IT-Infrastruktur der RAG im Totalumbau
Bis 2018 soll der subventionierte Steinkohlenbergbau beendet werden. Um die politische Vorgabe fristgerecht umzusetzen, stemmt die RAG-IT derzeit ein Großprojekt besonderen Ausmaßes. Parallel zum Abbau alter bergbaubezogener Infrastrukturen zieht das IT-Team neue Einrichtungen für die RAG-Geschäftsfelder der Zukunft ein. Keine leichte Aufgabe, so Dirk Ostermann, Leiter Zentralbereich IT-Strategie, im Gespräch mit den VDI-Nachrichten.
VDI nachrichten: Herr Ostermann, worum geht es in diesem Projekt?
Dirk Ostermann: Die RAG Deutsche Steinkohle wird ihre Produktion in den verbleibenden sechs Jahren schrittweise einstellen und die Mitarbeiterzahlen sozialverträglich anpassen. Für den derzeit größten Unternehmensteil müssen folglich alle relevanten Prozesse bis zum Jahre 2018 aufrecht erhalten und gleichzeitig dem gravierenden Wandel im Rückbau angepasst werden. Zusätzlich gilt es, die dauerhaften Bergbaufolgeaktivitäten dieses Bereichs in die IT-Struktur zu integrieren. Parallel sind die Anforderungen der Tochterunternehmen und neu hinzutretender Geschäftsfelder zuverlässig zu erfüllen. Hierzu müssen die bestehenden Systeme ebenfalls laufend analysiert werden, um erforderliche Maßnahmen rechtzeitig planen und umsetzen zu können.
Wie lässt sich das steuern?
Erfolgreiche Veränderungen im IT-Bereich setzen eine vollständige Dokumentation der bestehenden IT-Landschaft voraus. Nur so kann sichergestellt werden, dass das Wissen und Know-how sogar nach dem Weggang von wichtigen IT-Spezialisten in der Firma verbleibt und das Change-Management funktioniert. Der Schlüssel heißt Enterprise Architecture Management (EAM). Der methodische EAM-Einsatz hilft, die IT-Landschaft transparent abzubilden und stellt eine gute Basis für die Know-how-Sicherung sowie die Bebauungsplanung dar. Dadurch können Geschäftsanforderungen schnell im richtigen IT-Kontext bewertet und die notwendigen Maßnahmen zeitnah eingeleitet werden. Der Einsatz von EAM als Werkzeug für diesen Prozess kann nur dann effizient sein, wenn es mithilfe eines entsprechenden Tools und auf Basis eines übergreifenden Governance-Modells eingesetzt wird. Wir hatten uns nach reiflicher Überlegung für das EAM-Werkzeug „planningIT“ von der Firma Alfabet entschieden.
Sind Sie im Zeitplan?
Ja. Das Projekt „Etablierung eines IT-Architektur-Frameworks zum Rückbau der RAG Geschäftsprozesse“ wurde im Juni 2008 initiiert und bis Dezember 2009 mithilfe von Alfabet, einem Softwareanbieter für strategische IT-Planung, eingeführt. Anfang 2009 fand eine Reihe von Schulungen statt, in denen alle betroffenen IT-Spezialisten den Umgang mit planningIT und EAM-Methode kennenlernten. So ein Projekt kann nur dann sinnvoll und nachhaltig sein, wenn die Infrastrukturdaten aktuell gehalten werden und nach Bedarf immer in der benötigten Form zur Verfügung gestellt werden können. Der Fokus wurde deshalb zunächst auf das richtige Funktionieren von Datenpflegeprozessen gelegt und erst in den weiteren Phasen auf betriebliche Aspekte wie beispielsweise IT-Kostenmanagement, die Unterstützung für das Anforderungsmanagement oder die Bebauungsplanung.
Welche Strukturen bauen Sie derzeit ab, welche bauen Sie auf?
Konkret werden vor allem diejenigen Anwendungen schrittweise reduziert, die die bisherigen Kernproduktionsprozesse im Steinkohlebergbau unterstützen. Aufgebaut werden gleichzeitig beispielsweise Langzeitarchivierungssysteme für die dauerhaften Bergbaufolgeaktivitäten sowie Anwendungen für aktuelle und neu zu erschließende Geschäftsfelder. Hier ist bereits heute eine enorme Bandbreite abzudecken, die von der Flächenentwicklung und -vermarktung über Aktivitäten im Bereich Erneuerbarer Energien bis zur globalen Vermarktung des weltweit führenden, deutschen Bergbau-Know-hows und -Equipments reicht.
