Elektronische Haut entwickelt
Die menschliche Haut kann unterschiedliche Reize in Sekunden unterscheiden und deren Intensität sofort einordnen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf, kurz HZDR, haben sich das zum Vorbild genommen und eine elektronische Haut entwickelt, die verschiedene Reize über spezielle Sensoren erkennt und weiterverarbeitet.
Die Haut ist das größte menschliche Organ und eines der funktionell vielseitigsten Körperteile. Auf der Hautoberfläche befinden sich unzählige Tast-, Druck- und Temperatursensoren. Diese nehmen viele unterschiedliche Informationen aus der Umwelt auf.
Gemeinsam mit Wissenschaftlern von der Johannes Kepler Universität in Linz haben Forscher des Helmholtz-Zentrums in Dresden einen innovativen elektronischen Sensor entwickelt. Dieser kann sowohl berührungslose Reize als auch direkte Kontakte verarbeiten. Die Entwicklung ist etwas ganz Besonderes: In der Vergangenheit scheiterten sämtliche Versuche, diese beiden zentralen Funktionen in einem einzigen Gerät zu vereinen. Hauptsächlich verantwortlich für die bisherigen Fehlschläge waren die sich überschneidenden Signale aufgrund der unterschiedlichen Stimuli. Der neu entwickelte Sensor lässt sich problemlos auf die menschliche Haut auftragen. Aus diesem Grund könnte er eine deutlich natürlichere und intuitivere Interaktion ermöglichen. Dies gilt sowohl für die erweiterte als auch für die virtuelle Realität.
Die elektronische Haut als Gegenstück zur menschlichen Haut
Das elektronische Gegenstück zur Haut könnte gemäß den Aussagen der Wissenschaftler das zukünftige Zusammenspiel zwischen Maschinen und Menschen deutlich vereinfachen. Laut Dr. Denys Makarov werden die virtuelle Realität und ihre Anwendungen immer komplexer. Aus diesem Grund werden in Zukunft spezielle Verbindungsgeräte benötigt, die die unterschiedlichen Interaktions-Methoden miteinander effektiv kombinieren. Alle bisherigen Systeme registrieren entweder ausschließlich tatsächliche, physische Berührungen, oder sie verfolgen stattdessen technische Mittel und Objekte berührungslos.
Die neu entwickelte, elektronische Haut fungiert als Gegenstück zu unserer menschlichen Haut und vereint zum ersten Mal in der Geschichte beide Interaktionswege auf einem einzigen Sensor. Damit ist den Forscherteams etwas Erstaunliches gelungen. Diesem gaben die Wissenschaftler die Bezeichnung m-MEMS (Magnetisches mikroelektromechanisches System). Das magnetische, mikroelektromechanische System verarbeitet sowohl sämtliche elektrischen Signale, die aus tatsächlichen Interaktionen entstehen, als auch alle berührungslose Interaktionen. Laut Doktor Jin Ge vom Forschungszentrum in Dresden kann die elektronische Haut den Ursprung sämtlicher Reize sofort und in Echtzeit unterscheiden und gleichzeitig störende Einflüsse von allen anderen Quellen ausblenden. Die wichtigste Grundlage für diese innovative Funktionsweise ist das definitiv ausgefallene Design des Sensors.
Die elektronische Haut funktioniert auf sämtlichen Unterlagen
Die Wissenschaftler haben zuerst einen Magnetsensor auf einer ultradünnen Polymerfolie angebracht. Dieser Sensor basiert auf dem sogenannten „Giant Magneto Resistance“ (GMR), zu Deutsch Riesen-Magneto-Widerstand. Die hauchdünne Polymerfolie verschließt ein kleines Loch, welches sich genau mittig in einer zweiten Schicht aus Polydimethylsiloxan befindet. Als Nächstes fügten die Wissenschaftler in das kleine Loch einen Permanentmagneten ein. An dessen Oberfläche befinden sich weiche, pyramidenartige Spitzen.
Laut Dr. Denys Makarov erinnert die Optik zwar an ein Stück verzierte Frischhaltefolie. Jedoch ist dies einer der großen Vorteile des neu entwickelten Sensors. Die elektronische Haut passt sich flexibel an jede Art von Umgebung an und funktioniert sogar unter gekrümmten Bedingungen einwandfrei. Dies ist eine weitere Gemeinsamkeit mit der menschlichen Haut. Der elektrische Sensor kann ohne Aufwand auf jeder Oberfläche, wie beispielsweise auf einer Fingerspitze platziert werden.
Um ihre innovative Entwicklung in der Praxis zu testen, platzierten die Wissenschaftler einen Permanentmagneten auf dem winzigen Blatt eines Gänseblümchens. Das Magnetfeld zeigte bei diesem ersten Versuch genau in die entgegengesetzte Richtung und somit direkt zu dem Magneten in der m-MEMS-Plattform. Sobald sich ein Finger dem externen Magnetfeld auch nur näherte, änderte sich sofort der elektrische Widerstand vom GMR-Magnetsensor. Der Widerstand fiel so lange, bis der Finger das Blatt direkt berührte. Genau in diesem Moment stieg der Widerstand erneut schlagartig an. Der eingebaute Permanentmagnet wurde durch den Finger in Richtung des GMR-Sensors gedrückt und dadurch überlagerte sich das externe Magnetfeld.
Und es macht Klick!
Auf diese einfache aber effektive Weise kann die elektronische Haut den sekundenschnellen Wechsel zwischen einer berührungslosen und einer taktilen Interaktion feststellen. Der neu entwickelte Sensor eignet sich somit nicht nur für psychische Objekte, sondern für die virtuelle Realität und kann sämtliche Objekte gezielt steuern. Die Wissenschaftler belegten diese Aussage mit einem Experiment: Sie platzierten einen Permanentmagneten auf einer Glasplatte. Anschließend projizierten sie virtuelle Knöpfe, mit denen sich verschiedene reale Bedingungen, wie die Helligkeit oder die Raumtemperatur manipulieren lassen.
Die elektronische Haut trugen die Wissenschaftler auf einen hölzernen Finger auf und konnten mit diesem ohne eine Berührung die verschiedenen virtuellen Funktionen auswählen. Sobald der hölzerne Finger die Glasplatte berührte, wechselte die Plattform automatisch auf einen taktilen Interaktionsmodus. Im Anschluss daran konnten die Wissenschaftler mit einem leichten bis starken Fingerdruck die Raumtemperatur erhöhen und senken oder die Helligkeit im Raum manipulieren. Diese realen Handlungen erforderten bislang mehrere Interaktionen. Durch die elektronische Haut konnten die Wissenschaftler dies auf eine einzige Interaktion reduzieren.
Die virtuelle Realität und weitere Verwendungsmöglichkeiten
Laut den Aussagen der Wissenschaftler kann die elektronische Haut in Zukunft in vielen unterschiedlichen Bereichen zum Einsatz kommen. Die virtuelle Realität ist in jedem Fall eines der aktuell gängigsten Szenarien. Dem Einsatz in einer sterilen Umgebung steht nichts im Weg. In Zukunft könnten Chirurgen die innovativen Sensoren verwenden, um ihre medizinischen Geräte während einer Operation oder Behandlung ohne eine Berührung zu bedienen. Im Vergleich zu den heutigen Vorgehensweisen könnte dadurch Kontaminationen vollständig vermieden werden. Zudem sind sich die Forscher schon heute sicher: Auf langer Sicht wird es durch die elektronische Haut möglich sein, eine bessere Schnittstelle zwischen Maschinen und Menschen zu entwickeln.
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