Wie die Wärmewende in der Industrie gelingen kann
Nicht nur den Kommunen und Privathaushalten, auch der Industrie steht mit der Wärmewende eine riesige Transformation bevor. Wie die Co2-neutrale Prozesswärme der Zukunft aussehen könnte und welches die größten Herausforderungen sind, hat jetzt eine Studie erstmals detailliert untersucht – für 13 Branchen der Metall- und Mineralindustrie.
Stahl-Walzwerke, Gießereien, die Papier- und die Chemieindustrie, Zementwerke, Aluminiumhütten, Glasindustrie: So unterschiedlich ihre Erzeugnisse sind, alle dieser Branchen und viele andere brauchen rund um die Uhr gigantische Mengen an Wärme für die Produktion. Unter den genutzten Brennstoffen ist Erdgas heute die Nummer eins, und erneuerbare Energien spielen eine untergeordnete Rolle – noch. Denn das muss sich ändern: Ein Großteil der Treibhausgasemissionen im Industriesektor entsteht bei der Prozesswärmeerzeugung. Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, muss es vorher mit der Wärmewende in der Industrie klappen. Aber wie?
Auf diese kurze Frage gibt jetzt eine neue Studie umfassend Antworten. Im Auftrag des Umweltbundesamtes haben Forschende des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und des Instituts für Industrieofenbau und Wärmetechnik (IOB) der RWTH Aachen eine Bestandsaufnahme über die technischen Möglichkeiten und Herausforderungen der Umstellung auf eine CO2-neutrale Prozesswärme im Industriesektor erarbeitet.
Technisch möglich: die industrielle Wärmewende bis 2045
Die Veröffentlichung gibt einen Überblick darüber, auf welchen Techniken heute 34 verschiedene Anwendungen in 13 Branchen der Metall- und Mineralindustrie basieren und welche klimaneutrale Alternative sich jeweils durchsetzen könnte. Wo eignet sich der Einsatz von Wasserstoff, wo ist Elektrifizierung der bessere Weg? In ihrer Studie haben die Forschenden technische, wirtschaftliche und ökologische Kriterien berücksichtigt.
Das wichtigste Ergebnis: Laut den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist eine Co2-freie Prozesswärmeerzeugung ist bis zum Jahr 2045 grundsätzlich technisch realisierbar. Ihre Begründung: Für alle Anwendungen, die sie untersucht haben, sind klimaneutrale Alternativen schon heute verfügbar oder werden derzeit entwickelt. Allerdings gibt es enorme Unterschiede zwischen den verschiedenen Branchen, was die Optionen, die Herausforderungen und die Technologiereife betrifft.
Elektrifizierung oder Wasserstoff?
In Industrieprozessen, die eine sehr hohe Energiedichte benötigen, ist der Studie zufolge Wasserstoff geeignet, Erdgas als Energieträger ersetzen. Ein Grund dafür: Die Elektrifizierung ist für Anwendungen, die mit sehr hohen Temperaturen arbeiten, technisch oft noch nicht ausgereift. So steht beispielsweise die vollständige Elektrifizierung von Industrieöfen der Mineral- und der Stahlindustrie heute noch vor großen technischen Herausforderungen. Einzelne elektrische Anlagen sind zwar schon im Einsatz, doch in der Praxis hat sich gezeigt, dass der Umbau meistens deutlich aufwändiger ist als der Umstieg von Gas von Wasserstoff.
Die Elektrifizierung ist laut der Studie dagegen eine geeignete Lösung für Anlagen, die eher niedrigere Temperaturen brauchen und geringere Produktionskapazitäten haben. Für solche Einsätze sei bereits fertig entwickelte Technologie am Markt verfügbar. Aber auch ein anderer Faktor wird künftig eine wichtige Rolle dabei spielen, für welche klimaneutrale Energie-Alternative sich ein Industriebetrieb entscheidet: der Standort und die dortige Infrastruktur. Wenn kein Wasserstoffnetz in der Nähe geplant ist, wird sich kein Unternehmen für diese Lösung entscheiden. Wer dagegen auf Elektrifizierung setzt, braucht eine ausreichend ausgebaute, verlässliche Anschlussleistung.
Großwärmepumpen als weitere Option für die Wärmewende
Auf die Technologiereife kommt es an, auch bei der klimaneutralen Dampferzeugung. Industrieunternehmen, die Dampf für die Produktion brauchen, können sich schon heute für Dampfkessel entscheiden, die mit Strom oder Wasserstoff betrieben werden. Für sie könnten aber Großwärmepumpen die bessere Lösung sein. Aktuell sind diese Pumpen bereits für den Einsatz in der Papier- und Nahrungsmittelindustrie zu haben. Dort habe sich, so der Bericht, gezeigt: Dampf lässt sich mit den Großwärmepumpen noch energieeffizienter erzeugen als mit Strom oder Wasserstoff.
Welchen Weg ein Unternehmen bei der Wärmewende gehen will, muss also umfassend abgewogen werden. Ein relativ risikoarmer Einstieg kann es sein, eine bestehende gasbetriebene Anlage mit einer Wärmepumpe oder einem elektrisch betriebenen Dampfkessel nachzurüsten. Diese können dann erst einmal eine flexibel nutzbare Alternative sein – wenn die Strompreise gerade niedrig sind.
Wasserstoff für die Wärmewende: Grün muss er sein
Die meisten Anwendungen für Wasserstoff haben noch keine Marktreife erreicht. Jedoch geht das Forschungsteam davon aus, dass diese Technologie schon in naher Zukunft auf industriellem Niveau betrieben werden kann, oft durch Umrüstung bestehender gasbeheizter Öfen. Der Knackpunkt wird die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff am jeweiligen Industriestandort sein.
Sowohl bei der Elektrifizierung als auch beim Wasserstoffeinsatz in Industrieöfen ist laut Studie jetzt gezielte Forschung, Entwicklung und Demonstration notig, damit die Technologie markt- und konkurrenzfähig wird. Die Entwicklung und die großindustrielle Markteinführung solle gezielt gefördert werden.
Staatliche Eckpfeiler für einen wirtschaftlichen Betrieb sind nötig
Damit die Transformation der Prozesswärme bis 2045 möglich wird, braucht es jetzt einen politischen Fahrplan, so die Autorinnen und Autoren der Studie. Denn die Unternehmen brauchen Planungssicherheit für die Modernisierung. Gerade beim Wasserstoff ist die Unsicherheit derzeit noch groß, ob grüner Strom und grüner Wasserstoff am jeweiligen Ein entscheidender Faktor bei der Transformation sind die Energiekosten: Ohne konkurrenzfähige Preise für CO2-neutralen Wasserstoff und Strom aus erneuerbaren Energien gegenüber Erdgas geht es nicht. Dazu sind verschiedene Instrumente möglich, wie beispielsweise ein höherer CO2-Preis, um fossile Alternativen zu verteuern, eine Reform der Netzentgelte, um hybride Wärmeerzeugung zu ermöglichen oder die Senkung der Strompreise für die elektrische Prozesswärme während der Transformationsphase.
Die Entscheidungen für die Zukunft der Prozesswärme in den verschiedenen Bereichen der Industrie müssten jetzt getroffen werden, fordert Studienautor Tobias Fleiter, Geschäftsfeldleiter im Competence Center Energietechnologien und Energiesysteme am Fraunhofer ISI: „Die Zeit drängt, denn viele industrielle Anlagen haben eine Betriebsdauer von mehreren Jahrzehnten. Wenn unsere Industrie bis 2045 klimaneutral sein soll, muss jetzt der Rahmen dafür gestaltet werden.“
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