Was heißt das in Zahlen?
Wir gehen derzeit davon aus, dass alleine die Anzahl der Anwendungen von derzeit rund 460 bis 2022 auf unter 200 reduziert wird.
Dabei können Sie aber nicht einfach alt ab- und neu anschalten?
Richtig. Die Neuausrichtung der RAG erfordert vielmehr den gleichzeitigen Rück- und Aufbau von Anwendungen im laufenden Betrieb. In beiden Fällen also mit höchster Verfügbarkeit, Stabilität und Sicherheit aller Systeme. Parallel wird auch die Anzahl der Anwender bis 2018 deutlich reduziert, was zusätzlich zu Anpassungen im Bereich der IT-Infrastruktur führt. Diese Aufgabe umfasst somit alle Bereiche der IT: von großen Serversystemen über Leitwarten bis zum einzelnen Arbeitsplatzrechner sowie vom Handheld oder W-Lan-Netz in 1500 m Tiefe bis nach Übertage, wo die Kollegen bestehende Anwendungen konsolidieren, migrieren und gleichzeitig neue Lösungen entwickeln und integrieren. Dabei sind vielfältige Verbindungen und Zusammenhänge zu berücksichtigen, um jederzeit stabile Geschäftsprozessabläufe zu gewährleisten. Hierbei ist nicht zu unterschätzen, dass die IT-Organisation neben den geplanten Maßnahmen weiterhin alle notwendigen Updates und Upgrades von betriebswirtschaftlichen Anwendungen und Infrastruktursystemen (Betriebssysteme, Datenbankmanagementsysteme, etc.) rechtzeitig durchführen muss.
Wie unterstützt Software diesen Transitionsprozess?
Erfolgskritisch für die RAG wie für jedes andere Unternehmen ist, dass das Anwendungsportfolio entsprechend der betrieblichen Realitäten skaliert werden kann. Mit anderen Worten: IT-Service-Nachfrage und -Angebot müssen einander auch im Umbau jederzeit entsprechen. Für den zu reduzierenden Bereich heißt das, die geschäftsnotwendige Funktionalität zu gewährleisten, ohne unnötige Anwendungen zu pflegen. Dies erfordert zweierlei: eine enge Abstimmung mit den Geschäftsbereichen über die Funktionalität und eine umfassende Planung der Abschaltung nicht mehr benötigter Anwendungen. Die Software erkennt es, wenn Geschäftsprozesse einen bestimmten Service nicht mehr nachfragen und schlägt vor, diesen Service einzustellen. Werden irgendwann alle Services einer Applikation nicht mehr nachgefragt, kann sie rückgebaut werden. Gleichzeitig lassen sich alle betroffenen Organisationseinheiten und Geschäftsprozesse sowie alle verantwortlichen Personen mithilfe von planningIT identifizieren. Dabei ist transparent dokumentiert, welche anderen Anwendungen zu betrachten sind, weil sie über Schnittstellen mit dem betroffenen System verbunden sind oder die gleichen Geschäftsprozesse unterstützen. Ein entscheidender Vorteil ist, dass die Darstellung in der Software gut visualisiert wird. Dadurch sehen alle Gesprächspartner ihre Prozesse so dargestellt, dass sie intuitiv verstanden werden.
Was gilt es für den Einsatz einer solchen Software zu beachten?
Sie müssen sich am Anfang durch einen riesigen „Datendschungel“ arbeiten. Das Erstellen und die Pflege der konzernweiten Dokumentation einer kompletten Prozess- und IT-Landschaft ist grundsätzlich eine Herausforderung. Für die Modellierung sind die betrieblichen Begriffe in die Nomenklatur des Modellierungstools zu transformieren und stringent einzuhalten. Gleichzeitig erfordert ein solches Projekt eine enge Verzahnung von IT und Fachabteilungen. Hierbei muss IT mit Fachbereichen über Geschäftsprozesse und nicht über Technik sprechen können. Auch die strategische Unternehmensentwicklung sollte mit der IT Hand in Hand arbeiten. Nicht zuletzt tragen Schnelligkeit und Akzeptanz wesentlich zum erfolgreichen Verlauf bei. Und um im Bild zu bleiben: Wenn Sie den Dschungel hinter sich haben, können Sie eine Kulturlandschaft betreten. KONRAD BUCK
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