Warum Geisteswissenschaftler die KI-Forschung besser machen
Was haben Geisteswissenschaftler mit KI und Informatik zu tun? Im besten Fall eine ganze Menge. Warum die Zusammenarbeit entscheidend für die KI-Forschung sein kann, erklärt Experte Christoph Bieber.
Und dann steht das Auto irgendwann vor der Frage: Wen soll ich jetzt töten? Das Szenario ist ein Klassiker, wenn es ums Autonome Fahren geht. Wie soll die Künstliche Intelligenz im Fahrzeug reagieren, wenn ein Unfall nicht mehr vermeidbar ist? Soll es die Fußgänger vor uns überfahren oder ausweichen und gegen einen Mauer krachen – und damit womöglich uns Insassen töten?
Künstliche Intelligenz gehört zur Informatik und Geisteswissenschaften haben damit nichts zu tun – das sieht nur auf den ersten Blick plausibel aus. Wenn es um die Bedeutung technologischer Innovationen für die Gesellschaft und um ethische Erwägungen im KI-Kontext geht, vertreten viele die Position, das Feld nicht rein den Technologen zu überlassen. Das sieht auch Christoph Bieber so. Er ist seit seit Oktober 2021 Forschungsprofessor Digitale Demokratische Innovationen am Center for Advanced Internet Studies in Bochum. Zudem lehrt er an der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen am Institut für Politikwissenschaften. 2011 hat er die Welker-Stiftungsprofessur für „Ethik in Politikmanagement und Gesellschaft“ an der NRW School of Governance der Universität Duisburg-Essen übernommen und forscht unter anderem zu den Auswirkungen der sogenannten Neuen Medien auf die Gesellschaft. Im Interview erklärt er, warum die Zusammenarbeit von Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaften wertvoll sein kann.
ingenieur.de: Welchen Beitrag können Geisteswissenschaftler zur KI-Forschung leisten?
Bieber: KI-Forschung ist ja nicht nur Informatikern vorbehalten. Zunächst bedarf es Daten, damit künstliche Intelligenz funktioniert und da braucht es nicht zwingend nur eine technisch-mathematische Kompetenz. KI-Forschung sehe ich flexibler, sodass sich auch eine Philosophin oder ein Philosoph Gedanken machen kann, womit wir es genau zu tun haben. Wie gehe ich ein digitales Gegenüber an? Ist es ein Objekt oder ein Subjekt? Man kann auch Sprachwissenschaftler mit hinzuziehen, die sich Kommunikationsprozesse zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren anschauen. Und in meinem Fall, also in den Politik- und Sozialwissenschaften, überlegt man sich auch, in welchen Bereichen KI überhaupt eingesetzt werden sollte und welche gesellschaftlichen Folgen daraus resultieren.
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Politische Meinungsbildung durch KI: „Wollen wir das?“
Bei Wahlen zum Beispiel?
Wenn man sich das Superwahljahr 2021 anschaut und wo KI-Systeme zum Einsatz kommen können, geht es um Fragen von Information oder, viel stärker noch, Desinformation. Aber auch Deepfakes, die Kommunikation verfälschen und stören können. Aus sozialwissenschaftlicher und auch juristischer Sicht kann man durchaus den Zeigefinger heben und sagen, dass Algorithmen hier nichts zu suchen haben. In Zukunft wird das Überangebot an Informationen wohl noch stärker durch automatisierte Prozesse personalisiert an Wählerinnen und Wähler weitergegeben. Da muss man sich die Frage stellen: Wollen wir das? Und zu welchen Konditionen? Oder soll die politische Meinungsbildung nur Menschen vorbehalten bleiben?
Vorurteile sind auch bei KI-Algorithmen eine Herausforderung. Fälle von rassistischen oder sexistischen KIs gibt es bereits. Nützt es aus Ihrer Sicht interdisziplinäre Teams zusammenzubringen, um solche Vorfälle zu vermeiden?
Wenn es um die Eingangsdaten geht, also dem Material, mit dem eine KI lernt, macht es Sinn, das mindestens arbeitsteilig anzugehen. Die Daten sind ja der Ausgangspunkt für solche Probleme. Ein Briefing für Programmierer und Programmierinnen mit welchen Daten sie es hier zu tun haben und inwiefern sie ihre eigene Rolle reflektieren sollten, ist wichtig. Die Komplexität bei der Modellierung von KI-Systemen kann fachübergreifend auch besser abgebildet werden.
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Künstliche Intelligenz: Neue Studiengänge als Treiber
Wie können sich Geisteswissenschaftler das nötige Know-how über KI aneignen?
Da kann man sich erstmal selbst helfen, zum Beispiel mit Online-Tutorials. Um eine Sicherheit bei der Begrifflichkeit zu erhalten, liest man am besten auch viel. Es gibt immer mehr Möglichkeiten, sich direkt auszutauschen wie in spezialisierten Forschungseinrichtungen, Konferenzen oder neuen, disziplinübergreifend organisierten Fachzeitschriften. Auch viele Hochschulleitungen und Wissenschaftsförderer regen solche Annäherungen an. Ein Beispiel ist etwa die Plattform Lernende Systeme, die unter anderem von acatech unterstützt wird. Treiber sind auch neue Studiengänge, die schon mal „Data Science“ oder „Künstliche Intelligenz“ im Titel führen. Im Lehrprogramm ist eine Verzahnung von fächerübergreifenden Inhalten vorgesehen. Wir kommen so langsam in eine Kippphase, in der Studierende mehr interdisziplinäre Angebote erhalten.
Kleiner Roboter kommt zum Reinigen und Desinfizieren
Mit KI verbinden viele Menschen immer noch Datenkraken. Skepsis herrscht gegenüber einem möglichen Datenklau. Wie sollten Geisteswissenschaftler und Informatiker diesen Sorgen begegnen?
Das betrifft nicht nur die Forschung mit digitalen Daten. Wissenschaftler tendieren häufig selbst dazu, sehr datengierig vorzugehen, denn je mehr Informationen sie bekommen können, umso besser ist es für die daraus entwickelten Auswertungen. Das Feld der KI-Ethik hat aber in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Es gilt explizit danach zu fragen, wo Daten herkommen, wie sie erhoben, verarbeitet und gespeichert werden. Das Bewusstsein ist da und wird immer öfter auch aktiv eingefordert. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen – egal aus welcher Fachrichtung – müssen Konzepte zum Forschungsdatenmanagement mitliefern. Zugleich entsteht ein Zwiespalt – denn an viele wichtige, für eine gute Forschung notwendige Daten kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kaum noch heran, da die großen Datenkonzerne darauf sitzen. Diese betreiben zwar oft auch eigene Forschung, doch das hat häufig nicht viel mit einer freien Wissenschaft zu tun.
Menschenzentrierte Digitalisierung voranbringen
Bei der KI-Entwicklung ist China Vorreiter. Ethik und staatlicher Zugriff auf Daten kann ja durchaus zum Problem werden. Wie bewerten Sie das?
Der staatliche Zugriff auf Daten ist dort sehr viel einfacher. In Europa versucht man ja die Bürgerinnen und Bürger in den Fokus zu stellen, um die sogenannte menschenzentrierte Digitalisierung voranzubringen. Das ist aus moralischer Perspektive sicher wünschenswert, einen Vorteil verschafft man sich damit im Augenblick sicher nicht, wenn es um die Entwicklung von KI geht.
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