Fußball-EM 2024: Das Spiel mit den Daten
Die Fußball-EM 2024 setzt auf modernste Datentracking-Technologien, um präzise und schnelle Entscheidungen bei Abseits- und Torsituationen zu ermöglichen. Wir schauen uns die eingesetzten Technologien einmal etwas genauer an.
Rein formal gelten immer noch die alten Sepp-Herberger-Weisheiten wie „das Spiel dauert 90 Minuten“ (heute oft viel länger) oder „der Ball ist rund“. In Wirklichkeit hat das Fußballspiel von 1954 nur noch wenig mit dem von heute gemein. Alles ist viel schneller und athletischer geworden, die Bälle und Schuhe sind aus leichtem Kunststoff und nicht mehr aus schwerem Leder, das bei Regen noch schwerer wurde. Und das auf matschigem Untergrund, während der grüne Rasen heute eher einem Teppich gleicht.
Inhaltsverzeichnis
Bei der WM 1954 freuten sich die Fans noch über Ausschnitte der Spiele im Fernsehen. Das Endspiel in voller Länge auf dem Bildschirm zu sehen, war eine Sensation. Bei der EM 2024 werden die Zuschauerinnen und Zuschauer dagegen mit allerlei technischen Finessen verwöhnt. Denn die Fußball-Europameisterschaft steht nicht nur für spannende Spiele und mitreißende Emotionen, sondern auch für eine technische Revolution auf dem Spielfeld. Modernste Datenerfassungstechnologien sorgen dafür, dass jede Spielaktion genau erfasst und analysiert wird. Doch wie genau funktioniert diese Technik und welchen Einfluss hat sie auf die Entscheidungen der Schiedsrichter und das Zuschauererlebnis?
Der Hightech-Ball „Fußballliebe“
Der Ball „Fußballliebe“ ist mehr als nur ein Fußball. In seinem Inneren befindet sich ein hochentwickelter Sensorkern, der aus einem Ultrabreitbandsensor (UWB) und einem Bewegungssensor (IMU) besteht. Diese Sensoren erfassen die Position und Bewegung des Balls bis zu 500 Mal pro Sekunde. Die Daten werden an ein rund um das Spielfeld platziertes Lokales Positionierungssystem (LPS) gesendet, das die genauen Positionen mit einer Genauigkeit von bis zu 10 Zentimetern berechnet.
Der Sensorkern des Balls ist so integriert, dass die Roll- und Flugeigenschaften nicht beeinträchtigt werden. Der UWB-Sensor funkt seine Positionsdaten 100-mal pro Sekunde, während der IMU-Sensor, ausgestattet mit Beschleunigungs- und Neigungssensoren, 500-mal pro Sekunde Daten sendet. Diese Technologie sorgt dafür, dass der genaue Zeitpunkt der Ballberührung und die Position des Balls jederzeit bekannt sind. Die im Handel erhältlichen Bälle mit dem Namen „Fußballliebe“ sind übrigens nicht mit Hightech ausgestattet.
Das Stadion als 3D-Scanner
Um das Geschehen auf dem Spielfeld vollständig zu erfassen, wurden in den Stadien bis zu 32 Hochleistungskameras installiert. Diese Kameras sind strategisch unter dem Stadiondach platziert und überwachen jede Bewegung der Spieler. Zusätzlich sind rund um das Spielfeld zwischen 12 und 24 Antennen angebracht, die die Signale der im Ball verbauten Sensoren empfangen. Die Kameras und Antennen arbeiten zusammen, um ein vollständiges 3D-Modell des Spiels in Echtzeit zu erstellen.
Die Kameras erfassen jede Bewegung der Spieler aus verschiedenen Blickwinkeln und erstellen mithilfe von Algorithmen detaillierte 3D-Modelle der Spielerskelette. Diese Technologie, bekannt als SkeleTrack, ermöglicht es, 29 wichtige Körperpunkte der Spieler zu verfolgen und Bewegungen präzise zu visualisieren. Die Entwicklung und Tests dieser Technik erfolgten in Zusammenarbeit mit führenden Forschungseinrichtungen wie dem MIT Sports Lab und der ETH Zürich.
Echtzeit-Datenanalyse und Visualisierung
Die gesammelten Daten werden nicht nur zur Unterstützung der Schiedsrichter verwendet, sondern auch für Echtzeit-Visualisierungen für die Zuschauer. Diese Visualisierungen beinhalten automatisch generierte Positionslinien und Markierungen an relevanten Körperteilen der Spieler. Dies ermöglicht eine schnelle und transparente Beurteilung strittiger Situationen wie Abseitsstellungen oder Torentscheidungen.
Durch die Kombination von Sensordaten und KI-gesteuerten Kamerasystemen kann das Spielgeschehen in Echtzeit analysiert und für den Zuschauer verständlich visualisiert werden. Dies trägt dazu bei, dass auch das Publikum im Stadion und vor den Bildschirmen die Entscheidungen der Schiedsrichter nachvollziehen kann.
