Bitcoin: Wie umweltschädlich ist die Kryptowährung wirklich?
Sein schlechter Ruf eilt dem digitalen Asset seit geraumer Zeit voraus: Bitcoin ist schlecht für die Umwelt. Bitcoin ist ein monströser Stromfresser. Bitcoin verbraucht unverhältnismäßig viel Energie. Kurzum: Bitcoin ist ein Klimasünder. Doch trifft das wirklich zu? Aktuelle Erkenntnisse zum Thema werfen ein neues Licht auf Bitcoins Umweltbilanz.
Ist Bitcoin umweltschädlich?
Bitcoins Energieverbrauch dürfte in den Mainstream-Medien neben der Preisentwicklung einer der meistdiskutierten Aspekte der Kryptowährung Nummer 1 sein. Gemeinhin wird davon ausgegangen: Bitcoin schadet der Umwelt. Zu Recht? Hierzu existieren zahlreiche Betrachtungsweisen, ein einfaches Urteil scheint unmöglich. Dieser Beitrag möchte sich den Auswirkungen von Bitcoin auf das Klima deshalb über zwei Fragen annähern:
1. Wie viel Energie verbraucht Bitcoin – und woher kommt sie?
2.: Ist Bitcoin für die Welt nützlich genug, um diese Energieressourcen beanspruchen zu dürfen?
Eine komplexe Thematik, basierend auf zahlreichen Faktoren – so komplex, dass viele Untersuchungen zu völlig unterschiedlichen – und oft voreiligen – Schlüssen kommen. „Jeder, der sich in diese undurchsichtige Debatte einmischt, muss sich mit den Grundlagen befassen, bevor er eine endgültige Bewertung vornimmt“, mahnt deshalb beispielsweise Krypto-Unternehmer Nic Carter. Das klingt ein bisschen nach Kampfansage, und so könnte man es auch verstehen. Gekämpft wird: gegen Halbwahrheiten und tendenziöse Berichterstattung. Carter gilt als einer der meistzitierten Experten zum Thema Bitcoin und Umwelt: Der Amerikaner ist Gründer der Blockchain-Forschungsfirma Coin Metrics Inc., zudem Berater der „Bitcoin Clean Energy Initiative“ und Autor für Bloomberg, CNBC, Euronews oder Yahoo Finance. Darüber hinaus besitzt der Bitcoin-Enthusiast einen Bachelor-Abschluss in Philosophie von der Universität St. Andrews und einen MSc-Abschluss in Finanzen von der Universität Edinburgh. Carter hat sich einen Platz als feste Größe innerhalb der Krypto-Branche erarbeitet – sein Wort hat Gewicht, wird viel zitiert. Seit Jahren widmet er sich der Materie, nimmt unermüdlich zu Fehlinformationen Stellung – mit wachsendem Erfolg. „Ich denke, dass die Menschen den Nutzen von Bitcoin besser verstehen, wenn sie einige der Daten berücksichtigen“, so der Unternehmer im Interview.
Bitcoin verbraucht mehr Strom als Finnland
Doch welche Daten sind relevant, um sich einen Eindruck über Bitcoins Auswirkungen auf die Umwelt zu verschaffen? Wie viel Energie benötigt das Bitcoin-Netzwerk überhaupt? Berühmt für Zahlen zu Bitcoins Energieverbrauch ist mittlerweile die englische Cambridge Universität. Der zufolge wird Bitcoin 2021 insgesamt rund 115 Terawattstunden (TWh) verbrauchen. Zum Vergleich: Laut Bundesumweltamt kam Deutschland 2020 auf insgesamt mehr als 551 Terawattstunden. Im Nachbarland Frankreich wurden im gleichen Zeitraum 500 Terawattstunden Strom erzeugt. Das deutlich kleinere Finnland hingegen kommt 2019 auf 84,2 TWh, Belgien auf 82,1 TWh. Angesichts dieser Zahlen scheint der Fall eindeutig: Bitcoin verbraucht fast doppelt so viel Energie wie ein Land – das muss zu viel sein. Der Vergleich hinkt allerdings. Denn: Lässt sich Bitcoins Stromverbrauch beurteilen, ohne präzise zu prüfen und zu berücksichtigen, wofür diese Energie genutzt wird? Oder, anders formuliert: Ist es möglich, Bitcoins Auswirkungen auf die Umwelt einzuschätzen, ohne ein tieferes Verständnis davon zu besitzen, wie Bitcoin funktioniert – und für was er gebraucht wird? Oft angeführt wird auch der angeblich enorme Kohlenstoff-Abdruck. Carter klingt verzweifelt, schreibt: „Ich sage den Leuten immer wieder, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen dem Energieverbrauch und der damit verbundenen Kohlenstoffintensität dieser Energie. Nur wenige hören zu.“ Wer glaube, den relativ bekannten Energieverbrauch linear auf die Kohlenstoffintensität dieser Energie (die im Moment nicht bekannt sei) extrapolieren zu können, mache sich etwas vor. „Man kann ein Modell erstellen, das von verschiedenen Energiemixen ausgeht, das ist das Beste, was man derzeit tun kann.“
Fakt ist: Bitcoin braucht viel Strom. Unbestritten. Aber verbraucht er tatsächlich „zu viel“ Strom, wie Kritiker bemängeln?
