„Der effizienteste Ansatz, um das Stromnetz intelligent zu machen“
Der US-amerikanische Technologiekonzern 3M soll sich unter der Regie seines schwedischen CEO Inge Thulin mehr in Richtung Nachhaltigkeit orientieren. Neu geschaffen wurde dafür das Geschäftsfeld Smart Grids. Paul Wienen, Europachef dieses Bereiches, erklärt im Interview mit den VDI nachrichten, wo er Marktchancen sieht und wie 3M die drängendsten Probleme der Kunden lösen will.
Wienen: Wir haben, gerade was die Energietechnik angeht, traditionell immer schon einen Schwerpunkt in Europa gehabt. Für einen weltweit agierenden Konzern wie 3M – mit der Zentrale in den USA – stellt sich immer die Frage, wie die Balance zwischen den Regionen aussieht.
Das ist die Botschaft unseres CEO Inge Thulin: Wenn es darum geht, die Technologieentwicklung voranzutreiben, spielt Europa dabei eine zentrale Rolle. Denn hier sind auch die Forschungszentren vieler anderer Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten. Deswegen gibt es sicher auch eine regionale Schwerpunktsetzung in Richtung Europa.
Dies gilt speziell für den Bereich Smart Grid, der eine Konversion einer Reihe von Technologien bedeutet. Das ist derzeit das Spannende für uns: einen traditionell sicherheitsorientierten Sektor wie die Energietechnik beim Übergang hin zu smarten Technologien zu unterstützen.
Die Dringlichkeit teilen uns unsere Kunden mit. Für sie ist es wichtig, wie sie ihre Klimaschutzziele europaweit erfüllen können, wie eine beschleunigte Roadmap aussehen kann. Es stellt sich für sie die Frage, wo der effizienteste Ansatz ist, um das Netz intelligent zu machen.
Die Ausgangssituationen und damit auch die dringlichsten Fragestellungen sind, sieht man sich Europa an, regional sehr unterschiedlich. Einige Länder haben sehr stark mit Smart Metering begonnen, Deutschland hat zum Beispiel einen Vorsprung im Bereich der erneuerbaren Energien. Genau da müssen wir unsere Kunden jeweils abholen. Eine der wichtigsten Fragestellungen ist dabei, wo wir die bestehende Energieinfrastruktur möglichst effizient ertüchtigen können. Wir erkennen übergreifend gewisse Reihenfolgen, nicht alle Themen werden gleichzeitig angegangen.
Was kurzfristig in allen europäischen Ländern derzeit passiert, ist, dass das Stromnetz auf der Mittelspannungsebene in einem ersten Schritt intelligent gemacht werden muss, da ist der größte Schmerz. Dafür haben wir Mitte Juni auf dem Energie-Fachkongress CIRED in Stockholm unsere Sensored Cable Accessories vorgestellt. Das ist eine neuartige Mittelspannungs-Anschlussgarnitur mit integrierter Mess-Sensorik. Damit lassen sich in Ortsnetzstationen – quasi als Nachrüstbausatz – Parameter wie Energiefluss und Richtung, Höhe der Spannung und Frequenz kontinuierlich in Echtzeit messen.
Jetzt stellt sich die Frage, was mit den gesammelten Daten passiert. Es gibt vorhandene Systeme, um diese Daten zu transportieren und zu analysieren. Aber was ist dafür der jeweils effizienteste Ansatz? Was ist die Phase zwei in puncto Erfassung und Automatisierung eines Stromnetzes auf der Mittelspannnungsebene?
Auch stellt sich die Frage, wie bereits vorhandene Smart-Grid-Elemente entwicklungsfähig gemacht werden können. So erfüllen zum Beispiel die Smart Meter in Italien, die dort massenweise installiert sind, nicht mehr die Anforderungen der Zukunft.
Wir haben zum Beispiel einen Bereich Telekommunikationstechnik im Hause und wir schauen konkret, wie wir die dort bestehenden jahrzehntelangen Erfahrungen gezielt für den Bereich Smart Grids und diese Fragestellung nutzen können.
