Energiewende 06.12.2022, 07:35 Uhr

Wie sieht die künftige Wasserstoff-Infrastruktur in Deutschland aus?

In den nächsten Jahren wird ein Hochlauf bei grünem Wasserstoff erwartet. Wie lassen sich die entsprechenden Infrastrukturen aufbauen? Wir haben darüber mit dem Experten Tom Schelo gesprochen, der für Pacifico Energy Partners genau an diesem Thema arbeitet.

Wasserstoff

Wasserstoff gilt als wichtiger Brennstoff für die Zukunft.

Foto: Panthermedia.net/thomaseder

Wasserstoff – konkret: grüner Wasserstoff – gilt als eine der Schlüsseltechnologien für die Energiewende und eine emissionsfreie Zukunft. Noch befinden wir uns ganz am Anfang, das Wissen über Herstellung und Speichertechnik sind weitestgehend vorhanden. Nun geht es im nächsten Schritt darum, eine Wasserstoff-Infrastruktur aufzubauen. Dabei gibt es einige Fragen, die beantwortet werden müssen. Kann Deutschland überhaupt genügend grünen Wasserstoff zu einem wettbewerbsfähigen Preis produzieren? Wie lässt sich der Wasserstoff transportieren und lagern? Wir haben darüber mit dem Wasserstoff-Experten Tom Schelo gesprochen. Er ist Project Devolopment Manager bei Pacifico Energy Partners. Das 2016 gegründete Unternehmen beschäftigt sich mit der Entwicklung erneuerbarer Energien – unter anderem um den Markthochlauf von grünem Wasserstoff.

Ingenieur.de: Legen wir gleich los mit der ersten Frage:  Sind künftig eher Großprojekte zu erwarten oder eine dezentrale Wasserstoffproduktion?

Tom Schelo: Grundlegend müssen wir die Thematik immer entlang einer Zeitachse betrachten. Während ich davon überzeugt bin, dass die Zukunft des Wasserstoffs wegen der Skaleneffekte den großen Produktionszentren und Import-Terminals gehört, werden wir zunächst viele dezentrale, kleinere Wasserstoff-Projekte sehen, die aber auch noch mittel- bis langfristig eine Rolle spielen werden. Diese werden jedoch nicht für den großen Teil der Wasserstoffproduktion verantwortlich sein, sondern lediglich das wertvolle Molekül in der Fläche verfügbar machen.

Wir befinden uns allerdings am absoluten Startpunkt des Markthochlaufs. Wenn wir uns an den Entwicklungsphasen von anderen Commodity-Märkten orientieren, lässt sich immer folgendes feststellen: Die Bildung von liquiden Commodity-Märkten geht einher mit dem Aufbau einer kostengünstigen Transport- und Verteil-Infrastruktur. Das bedeutet:

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  • Kurzfristig: Bilaterale Geschäftsbeziehungen, vor allem mit lokaler, dezentraler Produktion und lokaler Abnahme, vereinzelt auch Produktion für Eigenbedarf. Der Transport erfolgt hauptsächlich auf Basis von Trailern oder mobilen Speicherlösungen über die Straße.
  • Mittelfristig: Marktgebiete mit regionalem Handel bilden sich um regionale Insel-Pipelinenetze und verschmelzen zu Wasserstoff-Hubs. Erste Großspeicher können saisonale Schwankungen ausgleichen.
  • Langfristig: Schließlich verschmelzen regionale Marktgebiete zu einem einheitlichen liquiden, globalen Wasserstoffmarkt mit dichten Verteilnetzen innerhalb der Hubs und großen Transportpipelines, die die einzelnen Hubs verbinden.

Ein Großteil des Grünstroms wird im Norden produziert, die Industriezentren liegen im Westen und Süden – wie kommen diese zusammen?

