Die magische Sache mit den Nobelpreisen
Rainer Fechner, Vorstandsmitglied beim Netzausrüster Alcatel-Lucent, leitet die deutschen Bell Labs und ist stolz darauf. „Es gibt kein privates Forschungsinsti- tut, das so viele Nobelpreisträger hervorgebracht hat.“ Die Forscher dort wissen, was am Markt passiert. „In ihren Köpfen ist verwurzelt, dass wir nur durch Innovation überleben können.“
Stuttgart, Nürnberg, Berlin. Dann mal wieder nach Brüssel, um Forschungsanträge zu stellen, zum Vorstand nach Paris oder nach Murray Hill, New Jersey/USA, um sich mit den Forschungskollegen abzustimmen. Kein Zweifel: Rainer Fechner ist ein Reisender in Sachen Innovation.
Der Chef der deutschen Bell Labs macht das seit etlichen Jahren und bemerkt: „Es ist eigentlich egal, wo man wohnt und wo man arbeitet.“ Einzig die Wochenenden sind dem Forschungschef heilig. Da haben die Familie und damit Berlin oberste Priorität. Vielleicht auch das eine Quelle der beeindruckenden Ruhe, die der umtriebige Forschungsmanager ausstrahlt.
Unweit des Porschemuseums in Stuttgart-Zuffenhausen ist Fechner am häufigsten zu finden. Hier, wo ehemals Standard Elektrik Lorenz residierte, liegt der Forschungscampus von Alcatel-Lucent und damit ein großer Teil der deutschen Bell Labs. Mobilfunk und Glasfasernetze, das sind hier die Forschungsdomänen. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Bell-Labs-Standort des französisch-amerikanischen Netzausrüsters.
Einst wurden in den Bell Labs – noch unter AT&T – der Transistor, der Laser, die Programmiersprache C, das Konzept der zellgestützten Mobiltelefonie und anderes mehr erfunden. Heute lauten die Schlagzeilen, die aus den Bell Labs und der Produktentwicklung in Stuttgart, Nürnberg und Berlin kommen, so: „300 Mbit/s über zwei traditionelle Kupferleitungen“, „Optische Übertragungstechnologien der nächsten Generation“ oder „Bell Labs testen in weltweit erstem Feldtest neue Mobilfunktechnologie für höhere Datenraten in LTE-Netzen“. Die kommende Mobilfunkgeneration ist dabei einer der hiesigen Schwerpunkte.
Fechner ist für all das verantwortlich und er ist stolz, ein Teil der berühmten Bell Labs zu sein, des weltweit größten industriellen Forschungsinstituts in der Telekommunikation. Dass man in den Bell Labs immer wieder Entdeckungen gemacht hat, die dann in einem Nobelpreis mündeten, findet Fechner „eine magische Sache“. „Es gibt kein privates Forschungsinstitut, das so viele Nobelpreisträger hervorgebracht hat.“ Sieben sind es mittlerweile. Wird es demnächst wieder diese höchste Ehrung für die Labore geben? „Sicher“, meint Fechner und lächelt: „Ich weiß nur nicht wann.“
1000 Bell-Lab-Forscher arbeiten heute rund um den Globus und richten ihren Blick auch auf all das, was jenseits ihrer Labore passiert. Die Zeiten für Netzausrüster sind hart, Konkurrenten von Ericsson über Nokia Siemens Network bis hin zu den vehement in den Markt drängenden Chinesen lassen keine Ruhepause zu. „Die Mitarbeiter wissen, was am Markt passiert. In ihren Köpfen ist verwurzelt, dass wir nur durch Innovationen überleben können“, sagt Fechner.
Innovation müsse gefordert, gefördert und anerkannt werden, wird der Forschungsmanager nicht müde zu betonen. „Mit Ben Verwaayen haben wir einen CEO, der die Bell Labs pusht.“ Das sei zum einen schön, zum anderen eine große Herausforderung. „Die Erwartungen an uns sind sehr hoch.“
Was nach Druck klingt, scheint für Fechner eher eine Aufforderung zum Weiterdenken, zum Innovationstanz zu sein. Oder auch zu kleinen Provokationen: „Die Cloud ist zwar schön, aber ohne ein gutes Netz ist die beste Cloud nichts wert.“
Mehr noch. „Wir haben in den letzten 30 Jahren immer probiert, Bandbreite ins Netz reinzubringen. Das ist heute noch wichtig. Aber jetzt denken wir auch über die Energieoptimierung dieser Netze nach.“ Green Touch, so heißt eine große Industrieinitiative, die von den Bell Labs geführt wird. Ihr Ziel: Kommunikationsnetze um den Faktor 1000 energiesparender zu machen.
