufgerissen, Bauarbeiter hocken in den Gräben, ducken sich unter alten Leitungen hindurch, verlegen und vergraben die Rohre. Der Lärm der Bagger, die den Straßenbelag abkratzen, paart sich mit den Fetzen von Salsa-Musik, die aus den einfachen Ziegelhäusern dringen. Ein paar Anwohner lehnen wie von der Hitze betäubt an Fassaden und sehen den Bauarbeitern zu.

Die haben in ganz Lima viel zu tun. Nicht nur dass bisher nur wenige Haushalte in den endlosen Vorstädten an die Kanalisation angeschlossen sind. Ende 2012 wurden auch kaum 20 % der Abwässer Limas überhaupt geklärt. Dass diese Quote bald der Vergangenheit angehören soll, dafür sorgt – wenige Kilometer entfernt an der Küste – in der mit Lima zu einem Ballungsraum verschmolzenen Hafenstadt Callao die neue Kläranlage Taboada.

Mehr als die Hälfte aller Abwässer der Metropole

Dort soll bis Ende des Jahres mehr als die Hälfte aller Abwässer der Metropole gereinigt werden – mit bis zu 20 m3 Schmutzwasser pro Sekunde so viel wie in keiner anderen Kläranlage Südamerikas. Die 150 Mio. € teure Anlage setzt dabei auf bewährte Technologie.

Nach der Sammlung in einem Vorkanal tritt das Wasser in eine mit Stahlbeton ausgekleidete Pumpenkammer ein, in der die Kloake mit Luft angereichert und die leichteren Bestandteile wie Papier mit Rechen abgefischt werden. Kreiselpumpen lassen das Wasser in das Herzstück der Anlage einfließen, in die acht Belebungskanäle – jeder mit einem Fassungsvermögen von rund 160 m3. Dort zersetzen Bakterien mithilfe von Sauerstoff die Fette.

Anschließend wird das Wasser in 22 Absetzbecken geleitet, wo drehbare Siebe in Form rotierender Stahlzylinder die Reststoffe bis 1 mm Größe herausfiltern. Während diese Stoffe zur Entsorgung komprimiert werden, wird das gereinigte Wasser über eine unterseeische Zuleitung rund 3 km vor der Küste ins Meer geleitet.

Und dann gibt es ja noch die zweite wichtige Aufgabe: die sichere und verlässliche Versorgung aller Limaer mit Trinkwasser. Das ist in einer Stadt, in der mehr Wasser verdunstet als Niederschläge fallen, eine besondere Herausforderung – Lima ist nach Kairo die zweitgrößte Ansiedlung in einer Wüste.

Trinkwasserversorgung

Das gesamte Trinkwasser für die Millionen Menschen im Großraum Lima/Callao stellt der Fluss Rimac bereit. Der 170 km lange Fluss entspringt in den Hochlagen der Anden, wird aus Regen und Gletschern gespeist. Damit der schmale Fluss insbesondere in der Niedrigwasserperiode zwischen Mai und November ausreichend Wasser hat, wird er im Hinterland über Staustufen und Zuleitungen aus anderen Flusssystemen versorgt.

Jüngstes Projekt ist der auf mehr als 4000 m liegende Stausee Huascacocha, rund 100 km nordwestlich der Hauptstadt und mehr als 50 km vom Rimac entfernt, der seit Mitte 2012 sekündlich 2,6 m3 für die Megacity liefert.

In einer Welt des knappen Wassers ist effizienter Umgang besonders wichtig. Zwar haben 90 % der Limaer bereits Zugang zum zentralen Wassernetz – doch das ist laut Tamaki in einem maroden Zustand. „Es gibt so viele Leckagen in den Leitungen, dass die Verluste zusammen mit illegalen Zapfstellen weit über 30 % des verfügbaren Trinkwassers ausmachen.“

Neben dem Ersatz der Rohrleitungen im Boden – insgesamt 86 km neuer PVC- und Hart-Polyethylen-Rohre – zählt das Stopfen der Löcher zu den Hauptaufgaben von Tamakis Leuten. Ein paar Straßenzüge entfernt sitzt ein Arbeiter in einem Kanalschacht und montiert eine neue Hauszuleitung aus grauem Ethylenrohr. Daneben ist noch der alte Anschluss zu sehen. Er ist völlig korrodiert.