Wir sind gerade dabei, zu eruieren, was genau die Bedarfe der Energieversorger an dieser Stelle sind. Ist die zentrale Leitstelle auch für die Mittelspannung die beste Lösung oder müssen wir auch über andere Wege nachdenken?
Der Ansatz unserer Kunden ist zum Beispiel: Wie und inwieweit könnte ein lokales Stromnetz sich nicht autark automatisch steuern, wenn zum Beispiel eine Überspannung auftritt? Das sind die spannenden Diskussionen, die jetzt geführt werden. Der „Big-Data-Wunsch“ kommt aus den Hochspannungsnetzen, wo es heute schon die großen Leitzentralen gibt, aber wenn wir Richtung Mittel- und Niederspannungsnetze gehen, stellt sich irgendwann die Frage der Praktikabilität solch eines Szenarios.
Wir bieten im Telekommunikationssektor schon lange ein Managementsystem für Außengehäuse an, eine softwarebasierte Lösung für das Monitoring von Telekommunikationsgehäusen im Feld. Das ist jetzt ein konkreter neuer Schritt, wo wir derzeit mit Kunden im Strombereich an neuen Lösungen arbeiten.
Ein nächstes Thema ist die Stromspeicherung. Welche Technologien sind dort am aussichtsreichsten auf den unterschiedlichsten Ebenen. Auch da sind wir gerade frisch eingestiegen. Mit der Batterietechnik sind wir – aus der Consumer-Elektronik kommend – seit Jahren unterwegs.
Jetzt geht es darum, wie wir zum Beispiel unsere Lithium-Ionen-Technologie dort am besten in bestimmten Segmenten einsetzen können. Aber auch im Mittelspannungsbereich, wenn man etwa an die Anbindung von Windparks denkt, muss man in Zukunft über Stromspeicherung sprechen.
Nein, zwar schauen wir da hinein, weil Power-to-Gas ein Thema ist, das immer wieder aufkommt, aber wir sind technologisch nicht beteiligt. Natürlich müssen wir uns die verschiedenen Alternativtechnologien und -szenarien anschauen, um das bewerten zu können.
Ebenso wie das Thema Brennstoffzelle, das wir technologisch seit Jahren verfolgen. Das evaluieren wir derzeit, weil wir von der Membrantechnologie her kommen, die auch im Stromspeichersektor zum Einsatz kommen könnte.
Es geht darum, ob man nicht eine effizientere Roadmap braucht als bisher. Es gibt ja in der EU die Roadmap bis 2020; sie ist Top-down vorgegeben, beginnt mit dem Smart Meter und geht Schritt für Schritt weiter. Was wir mit den Kunden derzeit diskutieren, ist: Wenn wir jetzt noch 360 Wochen bis 2020 haben, wie muss dann eine effizientere Roadmap aussehen?
Wenn man den Trend der Dezentralisierung hinzunimmt, dann kann es aus meiner Sicht nicht mehr eine einheitliche Roadmap geben, sondern dann ist es ein Bottom-up-Approach. Der stellt aber die Systeme vor die Herausforderung, dass die unterschiedlichen Ansätze am Ende wieder miteinander integriert werden müssen es sollen ja Standards gesetzt werden. Wie das funktionieren kann, ist eine spannende Frage.
Das hoffe ich. Das hängt davon ab, wie die Geschäftsentwicklung ist. Die Stärke, die wir in Europa haben, ist die Entwicklungskompetenz für neue Lösungen im Bereich Smart Grids.
Das ist die deutsche Sicht. Deutschland hat im Bereich erneuerbare Energien sehr viel vorangebracht. Aber ich bekomme als Europa-Verantwortlicher auch die Situation in den anderen Ländern mit. Und da gibt es eine erhebliche Dynamik im Markt, von der ich glaube, dass sie im europäischen Verbund mittelfristig auch Deutschland wieder abholen wird.
Ein Beitrag von: