Wasserstoff-Produktion in Deutschland nimmt Fahrt auf
Diverse Branchen wollen fossilen Rohstoffen den Rücken kehren und auf Wasserstoff umstellen. Wir geben Ihnen einen Überblick, was gerade alles in Deutschland passiert.
Wasserstoff beginnt in Deutschland eine Rolle zu spielen. Mehrere große Elektrolyseure, die Wasser in Wasser- und Sauerstoff aufspalten, sind bereits in Betrieb, mehr noch sind im Bau oder konkret geplant. Der größte Produzent des begehrten Gases steht im Chemiepark Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt. Hier produziert das niederländische Unternehmen Nobian mit Sitz in Amersfort pro Jahr 2700 Tonnen grünen Wasserstoff. Das Besondere daran: Außer Wasserstoff werden im so genannten Chlor-Alkali-Prozess auch die Basischemikalien Chlor und Natronlauge hergestellt. Diese Hybridproduktion sorgt für einen Wirkungsgrad von 90 Prozent. Der Wasserstoff wird über ein Pipelinenetz an Kunden geliefert, die damit grauen Wasserstoff ersetzen, der aus Erdgas gewonnen wird. Dabei werden große Mengen an Kohlenstoffdioxid (CO2) frei.
Breite Palette von Anwendungen
Wasserstoff ist vielfach verwendbar. Die Industrie braucht ihn, vor allem die chemische, Raffinerien kommen ohne ihn nicht aus. Er lässt sich mit CO2, das aus der Atmosphäre entnommen wird, in Benzin, Diesel und Kerosin umwandeln, er kann als Brennstoff in Gaskraftwerken verwendet werden sowie als Reduktionsmittel bei der Produktion von Eisen. Koks wird dadurch überflüssig. Auch Brennstoffzellen lassen sich damit betreiben, die entweder als Lückenfüller für wetterbedingte Stromausfälle oder in mobilen Anwendungen wie elektrisch angetriebenen Schwerlastkraftwagen, Eisenbahnen und Schiffen eingesetzt werden. Alle Anwendungen sind in Deutschland realisiert oder stehen kurz davor.
Salzgitter hat schon fest bestellt
ThyssenKrupp etwa plant den Bau von Elektrolyseuren mit einer Gesamtleistung von 500 Megawatt am Standort Duisburg, um Kohlenstoff bei der Eisenherstellung ganz oder teilweise zu ersetzen. Hier dürfte das eigene Tochterunternehmen Nucera als Lieferant zum Zuge kommen. Salzgitter Stahl ist schon ein Stück weiter. Im September bestellte das Unternehmen beim österreichischen Hersteller Andritz eine 100-Megawatt-Elektrolyseanlage. Sie nutzt die Druck-Alkali-Elektrolyse-Technologie des norwegischen Unternehmens Hydrogen-Pro, die besonders effektiv ist. Ab 2026 soll der Elektrolyseur rund 9000 Tonnen grünen Wasserstoff pro Jahr erzeugen, der für die Produktion von grünem Stahl genutzt wird.
Schon im kommenden Jahr wird eine Zehn-Megawatt-Elektrolyseanlage für den Stahlhersteller ArcelorMittal Bremen in Betrieb gehen. Sie wird von der Apex Group in Rostock-Laage geliefert.
Wasserstoff für gleich drei Länder
Auch die Stahl-Holding-Saar (SHS) hat konkrete Pläne für die Produktion von grünem Stahl. Dazu soll Siemens in Völklingen zwei Elektrolyseure mit jeweils 17,3 Megawatt errichten. Sie werden bis zu 5800 Tonnen Wasserstoff pro Jahr erzeugen. Dieser soll in ein noch zu bauendes Pipeline-System eingespeist werden, das Kunden in Deutschland, Luxemburg und Frankreich bedient. Der grüne Wasserstoff soll auch von Elektrobussen und -bahnen genutzt werden, die ihren Strom aus Brennstoffzellen beziehen. Der französische Hersteller Alstom mit dem Coradia iLint und Siemens mit dem Mireo Plus H bieten bereits Triebwagen an, die mit Brennstoffzellen ausgestattet sind. Beide sind schon im Liniendienst.