Diese Kombination aus Sensorball und Kameratechnik kam erstmals bei der WM 2022 in Katar zum Einsatz. Ein besonderes Highlight war das Spiel Portugal gegen Uruguay. Der Sensorball bewies, dass nicht Cristiano Ronaldo, sondern Bruno Fernandes das entscheidende Tor geschossen hatte. Die Sensordaten zeigten eindeutig, dass Ronaldo den Ball nicht berührt hatte, da keine Erschütterungen registriert wurden.
Halbautomatische Abseits-Technologie (SAOT)
Eine der größten Herausforderungen in der Fußballübertragung ist die Abseitsentscheidung. Hier kommt die halbautomatische Abseits-Technologie (SAOT) zum Einsatz. Dieses System nutzt maschinell angereicherte Videobilder, um den Schiedsrichterassistenten in den Katakomben zu helfen, Abseitsstellungen schnell und präzise zu beurteilen. Die Technologie kann jedoch nur potenziell verdächtige Spielsituationen erkennen und diese zur Beurteilung an den menschlichen Schiedsrichter übergeben.
Das SAOT-System verkürzt die Zeit für eine Abseitsentscheidung erheblich. Während es beim klassischen VAR-System bis zu 70 Sekunden dauerte, kann SAOT die Entscheidung in etwa 15 bis 25 Sekunden liefern. Trotz der schnellen Datenverarbeitung bleibt der menschliche Faktor unerlässlich, da die Technologie zwar Abseitsstellungen erkennt, aber nicht jede Feinheit des Regelwerks interpretieren kann.
Man nehme zum Beispiel das sogenannte „passive Abseits“. Oft ist es eindeutig, dass ein Spieler, der im Abseits steht, nicht ins Spiel eingreift und auch keinen Gegenspieler behindert oder dem Torwart die Sicht verdeckt. Manchmal braucht es aber auch den geschulten Blick eines Schiedsrichters, dies zu beurteilen. Und selbst hier gibt es jede Menge Ermessensspielraum, so dass es keine eindeutigen Meinungen darüber gibt, ob ein Spieler nun im passiven Abseits ist oder nicht.
Technische Details und Herausforderungen
Ohne die SAOT-Technologie musste ein Schiedsrichterassistent die entscheidenden Frames manuell suchen und Linien ziehen, um die Positionen der Spieler und des Balls zu bestimmen. Kritiker bemängelten, dass das rein videogestützte System nicht präzise genug sei, da die Bildwiederholrate von 50 Frames pro Sekunde nicht ausreiche. Zudem zeigten Studien, dass Menschen den Abspielzeitpunkt im Durchschnitt 132 Millisekunden zu spät ansetzten.
Die Spieler hingegen bekommen weder Sensoren eingepflanzt noch aufgeklebt, sondern werden mit optischen Trackingverfahren auf Schritt und Tritt verfolgt und bis in die Schuhspitzen vermessen. Dazu dienen die zwölf Kameras im Stadiondach, die die Szene aus unterschiedlichen Blickwinkeln aufzeichnen. Objekterkennungsalgorithmen vermessen anhand der Bilder 29 wichtige Körperpunkte der Spieler und bilden daraus künstliche Skelette, um Positionen zentimetergenau bestimmen und Bewegungen visualisieren zu können.
Hawk-Eye und SkeleTrack
Die Technik zur Gliedmaßenerkennung wurde von Hawk-Eye entwickelt und als SkeleTrack bekannt gemacht. Diese Technologie ermöglicht es, 29 wichtige Körperpunkte der Spieler zu verfolgen und Bewegungen präzise zu visualisieren. Die Entwicklung und Tests dieser Technik erfolgten in Zusammenarbeit mit führenden Forschungseinrichtungen wie dem MIT Sports Lab und der ETH Zürich.
Die KI spielt eine entscheidende Rolle bei der Verarbeitung der Daten. Deep Convolutional Neural Networks (Deep CNN) erkennen Muster in den Videobildern und lokalisieren die Gliedmaßen der Spieler. Das Open-Source-Framework OpenPose, entwickelt von Wissenschaftlern der University of California und anderen, ermöglicht es, mehrere Personen in Echtzeit zu verfolgen und deren Bewegungen detailliert zu analysieren.
Grenzen der Technologie
Trotz aller Fortschritte gibt es auch Grenzen. In turbulenten Spielsituationen kann die Erkennung der Gliedmaßen fehlschlagen, beispielsweise wenn Spieler sich gegenseitig verdecken. Zudem können ungünstige Lichtverhältnisse und Verzerrungen in den Trainingsdaten die Genauigkeit der Vorhersagen beeinflussen.
Trotz der präzisen Datenerfassung und -analyse kann die Technologie nicht jede Spielsituation fehlerfrei beurteilen. Gerade in strittigen, dynamischen Spielsituationen, bei denen die Spieler hart am Rande der Abseitsregel operieren, kann es zu Fehlern kommen. Ungünstige Lichtverhältnisse oder Verdeckungen durch andere Spieler können die Genauigkeit der Erkennung beeinträchtigen. Daher bleibt die finale Entscheidung stets beim menschlichen Schiedsrichter.
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