Viruswarnung per Algorithmus – KI soll nächste Pandemie verhindern
Ein neues KI-Modell erkennt Tierarten und Regionen mit hohem Risiko für neue Virusausbrüche – und kann bei der Pandemieprävention helfen.

Die Assistenzprofessorinnen Stephanie Seifert (links) und Pilar Fernandez (rechts) schauen sich eine Karte aus ihrer Studie an. Mit Hilfe von KI wollen die Forschenden Virus-Hotspots erkennen und Pandemien verhindern.
Foto: WSU College of Veterinary Medicine/Ted S. Warren
Fast 75 % aller neu auftretenden Viren, die Menschen infizieren, stammen ursprünglich von Tieren. Diese sogenannten zoonotischen Viren bergen ein hohes Risiko für globale Gesundheitskrisen. Wie lässt sich das Risiko solcher Ausbrüche besser vorhersagen – und vielleicht sogar eindämmen? Ein Forschungsteam der Washington State University (WSU) hat dafür ein neues Werkzeug entwickelt: ein lernfähiges Modell, das mithilfe künstlicher Intelligenz (KI) potenzielle Virusreservoire in der Tierwelt identifiziert.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf eine bestimmte Gruppe von Viren: die Orthopoxviren. Zu dieser Gruppe gehören auch die Erreger von Pocken, Mopox (Mpox, vormals Affenpocken) und anderen Krankheiten, die auf den Menschen übertragbar sind. Das Modell wurde jetzt in der Fachzeitschrift Communications Biology vorgestellt.
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Wie funktioniert das Modell?
Das Team setzt maschinelles Lernen ein – eine Methode, bei der ein Algorithmus aus großen Datenmengen Muster erkennt. Im Fokus stehen dabei zwei Datenquellen: die Eigenschaften potenzieller Wirte (also Tierarten) und die genetische Struktur der Viren. Frühere Modelle hatten sich fast ausschließlich auf ökologische Merkmale der Tiere gestützt – etwa ihren Lebensraum, ihre Nahrung oder ihre Interaktionen mit der Umwelt. Das neue Modell berücksichtigt zusätzlich die „andere Seite der Gleichung“ – die Eigenschaften der Viren selbst.
„Frühere Modelle basierten eher auf den Eigenschaften des Wirts, aber wir wollten die andere Seite der Geschichte hinzufügen, die Eigenschaften der Viren“, erklärt Pilar Fernandez, Ökologin für Krankheiten und Mitautorin der Studie.
Wo entstehen neue Virus-Hotspots?
Das KI-gestützte Modell zeigt geografische Regionen auf, in denen neue Ausbrüche besonders wahrscheinlich sind. Dazu zählen Südostasien, Äquatorialafrika und der Amazonas. In diesen Gebieten treffen mehrere Risikofaktoren aufeinander: eine hohe Artenvielfalt, viele potenzielle Wirte – und gleichzeitig eine niedrige Impfquote gegen Pocken. Seit der offiziellen Ausrottung der Pocken im Jahr 1980 wurden die Impfprogramme in vielen Ländern eingestellt. Dabei schützt der Pockenimpfstoff auch vor anderen Orthopoxviren.
„Wenn wir besser vorhersagen können, welche Arten das größte Risiko darstellen, können wir proaktive Maßnahmen ergreifen, um Pandemien zu verhindern“, so Stephanie Seifert, Expertin für neu auftretende Viren an der WSU.
Wer sind die potenziellen Wirte?
Das Modell identifizierte verschiedene Tierfamilien, die als potenzielle Träger des Mpox-Virus infrage kommen. Dazu zählen:
- Nagetiere
- Katzen
- Caniden (also Hunde und verwandte Arten)
- Stinktiere
- Marderartige (z. B. Otter und Wiesel)
- Waschbären
Ein interessanter Befund: Ratten schloss das Modell explizit aus – und lag damit richtig. Laborexperimente hatten zuvor gezeigt, dass sie gegen Mpox resistent sind.
Was ist der Vorteil gegenüber bisherigen Modellen?
Ein wesentliches Ziel des neuen Ansatzes ist die Verbesserung der Vorhersagegenauigkeit. Denn die gezielte Überwachung potenzieller Wirte in der Wildnis ist aufwendig, teuer und logistisch schwierig. „Wenn man nach dem Reservoir für das Mopox-Virus in Zentralafrika sucht, einem der artenreichsten Orte der Erde, wo fängt man dann an?“, fragt Seifert. Hier kommt das Modell ins Spiel: Es hilft dabei, die Suche zu priorisieren – und dort gezielt Proben zu entnehmen, wo das Risiko am höchsten ist.
Das Tool lässt sich darüber hinaus auf andere Viren übertragen. Die Forschenden betonen, dass ihr Modell bereits jetzt eine höhere Genauigkeit als bisherige Ansätze aufweist. „Obwohl wir das Modell speziell für Orthopoxviren verwendet haben, können wir auch in viele verschiedene Richtungen gehen und mit der Feinabstimmung dieses Modells für andere Viren beginnen“, erklärt Katie Tseng, die Erstautorin der Studie.
Warum KI in der Virusforschung immer wichtiger wird
Je schneller Forschende neue Übertragungspfade und tierische Reservoire erkennen, desto gezielter lassen sich Ausbrüche verhindern. Klassische Feldforschung stößt bei der Überwachung wilder Tierarten an ihre Grenzen – vor allem in tropischen Regionen mit hoher Biodiversität. Ein intelligentes System, das aus vorhandenen Daten Rückschlüsse auf Risikoquellen zieht, kann hier einen entscheidenden Vorsprung bringen.
„Unser Modell verbessert die Genauigkeit der Wirtsvorhersagen und liefert ein klareres Bild davon, wie sich Viren über Arten hinweg ausbreiten können“, so Fernandez.
Wer steckt hinter der Forschung?
Neben den Hauptautor*innen Seifert, Tseng und Fernandez arbeiteten weitere Forschende am Projekt mit. Darunter Heather Koehler, Expertin für molekulare Biowissenschaften, sowie Wissenschaftler vom University College London, der University of Oklahoma und der Yale University. Sie sind Mitglieder des Viral Emergence Research Institute, einem Netzwerk, das von der US-amerikanischen National Science Foundation gefördert wird.
Das interdisziplinäre Team kombiniert Fachwissen aus den Bereichen Datenanalyse, Bioinformatik, Virologie, Ökologie und Evolutionsbiologie. Ziel ist es, das Zusammenspiel zwischen Wirt und Virus besser zu verstehen – und daraus präzise Vorhersagen abzuleiten.
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