Erneuerbare Energien 01.06.2012, 11:00 Uhr

Wasserkraft: Strömungsenergie der Flüsse rückt ins Visier

Wenn in Deutschland über erneuerbare Energieträger debattiert wird, geht es nur selten um Wasserkraft, deren Potenzial als weitgehend ausgereizt gilt. Doch das trifft allenfalls für Turbinenkraftwerke mit Stauwerken zu. Die im Mittelalter weitverbreitete mechanische Nutzung der Strömung der Flüsse hingegen wird bislang fast gar nicht genutzt.

Ein etwas merkwürdig anmutendes Fahrzeug ist der Vector schon, der bei Magdeburg gut 20 m vom Elbufer entfernt in der Hauptströmung der Wasserstraße verankert ist. Der blau lackierte Katamaran, an dessen Heck die Kennung MD-G 607 in großen Lettern leuchtet, trägt an einem großen Stahlgerüst mittschiffs einen Propeller.

Das grellrote Bauteil mit seinen 2 m Durchmesser ist kein überdimensionierter Schiffsantrieb, sondern wird von der hier besonders starken Strömung angetrieben. Gut 1,8 m/s fließt das Elbwasser hier gen Hamburg und drückt damit auf die gut 3 m2 Anströmfläche des Propellers. Dieser besteht aus Aluminiumschaum, der mit glasfaserverstärktem Kunststoff ummantelt ist. Ein direkt gekoppelter Generator erzeugt aus der Kraft des Wassers Strom, der per Kabel an Land geliefert wird.

Wasserkraft: Nutzen von Strömungsenergie ist kaum erforscht

Der 14 m lange Vector ist ein Versuchsträger. Er bildet das Kernstück eines Forschungsthemas, mit dem in den nächsten Jahren die verschiedenen Konzepte zur Nutzung der Strömungsenergie von Flüssen wissenschaftlich untersucht werden können. Damit sollen erstmals verlässliche Grundlagendaten für diese Technologien entstehen.

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Gerhard Müller, der als stellvertretender Leiter des Magdeburger Fraunhofer-Instituts für Fabrikbetrieb und Automatisierung (IFF) das Thema bearbeitet, sieht hier noch erhebliche Optimierungsmöglichkeiten. Denn die Technologie ist bislang noch immer fast auf dem Stand der ursprünglichen Schiffsmühlen stehen geblieben.

„Wir testen ja jetzt bereits Propeller und bald auch Turbinen und Wasserräder, die durch einen konsequenten Leichtbau und Klappmechanismen, aber natürlich auch durch innovative Lösungen im Generatorbereich viel mehr Leistung bringen können, als das früher der Fall war“, sagt der Wissenschaftler. Anschließend, voraussichtlich ab Sommerbeginn, wird dann der Vector umgerüstet auf ein Klappschaufelrad.

Der „Energy Floater“, so der Name für das Schaufelrad, sieht auf den ersten Blick fast aus wie die Walzenräder am Heck von historischen Mississippi-Dampfern. Er ist aber ebenfalls ein Produkt aus modernster Werkstoffkunde und Strömungsmechanik. So sollen hier besonders hoch beanspruchbare Bauteile aus Carbonverbundstoffen eingesetzt werden. Die jeweils oben liegenden Leichtbauschaufeln klappen beim Drehen ein, um den Durchmesser des Rades von 4 m im Betrieb zu verringern. Einige Monate später folgt dann noch ein modulares Turbinensystem auf den Testplatz von Vector.

“Der Energieertrag nimmt exponentiell mit der Ströumung zu”

Das Projekt ist Teil des Forschungsnetzwerkes „Technologiekompetenz Fluss-Strom“, an dem neben dem IFF noch zwei weitere Institute und 19 Unternehmen mitarbeiten. „Bekannt ist, dass die Strömungsgeschwindigkeit mindestens 1,5 m/s betragen muss, dass aber der Energieertrag exponentiell mit der Strömung zunimmt“, berichtet Hartmut Drews, der mit seinem Ingenieurbüro in Pinneberg an modernen Wasserrädern arbeitet.

Bisher ungelöst war die geringe Drehzahl des Rades oder auch der Turbine bei den anliegenden hohen Drehmomenten, für die handelsübliche Generatoren nicht ausgelegt sind.

Um nicht mehrstufige Getriebe mit einer hohen Masse und großen Verlusten einsetzen zu müssen, setzt Drews auf die Integration eines segmentierten Polrades in das Wasserrad und einen Stator aus Kupferspulen. Das System sei bereits serienreif.

Auch der derzeit getestete Leichtbaupropeller funktioniert getriebelos und ist direkt mit einem Generator gekoppelt, der gemeinsam vom Maschinenbau-Institut der Uni Magdeburg und dem Netzwerkpartner Ramme Elektromaschinenbau aus Osterwieck im Harz entwickelt wurde.

Offen bleibt, welches Energiepotenzial in deutschen Flüssen steckt

„Jedes der Systeme für ein Laufwasserkraftwerk hat unter speziellen Einsatzbedingungen seine Vor- und Nachteile“, sagt Fraunhofer-Forscher Müller. So benötigen Propeller und Turbine Tauchtiefen von mindestens 2 m, zudem ist die Bruchsicherheit der Leichtbaumaterialien beim Auftreffen von Treibgut zu klären.

Die Systeme leisten, auch abhängig von der Fließgeschwindigkeit, zwischen 5 kW und 40 kW, sind also im Vergleich zu Windturbinen oder auch den Stauwasserkraftwerken eher klein. Allerdings, so gibt Müller zu bedenken, fällt die emissionsfreie Energie relativ kontinuierlich an und Flüsse müssen nicht verbaut werden.

Welches Energiepotenzial in deutschen Flüssen damit zu erschließen ist, kann derzeit niemand sagen. Doch dürften die relativ geringen genehmigungsrechtlichen Hürden und niedrige Investitionskosten – Serienproduktion vorausgesetzt – in Zeiten der Energiewende die Technologie zumindest im Nischenbereich durchaus attraktiv werden lassen, glaubt Müller. Auch aus Österreich gebe es bereits Anfragen, wobei die Anlagen besonders für Insellösungen in schwer zugänglichen Gebieten attraktiv sein können.

Ein Beitrag von:

  • Manfred Schulze

    Manfred Schulze ist freier Journalist für Fachzeitungen Energie, Logistik, Technologie.

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