Über das Zielbild sind sich wahrscheinlich alle einig: Europa durchzieht ein flächendeckendes und leistungsfähiges Wasserstoff-Transportnetz. Auf diese Weise werden zwei Probleme gleichzeitig gelöst: Die Verfügbarkeit von Wasserstoff für energieintensive Gewerbe fernab von der Grünstromproduktion bspw. an der Nordsee. Zum anderen aber auch die Integration der volatilen Erzeuger. Durch die Sektorenkopplung können kurzfristige wie langfristige (saisonale) Schwankungen über Elektrolyseure aufgenommen werden. Allerdings liegt dieses Ziel noch in weiter Ferne.

Was bedeutet das kurzfristig?

Kapazitäten im Stromtransportnetz müssen in jedem Fall weiterhin massiv ausgebaut werden. Gleichzeitig stellen kleinskalige, dezentrale Wasserstoffelektrolyseure kein großes Problem für das Stromnetz dar. Aus systemdienlicher Sicht ist es allerdings der falsche Ansatz, immer mehr Produktionskapazität in den Bedarfszentren anzusiedeln.

Das bedeutet, für den Markthochlauf können dezentrale Anlagen flächendeckend gebaut und an das Netz angeschlossen werden, bis die nötige Pipeline-Infrastruktur das Nord-Süd-Gefälle langfristig auflöst. Der Westen Deutschlands soll indes von der Holländischen Küste und seinen Import-Terminals versorgt werden.

Mittel- und langfristig besteht dennoch die Gefahr der Abwanderung der energieintensiven Industrie. In der Diskussion sollte aber nicht vergessen werden, dass die Verfügbarkeit von relevanten Mengen an Wasserstoff nun einmal seine Zeit braucht – auch an Orten mit großem erneuerbaren Energien Potenzial. Im Sinne des Zertifikatehandels sollten also auch hier pragmatische Lösungen für die Dekarbonisierung gefunden werden.

Wie schafft es Deutschland, eine funktionierende Wasserstoff-Infrastruktur aufzubauen? 

Deutschland ist hier bereits auf einem guten Weg und die Strategie ist klar zu erkennen: Zum einen werden dezentrale Elektrolyse-Anlagen gefördert, die eine gewisse Menge an Wasserstoff flächendeckend verfügbar machen sollen. Hier liegt der Fokus klar auf dem Einsatz im Transportsektor, insbesondere im Schwerlastbereich.

Zwar lässt sich darüber streiten, ob sich Wasserstoff hier gegen Batteriespeicher durchsetzen wird, allerdings hat dieser Sektor einen klaren Vorteil: Es geht um überschaubare H2-Mengen und Investitionssummen, und Angebot und Nachfrage können miteinander in kleinen Schritten wachsen.

Zum anderen werden Großprojekte in Norddeutschland und im Ruhrgebiet gefördert, um hier die Ausbildung erster regionaler Handelsplattformen anzuschieben. Aufgrund der benötigten Mengen an Wasserstoff, die bspw. für die grüne Stahlproduktion oder in der Chemiebranche gefordert werden, wird sowohl auf die heimische Produktion als auch auf den Import gesetzt.

Kommen wir zum Thema Nutzung bereits vorhandener Infrastruktur: Kann bestehende Erdgas-Infrastruktur für Wasserstoff genutzt werden?

Ich bin kein Experte für Pipeline-Infrastruktur, aber soweit ich weiß, ist dies möglich und insbesondere bei Transportnetzen lohnenswert. Am Ende muss allerdings jede Leitung individuell auf ihre Kompatibilität geprüft werden. Wichtig ist dabei zu beachten, dass nicht nur die Leitung selbst für das flüchtige Gas geeignet sein muss, sondern auch die Auswirkungen auf die eingesetzte Technologie vor und nach der Leitung.

