Wie künstliche Intelligenz das Schriftdesign revolutionieren könnte
Schriftzeichen sind mehr als Kommunikation. Sie stehen in Verbindung mit Kultur, Identität, Geschichte und kulturellem Erbe. Es gibt also viele Gründe, sie zu erhalten. Das könnte nun auf ganz moderne Art und Weise gelingen – mithilfe eines Algorithmus.
Es könnte eine Revolution sein, die Forschenden an der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) gelungen ist. Zusammengearbeitet haben sie dafür mit dem ECAL-Masterprogramm in Type Design. Es geht um Kunst, aber vor allem um den Prozess der Gestaltung digitaler Schriften. Sie haben einen Algorithmus für maschinelles Lernen entwickelt, der in der Lage ist, chinesische Schriftzeichen (Hanzi) als Bilder zu erzeugen.
Hängende Gärten – gefertigt mit KI und vier Robotern
Damit beispielsweise ein Alphabet im Schriftdesign entstehen kann, muss jede Buchstabenform in einem einheitlichen Stil gezeichnet sein. Dabei gilt die sogenannte Glyphe als grundlegendes Symbol in jeder Buchstabenform. Sie stellt das lesbare Zeichen für das Schreiben dar. Nimmt man beispielsweise die lateinische Schrift, sind für den Entwurf mindestens 26 Großbuchstaben erforderlich. Bei der chinesischen Hanzi-Schrift handelt es sich um 6.763 häufig verwendete Zeichen und Zehntausende von Zeichen für kompliziertere Sätze. Würde man ein Schriftbild auf herkömmliche Weise anfertigen, könnte das unter Umständen Jahre dauern.
KI: sinnvolle Unterstützung im Schriftdesign
Shuhui Shi beschäftigt sich seit zwei Jahren mit der Schriftgestaltung. „Wenn ich lateinische Schriften zeichne, sind normalerweise ein paar Dutzend Glyphen für den täglichen Gebrauch ausreichend. Als ich jedoch versuchte, meine Kenntnisse in Schriftdesign auf die chinesische Sprache anzuwenden, stellte ich fest, dass es fast unmöglich war, einen Standardzeichensatz mit 6.763 Glyphen allein fertigzustellen“, erklärt die Studentin. Und sie stand nicht allein vor diesem Problem, wie sie feststellte. Zahlreichen anderen Designern erging es ähnlich.
Bei einer so großen Anzahl von Glyphen könnte eventuell die künstliche Intelligenz helfen. So entstand das sogenannte AIZI-Projekt, an dem das Computer Vision Laboratory der EPFL maßgeblich beteiligt war. Zuerst entwickelten die Forschenden Glyphen, mit denen sie die KI trainieren konnten. Dafür erstellte die Studentin eine große Datenbank mit Zeichen, die sich in sehr einfache Komponenten aufteilen ließ. Ihre Idee: Für eine neue Schriftart sind nur wenige Basiskomponenten notwendig, die es zu entwerfen gilt. Sie könnten dann automatisch zu sämtlichen Zeichensätzen zusammengesetzt werden. „Wir haben dann Algorithmen entwickelt, um den zweiten Teil zu erledigen, nämlich, verschiedene Charaktere auf der Grundlage dieser Komponenten zu erzeugen“, erklärt Mathieu Salzmann, Wissenschaftler am Computer Vision Laboratory der EPFL.
KI könnte die Arbeit von Designern erleichtern
Dieser Algorithmus kann tatsächlich Zehntausende Hanzi als Bilder erstellen. Das Ergebnis: Chinesische Schriftzeichen lassen sich auf diese Art und Weise erzeugen. Dafür braucht es weniger als 500 Hanzi-Eingaben. Der Weg mittels Algorithmus stelle laut der Forschenden einen zeitgemäßen, transdisziplinären Ansatz dar, der an der Schnittstelle zwischen Design und Technologie stehe. „Obwohl wir die Technologie, das so genannte General Adversarial Network oder GAN, schon oft verwendet haben, war die Arbeit an einer solchen Herausforderung eine Premiere. GAN ist ein tiefes, neuronales Netzwerk, das darauf abzielt, Bilder wie zum Beispiel Gesichter zu generieren. Unsere Idee war es dann, diese Art von Technologie für die Generierung von Zeichen zu nutzen“, sagt Salzmann.
Shuhui Shi ist durch die Zusammenarbeit zu ganz neuen Sichtweisen gelangt. Ein KI-Assistent könne Designern dabei helfen, einen ganzen Zeichensatz mit weniger als 500 von Menschen entworfenen Hanzi zu erstellen. „Derzeit verfügen wir über eine Datenbank mit mehr als 90.000 Hanzi und Zehntausenden von gut skalierten, generierten Hanzi in der Links-Rechts-Komposition“, sagt Shi. Allerdings müssten die Ergebnisse wohl noch einmal überarbeitet und optimiert werden. Sobald die Studentin wieder in China ist, will sie sich weiter mit maschinellem Lernen und Schriftdesign beschäftigen. Sie hofft durch diesen ersten Schritt, anderen Designerinnen und Designern den Einstieg erleichtern zu können. Der Einsatz der Technik ermögliche es doch, sich mehr auf die kreativen Ideen zu konzentrieren, ohne dass Tausende Zeichen entworfen werden müssten. Möglicherweise würden sich so mehr Menschen an ihrer ersten chinesischen Schriftart ausprobieren.
KI könnte auch kulturelles Erbe erhalten
Für den Leiter des Masterprogramms in Type Design Matthieu Cortat-Roller hat dieser neue Ansatz noch eine tiefergehende Bedeutung. Er führt dafür das Beispiel der syrischen Schrift an, die heute nur noch von sehr wenigen Menschen benutzt werde, da sich ein großer Teil der syrischen Bevölkerung aufgrund des Krieges in ihrem Heimatland in anderen Staaten aufhielten. „Sie sorgen sich um die Zukunft ihrer Kultur und Identität. Es ist nicht so einfach, ein Schriftsystem zu erhalten, wenn man in der Diaspora lebt“, sagt er. KI könne dazu beitragen, ein kulturelles Erbe zu bewahren.
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