„Wir sind hier alle bekloppt“
Er kauft und betreibt historische Wasserkraftwerke. „Wasserkraft macht nur im Einklang mit der Natur Sinn“, sagt Bernd Walters.
Auf dem schwarz-weißen Kachelboden stehen Kanister, Kisten und Paletten. Ein riesiges Zahnrad lehnt an einer Tonne mit Wasserturbinenfett. In der Mitte der Halle brummen zwei mannshohe Generatoren. Der Fußboden vibriert. Es riecht nach Öl und warmen Metall.
„Wie kann man so etwas aus der Hand geben?“ Bernd Walters zeigt auf einen der Generatoren, gebaut 1912 von Brown Bowerie Mannheim. Der olivgrüne Lack ist speckig, aber nur an wenigen Stellen abgeplatzt. „Da ist noch die erste Lackierung drauf“, erklärt Walters gegen den Lärm an. Der zweite Generator wurde von Siemens gefertigt, er hat die Fabrik in Berlin 1948 verlassen. Angetrieben von einer Francis- und einer Kaplanturbine, durch die in der Sekunde bei Volllast 40 000 l Wasser fließen, erzeugen beide zusammen etwa 4,5 Mio. kWh elektrische Energie pro Jahr.
„Damit hat das Mannesmann Röhrenwerk in Wickede über zwei Drittel seines Bedarfs selbst produziert“, erklärt Bernd Walters. Doch nach der Übernahme durch Vodafone wurde das Wasserkraftwerk wegen angeblicher Unrentabilität abgestoßen. Heute befassen sich wieder viele Unternehmen mit einer eigenen Energieversorgung.
Bernd Walters hat das Wasserkraftwerk Wickede damals kurzerhand gekauft. Es war nicht sein Erstes. Der Mediziner aus Brilon im Sauerland besitzt siebzehn an der Ruhr und einigen ihrer Nebenflüsse sowie an der Agger im Bergischen Land. Bernd Walters kauft sie von Versorgern wie der RWE, von Industrieunternehmen oder Privatpersonen.
Die 17 Kraftwerke produzieren pro Jahr um die 20 Mio. kWh. Das bringt Bernd Walters dank des Erneuerbare Energien Gesetzes um die 1,8 Mio. €. Doch Geld interessiert den 54-Jährigen nicht. „Meinen Unterhalt verdiene ich in der Arztpraxis. “ Die Einnahmen aus den Einspeisevergütungen steckt er in neue Projekte. „Andere spielen Golf oder Tennis, ich habe meine Wasserkraftwerke. “ Bernd Walters grinst und zupft sich an der grauen Anzughose. Ein aufwändiges Hobby: Meistens gibt es irgendwo einen Baumstamm aus dem Wasser zu ziehen, einen Rechen von Treibgut zu reinigen, einen Generator zu überholen, Lager zu kontrollieren, einen Keilriemen zu wechseln oder schlichtweg den laufenden Betrieb zu überwachen. Anfangs hat Bernd Walters das noch alles selbst erledigt, mittlerweile arbeiten drei Elektriker und ein Schlosser fest angestellt für ihn. Trotzdem ist Bernd Walters noch 25 bis 30 Stunden pro Woche selbst für seine Wasserkraftwerke unterwegs.
„Einige meiner Generatoren und Turbinen haben Kaiserreich, Revolution und zwei Welkriege überstanden – und sie laufen immer noch.“ Bernd Walters lächelt voller Stolz. Die Maschinen wurden für sehr lange Laufzeiten gebaut, alte Turbinen haben zudem kaum geringere Wirkungsgrade als neue.
Doch der große Nachteil der Wasserkraft sind ihre Gestehungs- und Wartungskosten, egal ob man eine neue oder eine alte Anlage betreibt. „Eine Anlage wieder in Gang zu bringen, die zwanzig Jahre stillgestanden hat, kann genauso teuer werden, wie ein Neubau“, erklärt Bernd Walters. „Fast ein Drittel meines Ertrags verwende ich außerdem für Reparaturen, Ersatzteile, Schmierstoffe und Personal.“ Hinzu kommt ein hoher Flächenbedarf für Wehr und Kanäle. Auch die Kraftwerksgebäude müssen unterhalten werden, einige stehen unter Denkmalschutz. Sehr viel Aufwand verursachen die Wasserrechtlichen Genehmigungen und Naturschutzauflagen.
So manche kann Bernd Walters nicht nachvollziehen, etwa wenn er eine Genehmigung beantragen muss, um das Wasser eines Kanals abzulassen. Für die Behörde ist das ein Eingriff in die Natur, weil es sechs Jahre lang nicht abgelassen wurde. Andere Bestimmungen hingegen begrüßt Bernd Walters. Die aufwändige Fischtreppe und die Einschwimmsperre etwa, die er bei dem Wasserkraftwerk in Neheim an der Möhne zum Schutz von Forellen, Eschen und Barben bauen musste.
„Wasserkraft macht nur im Einklang mit der Natur Sinn“, sagt Bernd Walters. Hinter ihm schäumt das Wasser über die großen Felssteine der Einschwimmsperre. „Doch die wenigsten Gegner der Wasserkraft setzen sich auch mit ihren technischen Details auseinander. Eine langsam drehende Turbine zum Beispiel ist für Fische weit weniger gefährlich, als eine mit 300 Umdrehungen pro Minute.“ Seit seiner Kindheit begeistert sich Bernd Walters für Technik. Mit dem Großvater, einem Maschinenbauingenieur, spazierte er an Sonntagen zu den Fabriken in der Umgebung, um deren Maschinen zu bewundern. „Mit der Wasserkraft hat ein Stück alter Technik überlebt.“
Bernd Walters steigt die Steinstufen zu dem Wasserkraftwerk Wickede hinauf. Neben dem Eingang hängt ein Maulschlüssel Größe 80 zum Anziehen der Turbinen-Leitschaufeln. In der Halle wartet Besuch. Christian Heitefuss vom Ruhrverband, einem der Wasserwirtschaftsverbände in Nordrhein-Westfalen, plant zwei Kraftwerke auf bestehenden Wehren. In seiner Freizeit betreibt er mit einem Freund eine Hammerfabrik von 1912. „Wir sind hier alle bekloppt“, sagt der Diplomingenieur. Bernd Walters grinst und nickt. Dann hören die Beiden dem Brummen der Generatoren zu. KLAUS SIEG
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