2.000 Terawattstunden pro Jahr für Klima-Anlagen
Krypto-Umweltexperte Carter betont: Auch Klima-Anlagen, Heizungen, Geschirrspüler, Wäschetrockner und andere Dingen des alltäglichen Lebens verbrauchen massiv Strom – jedes einzelne davon sogar weitaus mehr als Bitcoin. Auf Wäschetrockner für den Hausgebrauch beispielsweise entfällt weltweit die doppelte Menge Energie (für industrielle Geräte ergibt sich eine noch nachteiligere Bilanz). Auf Kühlschränke sogar das Zehnfache. Klima-Anlagen kommen Carter zufolge auf sage und schreibe 2.000 Terawattstunden pro Jahr. Auch wenn man den gesamten Energieaufwand des Finanzsektors zusammenzählen würde, käme man zu der Feststellung, dass „er viel, viel größer ist als der Energieverbrauch von Bitcoin“. Schätzungen von 2015 vermuten Werte von 100 TWh allein für Banken – pro Jahr. Von den Stromkosten für Netflix oder die Weihnachtsbeleuchtung ganz zu schweigen. Über die genannten Verbrauchsquellen würde sich aber niemand beschweren, da ihr Nutzen offensichtlich sei: „Wenn die Kritiker also über den Energieverbrauch von Bitcoin sprechen, ist der Hintergedanke, dass Bitcoin keinen Nutzen hat.“ Carter ergänzt: Man kann nicht über die Kosten oder den Energieverbrauch diskutieren, ohne den Zweck und die Vorteile des Systems zu berücksichtigen. Ist Bitcoin also „nützlich genug“?
Schlussendlich bleibt es Ansichtssache, ob man ein nichtstaatliches, unzensierbares sowie weltweit hürdenlos einsetzbares Zahlungsmittel für finanzielle Inklusion nützlicher findet als Wäschetrockner und Geschirrspüler. Es scheint sich aber abzuzeichnen, dass Bitcoin seinen Platz in der Gesellschaft beibehalten wird. Perspektivisch relevant erscheint unter Umweltgesichtspunkten folglich insbesondere eine Frage: Woher kommt der Strom fürs Bitcoin-Mining?
