Navigieren mit Echtzeitdaten aus der Cloud
Sommerzeiten sind Baustellen- und damit Stauzeiten. Das merken aktuell viele Autofahrer. Und sie wissen: Navigation auf Autobahnen und Landstraßen ist nicht nur eine Frage des detaillierten Kartenmaterials. Mindestens ebenso wichtig ist die Verfügbarkeit von Echtzeit-Verkehrsdaten.
Schon seit geraumer Zeit steht das Auto im Stau, da kommt die entsprechende Meldung endlich im Verkehrsfunk – viel zu spät, um eine Alternativroute zu wählen. Diese missliche Situation ist Alltag für Millionen genervter und verärgerter Autofahrer in Deutschland. Der Ärger ist systembedingt. Denn bis Polizei, Autobahnmeisterei oder Mitarbeiter von Verkehrsclubs eine Staubeobachtung über ihre Meldekette an die Rundfunkredaktionen weitergereicht haben, vergeht einige Zeit.
Auch Navigationssysteme mit eigenem Empfänger für den über UKW-Rundfunk verbreiteten Traffic Message Channel (TMC) bringen keine wirkliche Erleichterung – deren Daten sind auch nicht wesentlich schneller beim „Endverbraucher“ im Auto als die notorisch verspäteten Radiomeldungen.
Aber Abhilfe in Form aktuellerer Verkehrsdaten naht. Gesammelt werden die Daten von Dienstleistern, verteilt werden sie über die Cloud. Um Echtzeit-Verkehrsdaten über eine wie auch immer geartete „Cloud“ verteilen zu können, müssen sie zuerst einmal erhoben werden. Und das werden sie eigentlich seit Jahrzehnten – jedenfalls schon länger, als man von Cloud-Computing spricht.
Fest installierte Sensoren
Den Anfang machten Induktionsschleifen in der Fahrbahn, die jedes durchfahrende Auto zählen und an eine Verkehrsleitstelle melden. Über ein physikalisches Modell lassen sich mit diesen Daten Reisezeiten und die Geschwindigkeit des Verkehrsflusses ermitteln. Ähnliche Daten liefern fest an Brücken installierte Sensoren auf Radar- oder Infrarotbasis.
Doch die Technik fest installierter Sensoren hat Nachteile: Einem hohen baulichen Aufwand steht ein lückenhaftes Modell gegenüber. Denn der Verkehr wird nur dort erfasst, wo die Sensoren installiert sind. „Bei der Erfassung der Verkehrsströme geht der Trend weg von der Infrastruktur und hin zu bewegten Sensoren“, erläutert Ralf-Peter Schäfer, Traffic Director des Navigationsgeräteherstellers Tomtom.
Eine naheliegende Methode zur Erfassung der Verkehrsströme mit bewegten Sensoren haben die Betreiber der Mobilfunknetze für sich erschlossen. Sie werten die Verweildauer von Mobiltelefonen in Funkzellen aus und leiten daraus die Geschwindigkeit ab, mit der sich dieses Telefon bewegt. Damit besitzen die Netzbetreiber eine Datenquelle, die das Entstehen eines Staus zeitnah meldet. Fachleute bezeichnen diesen Ansatz als Floating Phone Data (FPD).
Navigationsgeräte als Meldestellen
Präziser als die relativ schwammigen Peilungen der Mobilfunkmasten sind Navigationsgeräte als Meldestellen: Sie verfügen ohnehin über genaue Ortsdaten und errechnen im Sekundentakt die aktuelle Geschwindigkeit. Sind sie mit einer eigenen SIM-Karte bestückt, können sie ihre Daten aktiv an eine Sammelstelle melden. Diese Floating Device Data (FDD) werden zurzeit als das Gold betrachtet, aus dem Dienstleister ihre Services schmieden.
Angereichert um nicht ganz so zeitkritische, aber eben auch dynamische Daten wie Informationen über Baustellen, Straßensperrungen oder vorübergehende Umleitungen auch auf Landstraßen und im Ortsbereich, bieten sie einen erheblichen Zusatznutzen gegenüber gewöhnlichen Navis.
Hier beginnt der Wettbewerb. Die Qualität der Daten hängt von mehreren Faktoren ab. Einer der wichtigsten ist die Anzahl der Teilnehmer. Um aussagekräftige Datenmengen zu generieren, muss mindestens 1 % der Fahrzeuge auf einer gegebenen Strecke Daten liefern. „Die Penetration ist eine wichtige Größe im Wettbewerb“, bestätigt Schäfer.
Um die Gunst der Kunden wetteifern Hersteller von Navigationsgeräten mit spezialisierten Telematikdienstleistern. Auch die Autohersteller möchten ein Stück von dem Kuchen abhaben. Dazu kooperieren sie ihrerseits wieder mit Dienstleistern oder Navi-Anbietern.
Baukastenprinzip
So nutzen Audi und BMW die Echtzeitdaten des US-Telematikdienstleisters Inrix. Daimler dagegen bezieht die Echtzeitdaten für sein hauseigenes Navigationssystem Command Online von Tomtom – just jene Daten, die der niederländische Navi-Hersteller selbst unter „Tomtom Traffic“ vermarktet. Hardware und das Kartenmaterial entstammen zumindest bei Daimlers Oberklasse-Limousinen wiederum einer anderen Quelle – Lieferant ist der Hersteller Harman Kardon über seine Marke Becker. „Wir sehen eine Differenzierungsmöglichkeit in der Bereitstellung speziell aufbereiteten Kartenmaterials“, erläutert ein Daimler-Sprecher.
Für die Speicherung und Bereitstellung der Daten hat Daimler die Deutsche Telekom unter Vertrag genommen. Sie schickt die aufbereiteten Verkehrsdatenmeldungen zeitnah – spätestens alle zwei Minuten – über ihr Mobilfunknetz an die Autos.
Nach diesem Baukastenprinzip bauen gegenwärtig so manche Dienstleister und Datenlieferanten ihr spezifisches Cloud-Angebot zusammen. Wer den größeren Teil der Wertschöpfungskette beherrscht, rechnet sich bessere Marktchancen aus. So hat Nokia vor zwei Jahren den Navi-Hersteller Navteq und mit ihm seinen Dienst Navteq Traffic (früher TMC Pro) übernommen.
Zeit und Kraftstoff sparen
Kürzlich machte die Meldung die Runde, dass auch der Internetgigant Google mitmischen möchte: Indiz dafür ist das Interesse an Waze. Das israelischen Start-up-Unternehmen vertreibt eine Smartphone-App, die den heute in den meisten Geräten verbauten GPS-Chip nutzt. Daraus generiert es in der Art eines sozialen Netzwerks die aktuellen Verkehrsmeldungen. Zudem betreibt Google mit „Live Traffic“ ebenfalls einen entsprechenden Service aus der Cloud.
Fest steht: Mithilfe relevanter Echtzeitdaten und Routenalternativen kommen Nutzer schneller stressfreier ans Ziel und sparen zudem Kraftstoff. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat in einem Vergleichstest ermittelt, dass Anwender von Qualitätsdiensten fast 15 % weniger Zeit für ihre Reise benötigen als Nutzer von Navis, die keine oder veraltete Echtzeitdaten einsetzen.
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