Insbesondere Verdichterstationen müssen aufgrund der niedrigeren Dichte von Wasserstoff deutlich mehr Leistung aufbringen und auch ihre Anzahl dürfte erhöht werden müssen. In jedem Fall müssen auch die entsprechenden Mengen der Erzeugerseite überhaupt erst vorhanden sein, um ein großflächiges Pipelinenetz zu betreiben. Eine Pipeline lässt sich eben nicht leer betreiben.

Wir befinden uns bei Erdgas in einer gefährlichen Abhängigkeit von anderen Ländern, wie sieht es bei grünem Wasserstoff aus? Kann Deutschland überhaupt so viel Wasserstoff produzieren, wie es benötigt?

In der Theorie mag diese Frage mit “Ja” beantwortet werden können, die meisten Studien sind sich inzwischen allerdings darüber einig, dass die Deckung eines Großteils unseres zukünftigen Wasserstoffbedarfs in Deutschland über Importe sinnvoll ist.

Ein diversifizierter Import von grünen Energieträgern aus aller Welt ermöglicht es uns, grüne Energie von Orten zu nutzen, an denen sie sonst ungenutzt bliebe. Hier müssen wir zunächst eine klare Unterscheidung zwischen Wasserstoff und seinen Derivaten treffen, da dies in der öffentlichen Diskussion häufig vernachlässigt wird.

Leicht transportfähige Wasserstoffderivate wie Ammoniak oder Methanol werden zu einem großen Teil importiert und zunächst auch als solche verbraucht werden (d.h. keine Umwandlung zurück zu H2). Auch wenn wir damit rechnen können, dass Deutschland wettbewerbsfähigen Wasserstoff (nicht dessen Derivate) herstellen wird, wird der Bedarf viel rasanter ansteigen, als der Ausbau von erneuerbaren Energien hinterherkommt.

Zudem sind wir noch weit von einem vollständig dekarbonisierten Stromsystem entfernt – die grünen Elektronen werden hier mindestens genauso dringend benötigt. Zudem hat die Exportstrategie auch mit Geschwindigkeitsgewinn zu tun: Wir parallelisieren den Ausbau an unterschiedlichen Orten und kommen so schneller ans Ziel als über einen eher sequentiellen deutschen Weg.

Kommen wir zur letzten Frage: Können wir grünen Wasserstoff bei uns so günstig produzieren, dass es sich wirtschaftlich rechnet?

Auch hier lohnt es sich wieder, eine Zeitachse aufzuzeichnen: Die Produktion von Wasserstoff ist in dem Moment wirtschaftlich, wenn auf der Nachfrageseite eine entsprechende Abnahme über einen langen Zeitraum für den notwendigen Preis gesichert werden kann. Derzeit befinden wir uns in einer “Supplier’s Market” Situation, das bedeutet, die Nachfrage übersteigt bei weitem die Verfügbarkeit – und das wird auch noch mittelfristig so bleiben.

Selbstverständlich sind nicht alle Abnehmer gewillt, jeden Preis zu zahlen, jedoch sehen wir Anwendungen, in denen die Preissensibilität nicht so hoch ist. Die größten Preistreiber bei grünem Wasserstoff sind die Stromkosten und die Transportkosten. Die Stromkosten sind derzeit noch sehr hoch in Deutschland, allerdings existiert auch noch nicht die diskutierte Infrastruktur, um Wasserstoff kostengünstig zu importieren.

Langfristig werden Transportkosten auch für Importe sinken. Doch darf nicht vergessen werden, dass die heimische Elektrolyse mittel- bis langfristig einen stromnetzdienlichen Zweck erfüllt und somit günstige Überschüsse aufnehmen sowie saisonale Schwankungen ausgleichen kann. Deshalb kann die Wettbewerbsfähigkeit einer heimischen Wasserstoffproduktion sowohl jetzt als auch in der Zukunft als gesichert angesehen werden.

Wir bedanken uns für das Gespräch und in die Einblicke, die Sie uns in die Zukunft der Wasserstoff-Infrastruktur gewähren.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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