Das Zeitalter der Roboter erfordert Reformen
Wir leben in einer Zeit, in der Science-Fiction Realität wird. Wir werden die Einführung denkender Roboter erleben. Dessen ist sich Toby Walsh, Professor für künstliche Intelligenz an der University of New South Wales in Australien, sicher. Doch wir sind darauf nicht vorbereitet.
„Wenn Maschinen denken können, dann tun sie das vielleicht auf intelligentere Weise als wir, und was wird dann aus uns?“, fragte Alan Turing, britischer Kryptoanalytiker und Wegbereiter des Forschungsgebietes der künstlichen Intelligenz, in einem Radiobeitrag der BBC. Das war 1951.
Künstliche Intelligenz, lernende Maschinen, denkende Roboter – bald schon sind sie überall, allgegenwärtig. So zumindest sieht der KI-Professor Toby Walsh die nicht allzu ferne Zukunft und fordert dafür einen „Schock, der gesellschaftliche Reformen anstößt“. In seinem heute erscheinenden Buch „It’s alive. Wie Künstliche Intelligenz unser Leben verändern wird“, analysiert Walsh die Entwicklung denkender Maschinen und liefert selbst Prognosen zu den Fähigkeiten künstlicher Intelligenz im Jahr 2050.
Fortschrittsglaube statt Technikkritik
Wehe dem, der vor dem Verlust von Arbeitsplätzen durch intelligente Maschinen warnt. Wehe dem, der die Vertiefung gesellschaftlicher Gräben durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz anprangert. In Deutschland ist es nicht leicht, Kritik an einer aufkommenden Technologie zu äußern, ohne als rückwärtsgewandt abgestempelt zu werden. Dabei verhindert die Tendenz, Kritik an der künstlichen Intelligenz im Keim ersticken zu wollen, einen offenen Dialog. Der bei eben diesem Thema, das uralte Ängste schürt und dem man das Potenzial für tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen kaum absprechen kann, so wichtig wäre. Diesen Dialog möchte Walsh einfordern und mit seinem Buch liefert er dafür einen Anstoß.
Walsh zitiert den Humanisten Neil Postman, der 1998 fünf Lektionen auf früheren technologischen Neuerungen gezogen hat. Eine davon lautet: Alles hat seinen Preis. Technologie bringe immer Vor- und Nachteile mit sich, wobei völlig unklar sei, welche der beiden Seiten überwiegt. Wichtig sei es daher, vor der Einführung neuer Technologien zu überdenken, was sie zunichtemachen könnten. Nicht, um Panik vor dem großen Wandel zu schüren, sondern um auf die unausweichlichen Veränderungen vorbereitet zu sein. Nur wenn wir ehrlich auch über die negativen Folgen der künstlichen Intelligenz für Gesellschaft und Arbeit sprechen, so Walsh, können wir sie mitgestalten.
Dennoch: Künstliche Intelligenz erfordert Reformen
Und welche Folgen sieht Walsh auf uns zukommen? Neben dem Nutzen, der aus seiner Sicht eindeutig überwiegt, hat die künstliche Intelligenz laut Walsh u.a. das Potenzial, Arbeitsplätze zu vernichten, die Privatsphäre zu gefährden und die Ungleichheit zu vergrößern. Dabei werden einige mehr und einige weniger betroffen sein. Es sei daher heute unsere Pflicht, herauszufinden, wer zu den Verlierern zählen wird. Denn nur wer um diese Veränderung weiß, kann auf sie reagieren: etwa mit Weiterbildung, wie sie überall und allerorten gefordert wird. Aber auch „in unserem Steuerrecht, dem Sozialsystem sowie dem Renten- und Bildungssystem“, so Walsh. Und damit sollten wir uns nicht allzu viel Zeit lassen, denn eine weitere Lektion Postmans besagt, dass technologische Veränderungen sich nicht in kleinen Schritten vollziehen, sondern sehr abrupt sein können.
Die industrielle Revolution habe einen Wohlfahrtsstaat geschaffen, von dem wir noch heute profitieren. Die anstehende Wissensrevolution bedürfe einer ebenso tiefgreifenden Veränderung. Walsh greift die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens auf, die mittlerweile auch von vielen Technokraten gefordert wird. Zwar gebe es „weniger radikale Alternativen. Aber ob diese Schritte ausreichen, um die kommenden Veränderungen abzufedern, ist fraglich“.
Ein Weckruf – für die Chancen künstlicher Intelligenz
Walsh zählt keineswegs zu den großen Skeptikern der künstlichen Intelligenz, wie es Elon Musk ist und Stephen Hawking zeitlebens war. Beide warnten vor künstlicher Intelligenz als „existenzieller Bedrohung für die Menschheit“. Der gebürtige Brite ist viel eher Realist – er weiß um die Vorzüge, er betrachtet die großen Technologieschritte in der Vergangenheit, um die notwendigen Weichenstellungen zu erkennen und er ist sich der Gefahren durch künstliche Intelligenz bewusst.
Mit seinem Buch legt er eine Warnung, einen „Weckruf“, wie selbst sagt, vor. Er erhebt dabei nicht den Zeigefinger und formuliert keine Anklagen. Im Stile des Dokumentarfilmers dämpft er allzu kühne Prognosen bezüglich der Fähigkeiten einer lernenden Maschine. Sie „hat keine Wünsche. Es ist ein Computerprogramm und kann ausschließlich das, wofür es programmiert wurde“. Und obwohl er davor warnt, die künstliche Intelligenz zu überschätzen, zielt seine noch größere Warnung darauf, den Einfluss der künstlichen Intelligenz auf die Gesellschaft und die Arbeitswelt zu unterschätzen. Er plädiert für eine offene und ehrliche Debatte, um auf die Veränderung, die die Zukunft der künstlichen Intelligenz bringt, heute adäquat reagieren zu können.
Und er liefert selbst Prognosen zu den Fähigkeiten künstlicher Intelligenz im Jahr 2050. Darunter die Vorhersage, dass autonome Fahrzeuge so weit entwickelt sein werden, dass der Mensch selbst gar nicht mehr ans Steuer darf. Stattdessen werden wir „mehr und mehr Zeit in Welten verbringen, die es nicht gibt“ – und schließlich den Tod überdauern. Ob man sie für allzu kühn oder wenig erstrebenswert hält, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Klug argumentiert sind sie allemal und sie erfüllen ihren Zweck: Die Augen vor den uns bevorstehenden Umstürzen zu verschließen, wird demjenigen, der dieses Buches gelesen hat, jedenfalls nicht mehr gelingen. Und so sollte es zur Standardlektüre von Politikern und Gesellschaftstheoretikern werden ebenso wie es in jede Stadtbibliothek gehört. Denn dieses Thema geht uns alle an.
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