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Elon Musk: die Bitcoin-Kehrtwende
Spätestens seit Elon Musks öffentlichkeitswirksamer Bitcoin-Umwelt-Kritik Mitte Mai 2021 sind viele von der negativen Klimabilanz des Assets überzeugt. Damals ließ der Tesla-CEO Millionen Twitter-Follower wissen: Sein Unternehmen werde erst dann wieder Bitcoin-Zahlungen akzeptieren, „wenn es eine Bestätigung für eine angemessene (~50%) saubere Energienutzung durch Miner mit positivem Zukunftstrend gibt“. Das brachte zwar den Bitcoin-Kurs spektakulär zum Absturz, hatte aber auch positive Folgen: Musks Forderung machte „grünes Mining“ umgehend populär und führte zudem zur Gründung des sogenannten Bitcoin-Mining-Rates („Bitcoin Mining Council“). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss nordamerikanischer Miner und zahlreicher Bitcoin-Unternehmen. Deren Ziel: Bitcoin-Mining umweltfreundlicher zu gestalten. Das gelingt beispielsweise durch die Nutzung sauberer Quellen wie geothermaler Energie oder Wasserkraft. Kritiker befürchten zwar mangelnde Objektivität, da viele der Rats-Mitglieder ein gesteigertes finanzielles Interesse an Bitcoins Erfolg besitzen. Allen voran womöglich MicroStrategy-CEO Michael Saylor. Dessen Firma hält 105,085 Bitcoins (Stand Juni 2021), er selbst weitere 17.732 BTC. Die Analysen und Berichte des Rates werden allerdings streng geprüft – sowohl von Bitcoin-Gegnern als auch -Befürwortern, darüber hinaus von den Medien und der akademischen Fachwelt. Auch der Rat selbst bespricht die Ergebnisse regelmäßig ausführlich online.
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Some have asked how much #BTC I own. I personally #hodl 17,732 BTC which I bought at $9,882 each on average. I informed MicroStrategy of these holdings before the company decided to buy #bitcoin for itself.
— Michael Saylor⚡️ (@saylor) October 28, 2020
Bitcoin-Mining wird grüner
Im Report zum dritten Quartal 2021 kommentiert der Verbund nun: Die Mitglieder des Rates würden derzeit Strom mit einem nachhaltigen Mix von 65,9% nutzen. Daraus ergäbe sich für die weltweite Bitcoin-Mining-Industrie beim nachhaltigen Strommix ein Anstieg auf 57,7%. Das wiederum entspricht einem Zuwachs um 3% gegenüber dem vorigen Quartal und eine deutliche Steigerung gegenüber den von Elon Musk geforderten 50%. Bitcoin wird folglich mit einem höheren Mix an nachhaltiger Energie betrieben als jedes andere große Land und jede andere bedeutende Industrie. Auch das Bitcoin-Verbot in China und der anschließende Miner-Exodus brachte Bewegung in die Branche. Bitcoin-Bulle Michael Saylor spricht von „dramatischen Verbesserungen der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit des Bitcoin-Minings“ – unter anderem aufgrund von Fortschritten in der Halbleitertechnologie und der weltweiten Umstellung auf moderne Mining-Techniken. Bereits im September 2020 kam eine Untersuchung des Cambridge Center for Alternative Finance zu einem positiven Ergebnis. Demnach habe das Bitcoin-Netzwerk zum Zeitpunkt der Analyse 39% aus erneuerbaren Energien verbraucht. Gleichzeitig hätten 76% der Miner „in irgendeiner Form“ erneuerbare Energien genutzt. Stimmen die Zahlen, enthält Bitcoins Energiemix folglich von Jahr zu Jahr weniger Kohlenstoff. Dem Weltwirtschaftsforum zufolge könnte Bitcoin zudem genutzt werden, um überschüssige erneuerbare Energien zu speichern, beispielsweise von Haushalten. Eine weitere optimistische Perspektive.
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El Salvador – der Green-Mining-Pionier
Es zeigt sich: Das Bitcoin-Netzwerk könnte womöglich nicht nur weniger umweltschädlich sein als vermutet – es bietet darüber hinaus auch wirksame Anreize für die Erzeugung sauberer Energien. Jüngstes Beispiel: El Salvador. Das zentralamerikanische Land hat Bitcoin im September per Gesetz zum Zahlungsmittel erklärt, nun schürft man dort bereits auf grüne Weise Bitcoins – und zwar per Vulkan-Energie. Gerade erst wurde eine entsprechende Mining-Farm in Betrieb genommen. Bitcoin-Mining per geothermaler Energie: Das sei absolut sauber, komplett erneuerbar und ganz ohne Emissionen, so Präsident Nayib Bukele. Gleichzeitig lockt er auf Twitter Bitcoin-Miner in sein Land, verweist dabei auf Traum-Strände, schwärmt von Immobilien in Top-Lage und verspricht steuerliche Vergünstigungen. Bitcoin und die Umwelt, so scheint es, werden womöglich doch noch Freunde.
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