Ob IP-Technik, Glasfaser, Mobilfunk oder Cloud Computing – Fechner versteht von vielen Themen etwas. Das Tiefenwissen allerdings hätten seine Mitarbeiter. Doch – und das mag für einen Forschungschef viel entscheidender sein – er weiß, wie er die richtigen Fragen stellt. Gerne geht Fechner durch die Labore, hört sich um und redet mit den Menschen. Und dann kommen seine Fragen. „Er treibt uns nicht an, er treibt uns voran“, so feinsinnig beschreibt ein enger Mitarbeiter seinen Chef.
Sicher, man laufe auch Gefahr, „dumme Fragen zu stellen“, weiß Fechner, aber entscheidend sei über den Tellerrand hinauszuschauen, Probleme interdisziplinär anzugehen. Das macht es dann für den Forschungsmanager richtig spannend. „Da gibt es z. B. bestimmte Effekte aus der Glasfaserwelt, die in die Funktechnik übersetzt werden können und umgekehrt“, sinniert er.
Querdenken, Fäden spinnen und andere dafür begeistern, das kann er. Nur allzu gerne beobachtet Fechner andere Branchen wie die Umwelt-, die Automobil- und die Energietechnik: „Smart Metering wird schon vermarktet, Smart Grid ist noch ein Forschungs- und Entwicklungsbereich.“ Mit den Elektroautos sei vieles in Bewegung gekommen, weiß Fechner und stellt mal wieder Fragen: „Wie wissen Sie, woher Sie den Strom beziehen? Wie rechnen Sie ab?“ Hier habe die Telekommunikationsbranche und mit ihr Alcatel-Lucent ein einzigartiges Know-how zu bieten.
Aber Fechner bleibt bescheiden: Wer glaube, dass die Energieindustrie von der Telekommunikation lernen müsse, der irrt laut Fechner und er schreibt seinen Mitarbeitern ins Pflichtenheft: „Wenn man in andere Branchen reinschaut, sollte man nie arrogant sein. Man muss erst versuchen, diese Branche zu verstehen.“
Behutsamkeit, auch das ist eine Eigenschaft, die Fechner speziell an deutschen Forschern schätzt. Da hätte jede Nation andere Qualitäten: „Was uns auszeichnet, sind Gründlichkeit, ein strukturiertes Vorgehen, das Definieren von Prozessen.“ Amerikaner seien dagegen manchmal mutiger und können ihre Innovationen besser verkaufen. Doch die Stärke der Deutschen könne auch zum Hindernis werden, weiß Fechner. „Wir müssen lernen, Ideen frühzeitig zu diskutieren und sie nicht sofort aufzugeben.“ Und dann wird der ruhige Physiker beinahe leidenschaftlich: „Dranbleiben, dafür kämpfen und sich auch mal irren können“ – das sei wichtig.
Wer seine Ideen bei Alcatel-Lucent einbringen will, kann das beim sogenannten Bootcamp-Prozess. Dahinter steckt eine Art Wettbewerb, an dem jeder Mitarbeiter teilnehmen kann – ob Buchhalter, Sekretär oder Personalchef. Jeder kann Ideen einbringen und muss andere auf einem Dating-Event für seine Idee gewinnen, Controller, Entwickler, Vertriebler und andere für sein potenzielles Start-up finden. Und Businesspläne aufstellen. Fechner freut sich: In den letzten drei Jahren seien von zehn Ideen, die dann einen externen Prozess durchgelaufen haben, fünf in Produkten geendet bzw. kurz davor.
Nur bei einem Thema scheint der Chef der deutschen Bell Labs seine gute Laune zu verlieren. Da stellt er keine Fragen mehr – da attestiert er nur: „Wir haben in Deutschland nicht genug Ingenieure – es brechen viel zu viele ab. Einen Lehrer, einen Arzt, einen Rechtsanwalt können Sie schlecht exportieren, aber all das, was Ingenieure entwickeln.“
Fechner, der Reisende in Sachen Innovation, engagiert sich daher im Förderkreis Ingenieurstudium. „Wir versuchen schon Schüler für Technik zu begeistern.“ Auch der Frauenanteil sei viel zu gering. „Da existiert eine völlig falsche Vorstellung vom Ingenieurberuf in unserer Gesellschaft.“ Und Fechner nimmt sich selbst in die Pflicht: „Wir als Industrie sind gefordert und müssen ein Bild zeichnen, wie Ingenieure tatsächlich arbeiten.“ REGINE BÖNSCH
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