Wasserstoff aus Abfall macht Preis von 5 €/kg möglich
Ein Start-up baut eine Anlage, die Wasserstoff aus Abfall erzeugt. Mit drei Partnern hat Green Hydrogen Technology heute das Richtfest für die erste Syntheseanlage gefeiert.
So selbstverständlich wie die Idee einer Kreislaufwirtschaft sein mag, in der Welt des wachsenden Energie- und Rohstoffbedarfs kommt sie meist zu kurz. Doch längst verstehen sich die „Müllkutscher“ früherer Zeiten heute als moderne Vertreter einer Kreislaufwirtschaft, die alles verwertet. Fast alles, denn für Kunststoffe, Altholz und immer noch stark biomüllhaltigen Restabfall bleibt oftmals nur die Verbrennung − beschönigend und meist als thermische Verwertung bezeichnet. Dabei hat die Entsorgungsbranche die letzten Jahrzehnte sehr wohl gezeigt, dass sie wegbereitend und innovativ gerade der Wasserstoffwirtschaft wichtige Impulse verleihen kann. Man denke nur an die brennstoffbetriebenen Straßenreinigungs- und Müllsammelfahrzeuge, die mit Wasserstoff fahren und betrieben werden.
Die Frage der Technologie ist die eine; die Frage nach der − möglichst grünen − Herkunft des Wasserstoffs eine andere. An diesem Punkt setzt das Green-Tech-Start-up Green Hydrogen Technology (GHT) an. Mit dem Kölner Energieversorger Rheinenergie, dem Wasserstoff-Lkw-Vermieter Hylane, der zur DEVK-Gruppe gehört, und dem mittelständischen Recyclingunternehmen ETG wurden strategische Partner gefunden. Gemeinsam investieren sie in eine Pilotanlage zur Wasserstofferzeugung aus Müll, die derzeit im schwäbischen Ebersbach an der Fils im Großraum Stuttgart gebaut wird. Am heutigen Dienstag (3. Dezember 2024) feierte das Konsortium dort unter den Augen der baden-württembergischen Umweltministerin Thekla Walker ihr Richtfest.
Wasserstoff aus Abfall: Partner schaffen innovative Kreislaufwirtschaft
Noch bevor öffentliche Fördermittel in Anspruch genommen wurden, investierten die vier Unternehmen einen hohen einstelligen Millionenbetrag, um aus biogenen Reststoffen hochreinen Wasserstoff und ebenso hochreines flüssiges Kohlendioxid zu gewinnen. Die Auswahl der vier Unternehmen macht deutlich, wie die strategische Ausrichtung aussieht:
- Rheinenergie wird als deutschlandweit agierender Energiedienstleister künftig die Wasserstoffanlagen als Kundenlösung im Contracting ohne Vorabinvestitionen anbieten. Das heißt, sie stellen z. B. die Finanzmittel für Entsorger bereit, die Platz, das Inputmaterial und das Know-how für einen Anlagenbetrieb haben, aber eben nicht das Geld.
- Ein solcher Entsorger ist im konkreten Fall die ETG Entsorgung + Transport GmbH in Göppingen. „Unsere typischen ersten Kunden sind Entsorgungsbetriebe“, erklärt Robert Nave, CEO des Start-ups Green Hydrogen Technology GmbH. „Unternehmen wie bei uns die ETG müssen schauen, dass sie ihre Reststoffe möglichst vernünftig verwertet bzw. vermarktet bekommen − außerhalb der Verbrennung.“
- Ein solches Unternehmen ist Hylane GmbH mit Sitz in Köln, Europas größter Logistikvermieter von Wasserstoff-Lkw. Rund 120 Lkw rollen derzeit über die Straßen, elektrisch angetrieben durch Strom aus einer Wasserstoff-Brennstoffzelle.
Von der ersten Anlage für Wasserstoff aus Abfall werden noch keine großen Gewinne erwartet
Doch damit sich dieser Kreis schließt, war eine Menge Erfindergeist und natürlich einiges an Geldmitteln notwendig. Harald Mayer ist in Österreich ein bekannter Multiunternehmer und Investor. Nach einigen erfolgreichen Firmengründungen und -beteiligungen gründete er 2020 die Green Hydrogen Technology GmbH – nachdem er den Erfinder Alfred Edlinger, der mehr als 600 Patente hält, kennenlernte. Nach Patentierung seines Flugstromreaktors entwickelte die GHT das Industriedesign einer Pilotanlage zur Erzeugung von Wasserstoff aus Abfallstoffen. Im März 2022 wurden die zugehörigen Patente veröffentlicht und die Anlage am Standort Leoben in der österreichischen Steiermark errichtet.
Ende vergangenen Jahres wurde die Partnerschaft mit den genannten drei Unternehmensgruppen besiegelt, „um in der Nähe von Göppingen unsere erste kommerzielle Wasserstoffproduktionsanlage zu bauen“, so CEO Nave. Diese werde zwar noch keine großen Gewinne abwerfen, dient aber als Nukleus zur weiteren Skalierung unserer Technologie, so Nave.
