Energiewende 20.07.2023, 09:59 Uhr

Wind- und Solarstrom: Resilienz der Stromnetze gesichert?

Wie lässt sich die Resilienz der Stromversorgung sicherstellen, wenn künftig nur noch Strom aus Wind- und Solarenergie zur Verfügung steht? Diese Frage hat ein Forschungsteam in den vergangenen drei Jahren bearbeitet und nun in einem Abschlussbericht beantwortet.

erneuerbare Energien

Wie sieht es mit der Resilienz der Stromversorgung aus, wenn wir nur noch Solar- und Windstrom haben?

Foto: Panthermedia.net/elxeneize

Die Energiewirtschaft ist in einem großen Wandel, irgendwann soll Strom nur noch aus erneuerbaren Energien erzeugt werden. Das heißt, zahlreiche Kohlekraftwerke und andere Großkraftwerke fallen weg. Zugleich muss das Stromnetz genauso zuverlässig bleiben, wie es derzeit ist. Das erfordert eine veränderte Denk- und Verfahrensweise. Ein Team aus Wirtschaft und Forschung hat nun in Rheinland-Pfalz in einem Feldversuch gemeinsam gezeigt, wie ein Windpark gesteuert werden muss, dass er nach einem großflächigen Stromausfall zum Wiederaufbau des Stromnetzes beiträgt. Tests mit einem Solar-Flächenkraftwerk liefen ebenfalls erfolgreich.

Dreijähriges Forschungsprojekt „SysAnDUk“

Gemeinsam haben Expertinnen und Experten des Fraunhofer IEE sowie der Unternehmen ENERCON, Alterric Deutschland, DUtrain und Westnetz in Rheinland-Pfalz einen wichtigen Schritt in Hinblick auf das sichere und leistungsfähige Stromnetz der Zukunft vollzogen. Sie haben gezeigt, wie ein Windpark effektiv gesteuert werden kann, um nach einem großflächigen Stromausfall einen Beitrag zum Wiederaufbau des Stromnetzes zu leisten. Darüber hinaus wurden weitere erfolgreiche Feldtests mit einem Solar-Flächenkraftwerk durchgeführt.

Diese Erkenntnisse sind nun im Abschlussbericht des dreijährigen Forschungsprojektes „SysAnDUk – Systemdienliche Anforderungen an Dezentrale Erzeugungsanlagen zur Unterstützung in kritischen Netzsituationen und des Netzwiederaufbaus“ veröffentlicht worden. Die Ergebnisse bieten wertvolle Einblicke und tragen dazu bei, dass dezentrale Energieerzeugungsanlagen in kritischen Netzsituationen effizient eingesetzt werden können, um das Stromnetz zu stabilisieren und den reibungslosen Netzwiederaufbau zu fördern.

Ausgangslage hat sich durch die Energiewende verändert

„Das deutsche Stromnetz ist eines der zuverlässigsten der Welt. Dennoch ist die Resilienz von großer Bedeutung. Im Falle eines großflächigen Stromausfalls ist sehr entscheidend, dass wir schnell wieder zum Normalbetrieb zurückkehren“, erklärt Holger Becker, Gesamtprojektleiter am Fraunhofer IEE, die Zielsetzung des Forschungsprojektes.

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Die Ausgangsfragestellung ergab sich daraus, dass sich die notwendigen Schritte für einen Wiederanlauf des Stromnetzes im Zuge der Energiewende verändert haben. Durch die Verwendung dezentraler Anlagen ist ein Neustart für die Netzbetreiber erheblich komplexer im Vergleich zu Großkraftwerken. Becker betont: „Windparks und Solarkraftwerke können beim Hochfahren des Netzes einen aktiven Beitrag leisten, das ist technisch anspruchsvoll, aber möglich, wie unsere Feldversuche eindeutig gezeigt haben“.

Projektstrang 1: Feldtest im Windpark

In einem Windpark in Kümpdchen bei Mainz erprobte das Forschungsteam das realitätsnahe Wiederanfahren des Stromnetzes. Im Fokus der Arbeiten stand die zentrale Steuerung des Windparks über die Leitstelle des Verteilnetzbetreibers. Dabei wurden die erweiterten elektrischen Eigenschaften der Anlage getestet, ebenso wie neue Funktionen von Windparkreglern und eine mögliche Integration der Anlage in das Reservemanagement des Netzbetriebs. Ein weiterer wichtiger Aspekt war die Erstellung und Übertragung einer präzisen Prognose der zu erwartenden Einspeiseleistung.

„Akkurate Windprognosen ermöglichen den planbaren Einsatz von Windenergieanlagen im Normalbetrieb und in kritischen Situationen im Netz. Im Projekt wurde eine Prognostik entwickelt, die stör- und schwarzfallrobust in jeder Netzsituation den Netzbetreiber mit aktuellen Daten versorgen kann“, berichtet Lukas Holicki, Projektleiter bei ENERCON.