Grünes Kerosin ab 2024
Im nächsten Jahr wird im Chemiepark Hoechst in Frankfurt am Main eine Anlage in Betrieb gehen, die aus CO2 und grünem Wasserstoff jährlich 4,6 Millionen Liter Kerosin produziert, mit dem Lufthansa-Flugzeuge betankt werden sollen. Lediglich für grünes Benzin und grünen Diesel gibt es in Deutschland keine Produktionspläne. Benzin, das aus CO2 und Wasserstoff hergestellt wird, bezieht der Autohersteller Porsche aus Chile, allerdings nur kleinere Mengen.
Bald wird auch Wasserdampf „grün“
Elektromobilität spielt auch in Schwäbisch Gmünd eine wichtige Rolle. Hier baut das französische Unternehmen Lhyfe einen Zehn-Megawatt-Elektrolysesepark, der pro Jahr bis zu 2000 Tonnen Wasserstoff produziert. Er wird für die Elektromobilität genutzt und als Ersatz von fossilen Brennstoffen in der Herstellung von Prozessdampf in der Industrie. Dazu ist Lhyfe eine Partnerschaft mit dem britischen Unternehmen Exogen Hydrogen Solutions eingegangen, das einen Dampferzeuger entwickelt hat, der mit Wasserstoff betrieben wird.
„Futter“ für Elektro-Schwerlastwagen
Auf Elektromobilität setzt auch GP Joule Hydrogen im schleswig-holsteinischem Reußenköge. Das Unternehmen hat beim spanischen Hersteller H2B2 fünf Zwei-Megawatt-Elektrolyseure bestellt, die 2024 in Betrieb gehen sollen. „Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, mit erneuerbaren Energien klimafreundlichen Kraftstoff zu erzeugen und damit den Schwerlastverkehr zu dekarbonisieren“, sagt André Steinau, Geschäftsführer von GP Joule. Mit „Kraftstoff“ meint er Wasserrstoff. Er bietet Interessenten zudem die Beschaffung von Elektro-Lkw an, die ihren Strom aus Brennstoffzellen beziehen, sowie den Bau von Wasserstofftankstellen.
Wasserstoff statt Erdöl
Shell, eigentlich mit Erdöl groß geworden, gehörte zu den ersten, die grünen Wasserstoff in Deutschland produzierten. Im Energy and Chemicals Park Rheinland in Wesseling bei Köln läuft eine zehn Megawatt Elektrolyseanlage, der pro Jahr 1300 Tonnen Wasserstoff erzeugt. Er ist für Industriekunden und Mobilität gedacht. Ebenfalls zehn Megawatt hat der Elektrolyseur, den der französische Hersteller Elogen für Enertrag im brandenburgischen Dauerthal in der Nähe von Magdeburg errichtet. Der Produktionsbeginn ist für 2024 vorgesehen.
Wasserstoff für die Gasturbine
In Lingen an der Ems nähert sich ein 14-Megawatt-Projekt der Vollendung. Der dort produzierte Wasserstoff soll mit Erdgas vermischt in einem Gaskraftwerk des Essener Energiekonzerns RWE verbrannt werden. Eine neue Gasturbine, die Kawasaki dort baut, soll mit reinem Wasserstoff betrieben werden. Für zehn Megawatt ist der Dresdner Hersteller Sunfire zuständig, für vier Megawatt der Gasespezialist Linde.
Klingt nach viel Wasserstoff, ist aber nur ein Anfang. Die Bundesregierung wünscht sich für 2030 eine einheimische Elektrolyseleistung von zehn Gigawatt, also 10.000 Megawatt. Und selbst das wird bei weitem nicht reichen. Der größte Teil des Bedarfs muss importiert werden, weil zu wenig einheimische grüne Energie zur Verfügung steht, auch wenn die Kapazitäten noch drastisch erhöht werden.
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