Mobilfunknetze 11.01.2013, 10:28 Uhr

„ComGreen“ fördert energieeffizienten Mobilfunk

Im Förderprojekt „ComGreen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie haben Forschungsinstitute, Hochschulen und Mobilfunkunternehmen seit 2011 technische Ansätze für energieeffiziente Mobilfunknetze gesucht. Die Abschlusspräsentation in Berlin zeigte, dass enorme Einsparpotenziale in den Netzen schlummern. Doch es wird dauern, sie zu heben. Denn die bisherige Hardware ist für intelligente Steuerungen zu träge.

Wer würde es heute noch akzeptieren, wenn das Wasser rund um die Uhr mit Hochdruck aus der Leitung schösse? Ohne Möglichkeit, den Schwall zu unterbrechen, geschweige denn, ihn per Armatur bedarfsgerecht zu regulieren? – Genau das ist der Status quo im Mobilfunk. Die Sender funken rund um die Uhr mit Höchstleistung, ganz gleich, ob und wie viele potentielle Nutzer in den Funkzellen unterwegs sind. Steuerungsmöglichkeiten? – Fehlanzeige.

Was den Kunden störungsfreies mobiles Telefonieren und Surfen erlaubt, sorgt für enormen Stromverbrauch. Um etwa 2 Mio. Nutzer in einem Bundesland wie Hessen lückenlos mit den Funkstandards GSM, UMTS, LTE und WLAN zu versorgen, sind beim aktuellen Stand der Technik 300 MWh pro Tag nötig.

Mobilfunkausrüster Ericsson simuliert Einsparpotentiale in Mobilfunk-Netzen

Laut Simulationen, die der Mobilfunkausrüster Ericsson im Forschungsprojekt „ComGreen“ durchgeführt hat, würden theoretisch 75 MWh reichen. „Die Voraussetzung dafür wäre Last-adaptive Technik an allen Basisstationen und Transportknoten“, sagte Ericsson-Ingenieur Jörg Aelken jüngst beim Abschluss-Workshop des BMWi-geförderten Projekts in Berlin und meinte damit angepasste Regelungen.

Zwei Jahre haben Forscher der TU Berlin, der Uni Paderborn, der Fraunhofer-Institute HHI und Fokus sowie von Ericsson und den Telekom Innovation Laboratories in dem Projekt Lösungen gesucht, um den Energiehunger des Mobilfunks zu zügeln. Aelkens Hessen-Modell führt deren Ergebnisse und Teilsimulationen zusammen. Es zeigt, was möglich ist.

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Am Versuchsaufbau einer Last-adaptiven Netzinfrastruktur verdeutlichte Telekom-Entwickler Nico Bayer allerdings, dass der Weg von 300 MWh/Tag auf 75 MWh/Tag weit ist. Sein Aufbau: zwei Notebooks, auf denen hochauflösende Videos liefen, ein „Transportnetz“ mit drei Switches und ein WLAN-Router. Wird ein Video gestoppt, reagiert die Intelligenz im Netz auf den reduzierten Kapazitätsbedarf. Ein „Power-Management-Controller“ schaltet das Netz zwischen „Nutzer“ und Router nach wenigen Sekunden komplett ab.

Stromverbrauch im Mobilfunk ließe sich halbieren

Der Stromverbrauch halbiert sich, ohne dass der Nutzer es bemerkt. Damit er störungsfrei weiter surfen kann, wird er vorübergehend an die aktive Netzseite übergeben. Braucht er wieder mehr Bandbreite, schaltet der Controller den deaktivierten Netzteil wieder aktiv.

Das Problem: Schon das Aktivieren im Modell dauert fast 90 s und braucht Strom. Bei realen Mobilfunk-Basisstationen dauert das Wiederhochfahren eine halbe Stunde. „Die bisher eingesetzte Hardware ist nicht auf adaptiven Betrieb, sondern auf Höchstleistung ausgelegt“, berichtete Bayer. Reaktionszeiten von 1 s seien machbar. Doch bisher war das in den Lastenheften der Netzbetreiber nicht gefordert. Erst wenn sich das ändert, wird Last-Anpassung, -Adaption, möglich. Allerdings erwarten die Forscher, dass die träge Hochleistungstechnik im Zuge ohnehin fälliger Reparaturen oder Neuinstallationen nur schleichend ersetzt wird.

Der Mobilfunk braucht also einen langfristigen und durchdachten Diätplan. Durchdacht muss er sein, weil die Steuerung realer Netze ungleich komplexer ist als im Versuchsaufbau. Sie setzt Lastmessungen in Echtzeit und exakte Prognosen des Nutzerverhaltens voraus. Um Basisstationen rechtzeitig zuschalten zu können oder Nutzer einer abgeschalteten Funkzelle störungsfrei an die Umliegenden zu übergeben, muss die Kapazitätsentwicklung anhand von Vorhersagemodellen mehrere Minuten vorausgeplant werden. Und zwar für über 120 000 Basisstationen im Bundesgebiet.