„Dabei werden Modellrechnungen mit dezentral verfügbaren Beobachtungsdaten kombiniert und anlagenspezifische Eigenschaften und Betriebsdaten genutzt, um den Verlauf der zu erwartenden Einspeiseleistung mit hoher Zuverlässigkeit vorherzusagen. Zusammen mit einer speziell entwickelten Windparkregelung können Windenergieanlagen so zukünftig Systemverantwortung übernehmen und einen notwendigen Beitrag zur Stabilität und Resilienz unserer Stromnetze liefern. Diesen Aufgaben werden wir im Rahmen der Energiewende mit Windenergie begegnen müssen“, so Holicki weiter.

Projektstrang 2: Feldtest mit Solarkraft

Im Rahmen eines weiteren Projektstrangs wurde am Fraunhofer IEE ein Flächenkraftwerk entwickelt, das die Zusammenführung und zentrale Steuerung von Photovoltaikanlagen in einer bestimmten Region erlaubt. Dadurch wird es möglich, eine Vielzahl von Kleinstanlagen über eine zentrale Leitstelle gezielt einzusetzen und dadurch ähnliche Eigenschaften wie bei einem Großkraftwerk zu erzeugen.

Die Flexibilität des Flächenkraftwerks eröffnet dabei besonders in sonnenreichen Situationen interessante Möglichkeiten für eine gezielte Unterstützung des Wiederaufbaus des Stromnetzes. Erste Feldtests des Systems haben bereits gezeigt, wie effektiv und leistungsfähig diese Lösung sein kann.

So erfolgt der Netzwiederaufbau

Nach einem Stromausfall ist es entscheidend, das Stromnetz schrittweise wieder hochzufahren. Hierfür werden zuerst sogenannte schwarzstartfähige Erzeugungsanlagen genutzt, um funktionierende elektrische Inseln zu bilden, die anschließend miteinander verbunden werden. Dieser sogenannte Schwarzstartprozess ermöglicht es, das Netz schrittweise zu stabilisieren.

Nach dem Schwarzstart wird die weitere benötigte Erzeugungsleistung entweder durch Großkraftwerke bereitgestellt oder durch einen Verbund aus mehreren Photovoltaikanlagen und Windparks. Es ist wichtig zu beachten, dass Großkraftwerke in der Regel mit dem Übertragungsnetz verbunden sind, während die meisten Wind- und Photovoltaikanlagen ans Verteilnetz angeschlossen sind. Daher erfordert die Zusammenarbeit beider Netzsysteme im Falle von Störungen eine sorgfältige Koordination.

Den Verteilnetzbetreibern kommt künftig eine aktive Rolle zu: „Die Veränderungen der Erzeugungs- und Laststruktur auf der Verteilnetzebene erfordern neue Fähigkeiten der Verteilnetzbetreiber. Dies gilt bereits für den Normalbetrieb, aber auch für Extremsituationen wie den Netzwiederaufbau“, analysiert Jonathan Bergsträßer vom Fraunhofer IEE die Konsequenzen des Ausbaus der erneuerbaren Energien für das Stromnetz. „Beim Wiederanfahren werden Flächenkraftwerke sowie Anlagenparks zu einem aktiven Werkzeug, um situationsgerechte Entscheidungen zu treffen, umzusetzen und anschließend zu überwachen“, so Bergsträßer.

Technische Anforderungen an dezentrale Stromerzeuger wachsen

Der Betrieb der Stromnetze ist stark von den lokalen Gegebenheiten abhängig und unterscheidet sich dadurch von den abstrakteren Handelsvorgängen am Markt. Während bei der Preisbildung am Markt üblicherweise größere Gebiete pauschal betrachtet werden, kommt es beim Netzwiederaufbau darauf an, dass die dezentralen Einheiten räumlich nahe beieinander liegen und die Netzstruktur berücksichtigt wird. Nur so können Inselnetze effizient aufgebaut werden, indem dezentrale Erzeugungsanlagen wie Zellen miteinander und mit weiteren Einheiten verbunden werden.

Mit dem Fortschreiten der Energiewende steigen die technischen Anforderungen an dezentrale Erzeugungsanlagen. Die Ergebnisse des Verbundvorhabens zeigen, dass die Technik für den netzdienlichen Einsatz von dezentralen Anlagen zuverlässig funktioniert. Allerdings steht diese Technologie derzeit noch nicht standardmäßig in den unteren Netzebenen zur Verfügung. Hierfür sind eine entsprechende Kommunikation und Steuerung notwendig.

Der deutschlandweite Rollout des Smart-Meters mit seiner bidirektionalen Kommunikation wird es Bestandsanlagen ermöglichen, sich an ein Flächenkraftwerk anzubinden und somit Teil des Netzwiederaufbaus zu sein. Zusätzlich kann das künftige 450 MHz Mobilfunknetz eine robuste Kommunikation ermöglichen, die auch während eines Blackouts funktioniert.

Wie geht es weiter?

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung und die Stilllegung von Großkraftwerken bringen insgesamt gesteigerte Herausforderungen für den Betrieb der Stromnetze mit sich, insbesondere hinsichtlich der Netzstabilität beim Wiederaufbau. Es besteht die Notwendigkeit, zusätzliche Lösungen zu entwickeln, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, so die Autoren der Studie. Die Entscheidung über die Durchführung weiterer Forschungsprogramme liegt bei der Politik, die hier maßgebliche Weichenstellungen vornehmen kann, heißt es weiter.

Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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