Alcatel-Lucent: Mit Flatrates lässt sich das deutsche Breitbandnetz nicht ausbauen
Der Netzausrüster Alcatel-Lucent Deutschland hält es nicht für möglich, mit der heutigen Flatrate-Kultur den Ausbau der Breitbandnetze in Deutschland zu finanzieren. Deutschland-Chef Wilhelm Dresselhaus hat deshalb den Versuch der Deutschen Telekom verteidigt, Vielnutzer stärker an den Kosten zu beteiligen.
“Bei Flatrate-Modellen zahlen diese Menschen für Vielnutzer die Zeche mit. Daher ist es angemessen, wenn andere, die 100 Mbit/s und mehr haben wollen, dafür einige Euro mehr zahlen“, sagte Dresselhaus den VDI nachrichten. “Fakt ist: Das jetzige Tarifmodell behindert den Breitbandausbau – das lässt sich durch Volumentarifierung ändern. … Mit der heutigen Flatrate-Kultur wird es keinen Breitbandausbau geben.“
Die Pläne der Telekom, Vielnutzer zu bremsen oder aber finanziell stärker zu belasten, seien im Mobilfunk schon längst Realität. Mobilfunker reduzieren ab einem gewissen Volumen schon längst die Geschwindigkeit, erinnert Dresselhaus. Das jetzige Tarifmodell mit Flatrates werde dazu führen, dass der notwendige Ausbau der Breitbandnetze nicht finanzierbar sei. Mit neuen, breitbandigeren Netzen verdienen die Betreiber nicht automatisch mehr Geld. Sie müssen auf der einen Seite massiv investieren, um überhaupt das Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten, während sie auf der anderen Seite nicht unbedingt steigende Einnahmen haben.
Je nach Standard koste der Ausbau des Breitbandnetzes zwischen 60 und 80 Milliarden Euro. Das kann sich keiner leisten. Deshalb rechnet Dresselhaus damit, dass die Investitionen gestreckt werden.
Das Interview im Wortlaut:
Dresselhaus: Ja, das ist so. Das Datenvolumen wird beispielsweise im Mobilfunkbereich in den nächsten drei bis fünf Jahren um 60 % jährlich anwachsen. Auch wenn das Mobilfunkdaten sind, so müssen sie doch über IP-Netze transportiert werden – dafür brauchen Sie Festnetz.
Ja, und das führt zu einem Dilemma, in dem die Telekommunikationsindustrie gerade steckt. Mit neuen, breitbandigeren Netzen verdienen die Betreiber nicht automatisch mehr Geld. Sie müssen auf der einen Seite massiv investieren, um überhaupt das Geschäftsmodell aufrechtzuerhalten, während sie auf der anderen Seite nicht unbedingt steigende Einnahmen haben.
Telekommunikationsanbieter wie die Deutsche Telekom, France Télécom oder Telekom Austria haben ein historisches Bestandsnetz. De facto handelt es sich um eine Vielzahl unterschiedlicher Netze. Diese zu vereinheitlichen, um dadurch langfristig zu sparen und flexibler zu werden, ist eine Mammutaufgabe. Man muss zunächst investieren, um mittelfristig Kosten zu sparen. Netzbetreiber dagegen, die sich neu im Markt etablieren oder vielleicht nur Kapazitäten kaufen, haben es da leichter. Auch im ländlichen Raum sind weitere Investitionen notwendig. Wir haben zwar jetzt mit LTE im 800-MHz-Bereich eine Abdeckung von mehr als 50 % auf dem Land. Aber, wo es darum geht den einzelnen Haushalt mit Glasfaser anzuschließen, ist das oft mit viel Aufwand verbunden.
Es gibt verschiedene Schätzungen, die sich zwischen 60 Mrd. € bis 80 Mrd. € bewegen – je nach Ausbaugrad – um in Deutschland flächendeckend Fibre-to-the-Home aufzubauen. Das kann sich keiner leisten. Was macht man daher? Man muss versuchen, die Investitionen zu strecken. Auf der anderen Seite sollte man mit neuen Diensten zusätzliche Einnahmen erwirtschaften, aus denen die Investitionen finanziert werden. Mit der heutigen Flatrate-Kultur wird es keinen Breitbandausbau geben.