Projekt zeigt: Wasserstoff aus Abfall ist eine kostengünstige und nachhaltige Lösung
Dazu muss sich die GHT auch an den Marktpreisen für Wasserstoff orientieren. H2 an der Autotankstelle liegt derzeit bei 10 €/kg bis 12 €/kg − allerdings bei grauem Wasserstoff aus dem Erdgas-Reforming. Die Erzeugungskosten bei H2 aus der Elektrolyse liegen derzeit bei 7,50 €/kg bis 9,00 €/kg − ebenfalls in grauer Qualität und nicht etwa aus grünem Strom erzeugt. „Namhafte Quellen sprechen in mehreren Studien davon, dass die Wasserstoff-Erzeugungskosten per Elektrolyse in Deutschland bis 2030 nicht unter 6 €/kg sinken werden“, meint Robert Nave. Da seien günstigere Strompreise und verbesserte Elektrolysetechniken bereits einkalkuliert.
Doch die GHT möchte hier gegen den Strom schwimmen: Die fast fertiggestellte Anlage bei Göppingen soll Wasserstoff zu einem Preis von maximal 5 €/kg erzeugen − eher noch darunter. „Wir sind dann ja noch in der ersten Ausbaustufe“, gibt Nave zu bedenken. Wenn die Anlage dann um den Faktor vier hochskaliert würde, könne man den begehrten Stoff für die Brennstoffzellen schon für 1,50 €/kg erzeugen.
Biogene Abfälle: Wasserstoff aus Abfall als Schlüssel zu niedrigen Kosten
Basis des Verfahrens ist eine Flugstromvergasung mit einem Reaktor, der kohlenstoffhaltiges Material bei rund 1600 °C bis auf die Molekülebene aufschließt. „Die Flugstromvergasung an sich ist nichts Neues“, erklärt CEO Nave. Doch man habe ein Verfahren entwickelt, das diese biogenen Abfallstoffe nahezu rückstandsfrei aufschließe − ohne dass im Reaktor Teer, Ruß oder Schlacke entstehe wie in vergleichbaren Anlagen. Dadurch könne man den Vergaser relativ kompakt bauen, wie überhaupt die gesamte Anlage in der ersten Skalierungsstufe mit einem Platzbedarf von 400 m2 bis 500 m2 eher übersichtlich ausgelegt ist. Das käme dem dezentralen Charakter der Wasserstofferzeugung sehr entgegen, heißt es bei der GHT, schließlich habe man mit dem Anlagenprinzip eher den mittelständischen, meist familiengeführten Entsorgungsbetrieb im Blick.
Auch wenn als biogenes Inputmaterial von Altkunststoffen bis hin zum Altholz alles infrage kommt, so konzentriert sich GHT zunächst auf biogene Reststoffe wie Altholz der Klasse A2, einem Material, das mit Lasuren, Farben oder Holzschutzmittel für den Außenbereich bearbeitet wurde und üblicherweise kostenintensiv in speziellen Anlagen verbrannt wird. Derlei Material wird im Reaktor zwar rückstandsfrei aufbereitet, doch bei der anschließenden Gaswäsche entsteht sehr wohl Asche, pro 12 kg Abfall sind das etwa 1 kg Asche. „Das einzige Beiprodukt neben unserer hochreinen Wasserstoff- und Kohlendioxidproduktion“, versichert der CEO von GHT.
Abfallstoffe zu Energie: Wasserstoff aus Abfall reduziert CO2 und Kosten
Die Anlage soll ab März nächsten Jahres jährlich rund 1200 t Altholz verarbeiten; die Betreiber rechnen daher mit einem Output von rund 100 t H2. Da neben H2 auch CO2 entsteht, stellt sich die Frage nach dessen Verwendung. GHT sieht das entspannt; schließlich brauche die chemische Industrie für ihre Produktion jede Menge CO2 und auch die Lebensmittel- und Getränkeindustrie sei ein willkommener Abnehmer. Blicke man in die Zukunft, so Nave, müsse man bedenken, dass alle grünen Gase letztlich aus Wasserstoff und Kohlendioxid gewonnen würden. Carbon Capture and Utilization (CCU) werde ein bedeutender Markt werden und die Verfahren, CO2 an Bauschutt anzulagern, seien sehr Erfolg versprechend.
Künftig möchte GHT und seine Investorengruppe neben Altholz auch Altkunststoffe verwerten, deren schlechte Sortenreinheit kein werkstoffliches Recycling erlaubt und die meist als Ersatzbrennstoff thermisch verwertet werden. Die Flugstromvergasung kommt durchweg ohne Energiezufuhr von außen aus, das heißt ein Input an Energie ist nur bei der initialen Feuerung zum Hochfahren der Anlage notwendig. Da ein Teil des entstehenden Synthesegases abgezweigt und zur Synthetisierung verwendet wird, hält sich der Prozess ohne äußere Energiezufuhr am Laufen. „Der Vergasungsprozess ist nahezu energieautark − mit Ausnahme der Energie in den zugeführten Reststoffen“, so Robert Nave.
Nach dem Baubeginn in Göppingen und dem Abschluss der ersten Finanzierungsrunde werden derzeit Gespräche mit weiteren Investoren geführt. Auch sei die Nachfrage aus der deutschen Entsorgungswirtschaft nach kleinen, dezentralen Wasserstoff-Erzeugungsanlagen überraschend groß. Ab dem kommenden Jahr 2025 sollen demnach jährlich ein bis zwei weitere H2-Anlagen in Deutschland gebaut werden.
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