Der Arbeiter löst das verrostete Metallstück und hält es ins gleißende Sonnenlicht. „Jedes Mal, wenn die Hausbewohner irgendwo einen Wasserhahn öffneten, tropfte es in den Schacht“, erzählt Tamaki. Kein Einzelbeispiel: 23 000 solcher Anschlüsse muss sein Team erneuern.

Wassernetz wird an Kontrollpunkten mit Keramikmikrofonen ausgerüstet

An manchen Tagen, wenn der Rimac wegen heftiger Regenfälle in den Bergen kräftig anschwillt, entweicht so viel Wasser über die leckgeschlagenen Rohre, dass es in den tief liegenden Gebieten der Stadt aus den Gullys tritt und die Straßen überflutet. Um in Zukunft Leckagen schneller aufspüren und beheben zu können, rüstet Tamaki das neue Wassernetz an mehr als 2000 Kontrollpunkten mit Keramikmikrofonen aus. Sie sollen in Zukunft hörbar machen, wenn es in den unterirdischen Rohren verdächtig rauscht. Die Lecks, so Tamaki, machen spezielle Geräusche.

Doch es sind nicht nur technische Herausforderungen, die der Wasseringenieur und sein Team zu bewältigen haben. Sie müssen auch die Anwohner für die Maßnahmen gewinnen. Mitarbeiter gehen von Tür zu Tür und informieren über den sparsamen Umgang mit Wasser. „Für viele ist das ein unbekanntes Terrain. Manche haben auch Angst, dass sie für die Baustelle vor ihrer Wohnung zahlen müssen.“ Gerade in Bezirken wie Comas ist die Information wichtig, denn viele Menschen hier sind arm und kaum gebildet.

Zwar lautet Tamakis Auftrag, alle Menschen „seines“ Sektors bis nächsten Mai vollständig an die Wassersysteme anzudocken. Aber: „100 % sind unmöglich. Wir werden immer dem Wachstum der Stadt hinterherlaufen“, sagt er angesichts der sich chaotisch ausdehnenden Metropole.

Auch in Comas drängeln sich kleine bunte Häuschen die braun-staubigen Hügel hoch. Jeden Tag kommen Menschen neu an, um sich eine Bleibe zu bauen.

Die Straßen, die in das Labyrinth hinaufführen, sind nicht mehr asphaltiert und werden immer schmaler, sie sind teilweise noch nicht kartiert. Auch hier arbeiten Tamakis Bautrupps unentwegt. Gerade hier oben gibt es noch viele, die ihr Wasser beim Tankwagen kaufen müssen.

In Lima wohnen die Armen auf den Hügeln

„Es ist schon paradox“, sagt Tamaki, als er bei einer Zigarettenpause von den Hügeln in die Ebene der Stadt blickt. „In den Städten der Industrienationen wohnen die Reichen auf den Hügeln. In Lima ist das umgekehrt.“ Unten verliert sich das Häusergewirr im Dunst. Der nur wenige Kilometer entfernt liegende Pazifik ist nicht zu erkennen. Er zeigt auf die alten weißen Wassertürme inmitten des Häusergewirrs. Dort führt der zentrale Kanal mit Frischwasser aus den Bergen vorbei.

„Es gibt viel zu tun“, sagt Tamaki und eilt zur nächsten Baustelle, wo die Arbeiter in den orangefarbenen Overalls gerade mit einem Planiergerät den Straßenbelag verdichten. Als er das sieht, hält er kurz inne und sagt: „Und zum Glück haben wir auch schon einiges geschafft.“  

Ein Beitrag von:

  • Oliver Ristau

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