Intelligente Steuerung soll Mobilfunk-Netze sparsamer machen

Klar ist: Intelligente Steuerung ist nur mit Echtzeitverarbeitung gewaltiger Datenmengen und hoch entwickelten Algorithmen zu machen. „Schon bei 80 Basisstationen und 400 Nutzern würde es länger dauern, als das Universum alt ist, sämtliche Kombinationsmöglichkeiten durchzuprobieren“, verdeutlichte Emmanuel Pollakis die Komplexität.

Der Ingenieur hat am Heinrich-Hertz-Institut Algorithmen entwickelt, die diese Aufgabe in 30 s bewältigen. Sie sind die Grundlage für energetisch und funktional optimiertes Zu- und Abschalten der Basisstationen von Makro-, Mikro- und Pikozellen der unterschiedlichen Funkstandards. Fernziel: optimale Bandbreitenversorgung der Nutzer mit möglichst geringem Energieeinsatz.

Im Kleinen testen die Telekom Innovation Laboratories ein adaptives Netz mit 40 Nutzern. „Wir sammeln Informationen in den einzelnen Endgeräten und verfolgen so, wie viele Clients verbunden sind, wie viel Traffic sie verursachen und welche Dienste sie gerade nutzen“, so Telekom-Entwickler Sebastian Göndör. Man sammle Basiswissen, etwa um künftig aus den genutzten Internetprotokollen auf den Bandbreitenbedarf schließen und so Regeln für die Netzsteuerung ableiten zu können. „Sind in einem Gebiet viele Nutzer in eher breitbandigen Protokollen unterwegs, verbietet sich das Abschalten von UMTS- oder LTE-Zellen dort von vornherein“, weiß Göndör.

Echtzeitanalyse von Endgeräten in Mobilfunk-Netzen bringen neue Erkenntnisse

Neben Echtzeitanalyse von Endgeräten füttern die Entwickler ihre Steuerungsalgorithmen mit Datenanalysen Tausender Basisstationen. Die Erfahrungswerte sollen Prognosen des Mobilfunkverkehrs für die nächsten Stunden oder für Tagesverläufe ermöglichen. Auch das soll helfen, das Miteinander der Sender und Mobilfunkstandards in verschieden großen Zellen bedarfsgerecht zu steuern und zu entscheiden, ob und welche Sender abgeschaltet oder in ihrer Leistung herabgesetzt werden.

Letztere Option hat Benjamin Schubert am Heinrich-Hertz-Institut untersucht. „Allein durch vorübergehendes Herabsetzen der Sendeleistung kann der Stromverbrauch um 30 % gesenkt werden“, berichtete er. Hier schlägt vor allem geringerer Kühlbedarf zu Buche. Hintergrund: Die Verstärker der Sender nutzen kaum 40 % der Eingangsleistung. Der Rest geht als Wärme verloren, die zugunsten der Lebensdauer weggekühlt werden muss. Wird die Sendeleistung reduziert, bleiben die Wirkungsgrade zwar schlecht, doch bei reduzierter Eingangsleistung wird weniger Strom in Wärme umgesetzt. Der Kühlbedarf sinkt.

Noch ist das bloße Theorie: Selbst in modernen UMTS- und LTE-Netzen wird permanent mit Höchstleistung gesendet. Das Wiederhochfahren abgeregelter Verstärker würde zwar nur Millisekunden dauern, doch auch hier hapert es an der Hardware. Umschalten in den Sparmodus ist nicht vorgesehen.

Zumindest hat „ComGreen“ aufgezeigt, dass mit weniger Energieaufwand gleichbleibende bis steigende Datenraten machbar sind. Letzteres haben die Ericsson-Forscherinnen Mai-Anh Phan und Laetitia Falconetti mit dynamischen Zu- und Abschaltstrategien für Pikoknoten in Makrozellen gezeigt. Sie setzen deren Sender bei wenig Verkehr in Schlafmodus und nehmen sie bei steigender Nachfrage unmittelbar in Betrieb. So sind stets hohe Datenraten verfügbar, obwohl teils nur Pikoknoten à 110 W Eingangsleistung senden, während die Makrozelle mit 1200 W ruht.

Voraussetzung dieser Strategie: Die Nutzer sammeln sich an wenigen Hotspots. „Sind sie homogen verteilt, ist es aus energetischer Sicht sinnvoller, statt vieler Pikoknoten eine große Zelle hinzuzufügen“, erklärte Mai-Anh Phan. Wobei keine zusätzliche Basisstation, sondern nur zusätzliche, bei Bedarf zu- und abschaltbare Antennen nötig sind. Effekt: bis zu 25 % weniger Stromverbrauch bei verbesserter Netzversorgung. Zudem können Netzbetreiber so Basisstationen teilen, was den Bedarf an Kühlenergie, die Hardwarekosten und nebenbei auch den Installationsaufwand deutlich reduziert.

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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