Absolut. Es wird jetzt viel auf die Telekom geschimpft. Aber sie ist nicht der erste Anbieter, der Volumentarife einführen will. Andere – wie Mobilfunker – reduzieren ab einem gewissen Volumen schon längst die Geschwindigkeit. 60 % der Bevölkerung haben künftig einen sehr hohen Breitbandbedarf für HDTV, Video, Surfen, soziale Netzwerke und mehr. Rund 40 % sind aber auch künftig keine Power-User. Bei Flatrate-Modellen zahlen diese Menschen für Vielnutzer die Zeche mit. Daher ist es angemessen, wenn andere, die 100 Mbit/s und mehr haben wollen, dafür einige Euro mehr zahlen. Fakt ist: Das jetzige Tarifmodell behindert den Breitbandausbau – das lässt sich durch Volumentarifierung ändern.
Nein. Wir sind der Meinung, dass aktuell Vectoring die Antwort ist. Da bei dieser Technik nicht die Straße bis zum Haus aufgegraben werden muss, werden rund zwei Drittel der Investitionen gespart. Vectoring erhöht die Qualität und die Bandbreite – wir gehen bei einer Entfernung von bis zu 500 m zwischen Kabelverzweiger und Hausanschluss von 100 Mbit/s aus.
Vectoring ist letztlich eine Art Entstörung. Ein Beispiel: Wir haben einen Kabelbund, der im Kabelverzweiger ankommt. Dort taucht beispielsweise auf Kabel 36 ein Übersprechen auf Kabel 25 auf. Wir beherrschen eine Technik, mit der wir auf Kabel 25 ein phasenverschobenes Signal schicken, das das Übersprechen neutralisiert. Das funktioniert ähnlich wie bei Piloten-Kopfhörern mit Noise-Unterdrückung. Eine Schwierigkeit: Das Ganze muss in Echtzeit passieren. Darin steckt viel Forschungsarbeit.
Wir sind zurzeit mit rund 40 Netzbetreibern im Gespräch – Schwerpunkt Europa. In vielen Netzen wird Vectoring eingeführt.
Mit Vectoring wird der Wettbewerb wieder ausgeglichen. Und, bedenken Sie: Auch beim Kabel müssen sich die Haushalte die Bandbreite teilen. Das ist übrigens bei der neuen Mobilfunktechnik LTE genauso.
Es ist immer eine Herausforderung, zwei unterschiedliche Netze miteinander zu verbinden. Insbesondere die Verknüpfung von IT-Systemen für den Betrieb ist nicht einfach. Wir haben aber Kunden, die Kabel- und Telekommunikationsnetze unter einem Dach betreiben und zeigen, dass sich diese beiden Netztypen erfolgreich integrieren lassen.
Das hängt von den Ausbauplänen von Vodafone ab.
Viele sagen, dass wir künftig 500 Mbit/s und mehr benötigen. Das Ziel der Bundesregierung lautet: 50 Mbit/s bis 2014 für 75 % aller Haushalte. Ich finde, das ist ein Maßstab, den man erst mal versuchen sollte zu erfüllen.
Nach jetzigem Stand werden die Netzbetreiber das nicht schaffen. Das Thema Vectoring ist ja erst seit einigen Monaten aktuell. Zwischen Planung und Einführung liegen aber Monate.
Im Gegenteil. Ich bin der Meinung, dass Vectoring nach jetzigem Stand den Glasfaserausbau sogar stärken wird. Der Bedarf nach Bandbreite wird weiter geweckt. Eine Familie mit zwei Kindern kommt bei der aktuellen Nutzung – Fernsehen, Surfen, Social Media, Youtube etc. – gut mit 50 Mbit/s hin. Zukünftig werden mehrere Familienmitglieder die Angebote parallel nutzen. Das erfordert mehr Bandbreite. Irgendwann ist dann auch die Vectoring-Technik ausgereizt. Nach unserer Ansicht wird das in etwa zehn Jahren so weit sein. Die Experten vom WIK schätzen, dass im Jahr 2025 rund 60 % der Bevölkerung einen Bandbreitenbedarf zwischen 70 Mbit/s bis 300 Mbit/s haben. Das ist schon eine Menge. Daher muss man parallel immer auch den Glasfaserausbau vorantreiben.
Bei aller Euphorie, die ich auch persönlich für die Vectoring-Technik habe, es ist eine endliche Technik, die uns aber in den nächsten zehn Jahren erst mal gute Dienste leisten wird.
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