Lieferkettengesetz: KI erleichtert Sorgfaltspflicht
Das Lieferkettengesetz bringt einiges an finanziellen und bürokratischen Aufwand mit sich. Künstliche Intelligenz kann das Erfüllen der Sorgfaltspflicht erleichtern.
Die finanziellen und personellen Ressourcen sowie der große Bürokratieaufwand sind nur einige der Herausforderungen, die das Lieferkettengesetz mit sich bringt. Einige diese Herausforderungen lassen sich mit Hilfe künstlicher Intelligenz abmildern. Wir haben über dieses Thema mit Christopher Helm gesprochen. Er ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Helm & Nagel GmbH, einem internationalen Anbieter von KI und neuen Basistechnologien. Dazu gehört die Software Konfuzio, eine KI-Plattform für Prozessoptimierung und datenbasierten Erkenntnisgewinn.
ingenieur.de: Herr Helm, können Sie uns einen kurzen Überblick über Ihre KI-Plattform geben und erklären, wie sie die Automatisierung und Analyse von Lieferketten unterstützt?
Christopher Helm: Unsere Software spezialisiert sich auf KI-basierte Dokumentenverarbeitung und darauf aufbauende Datenanalysen. Prinzipiell lässt sich damit fast jeder digitale Informationsprozess automatisieren. Zu diesem Zweck sind verschiedene KI-Technologien integriert, beispielsweise optische Zeichen- oder Handschrifterkennung, Computer Vision und große Sprachmodelle, die ja gerade in aller Munde sind. Diese verschiedenen Ansätze ermöglichen es in Kombination, nahezu jede Form von Information zu extrahieren, zu strukturieren und gezielt weiterzuverarbeiten – auch in unternehmenseigenen Bestandssystemen.
In Lieferketten zählen Informationen neben den transportierten Gütern zu den wertvollsten Bestandteilen. Oftmals sind sie in Dokumenten wie Lieferscheinen, Rechnungen oder Zahlungsavisen enthalten. Über deren automatisierte Auslesung erhält unsere Plattform Zugang zum Informationsfluss, der den physikalischen Materialfluss mit dem Austausch von Finanzmitteln verknüpft. So entsteht eine umfassende Datenbasis, mit der beliebige Untersuchungen sogar in Echtzeit angestellt werden können.
Inwiefern hat das neue EU-Lieferkettengesetz die Nachfrage nach Ihrer KI-Plattform beeinflusst? Sehen Sie eine Zunahme des Interesses aufgrund der strengeren Regularien?
Allgemein sehen wir derzeit eine steigende Nachfrage. Das liegt in erster Linie an neuen technischen Möglichkeiten, die bedeutende Einsparungen versprechen. Besonders die Fortschritte in der generativen KI werden sehr breit kommuniziert und erhalten immense Aufmerksamkeit. Mit dem neuen EU-Gesetz kommt nun ein weiteres Motiv hinzu, denn die Stärkung der unternehmerischen Sorgfalt in globalen Wertschöpfungsketten wird künftig für viele Unternehmen notwendig sein, um die Regularien einzuhalten.
Woher die Nachfrage genau stammt, lässt sich nicht immer exakt trennen, da unsere Software oft direkt für mehrere Anwendungsfälle gleichzeitig eingeführt wird. Zahlreiche Unternehmen haben sich auch bereits zuvor intensiv mit ihren Lieferketten beschäftigt. Diejenigen, die das nun erstmals tun, werden feststellen, dass das genaue Hinsehen auch ökonomische Vorteile mit sich bringen kann, die sich den humanitären Zielen des Gesetzes aber natürlich unterordnen.
Wie trägt Ihre Plattform dazu bei, Transparenz in den Lieferketten zu schaffen? Können Sie ein Beispiel nennen, wie KI zur Aufdeckung und Behebung von Schwachstellen beiträgt?
In jedem Abschnitt einer Lieferkette kommt es zu Transaktionen, die eine Datenerfassung möglich machen – von der Rohstoffbeschaffung bis zur Entsorgung oder dem Recycling. Cloud-Funktionalitäten erleichtern dabei den Austausch zwischen den Akteuren und ermöglichen es, von überall auf die Daten zuzugreifen. Gehen Dokumente an einem definierten Ort ein, können automatisch Folgeprozesse in Gang gesetzt werden, die beispielsweise eine Fehleranalyse beinhalten und entsprechende Meldungen produzieren. Außerdem lässt sich festlegen, in welchen Fällen oder an welchen Stellen eine menschliche Kontrolle stattfinden soll. Dabei hilft dann die Benutzeroberfläche mit entsprechenden Visualisierungstools.
Ein Beispiel für die Behebung von Schwachstellen spielt sich im Rahmen der Bestandsfinanzierung ab. Durch die KI-basierte Analyse von Buchungen lässt sich die gesamte Bestellhistorie nachvollziehen und Geschäftsvorfälle werden kategorisiert. Auf Basis dieser Informationen können Unternehmen die Nachfrage, Bestellmenge und Bestände prognostizieren, um bestehende Ineffizienzen aufzudecken oder die Preisdynamik zu optimieren.
Wie funktioniert das vorausschauende Risikomanagement mit Ihrer KI? Können Sie den Prozess beschreiben, durch den Risiken identifiziert und minimiert werden?
Die Überwachung des Waren- und Finanzflusses unter Berücksichtigung historischer Daten ermöglicht es, ein genaues Risikoprofil zu erstellen. Eine wichtige Grundlage ist das Vertragsdatenmanagement. Unsere KI extrahiert und verarbeitet dabei die Rahmendaten aller vorliegenden Verträge. Ähnliches passiert auch mit Schadensmeldungen von Gewerbekunden und bei Liquiditätsprüfungen.
Auch die Zuverlässigkeit von Lieferanten lässt sich durch KI bewerten, wobei nicht nur Transaktionen, sondern auch externe Faktoren berücksichtigt werden können. Je umfangreicher die Datenerfassung, desto genauer die Vorhersage von drohenden Engpässen und anderen Vorfällen. Über die Zeit lernt die KI dann kontinuierlich dazu und ermöglicht es, frühzeitig zu reagieren.
Sie erwähnten, dass Ihre Technologie Daten aus Material-, Informations- und Finanzfluss bündelt. Wie gehen Sie mit der Herausforderung um, diese unterschiedlichen Datenquellen zu integrieren und zu analysieren?
Dafür ist der umfangreiche Einsatz von standardisierten Programmierschnittstellen notwendig, die mit verschiedenen Systemen kompatibel sind. Unsere Software fungiert in dieser Hinsicht als Datendrehscheibe, die auf alle verschiedenen Quellen zugreift. Der entstehende Austausch zwischen Handelspartnern wird auch Electronic Data Interchange genannt und kann diverse Formate umfassen. Aus diesem Grund haben wir einen EDI-Konverter integriert, der die Daten vereinheitlicht und damit beispielsweise auch die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Fremdsystemen erleichtert. Eine Kernkompetenz unserer Technologie ist dann die Überführung in strukturierte Formate mittels KI.
Auf welche Weise unterstützt Ihre Plattform Unternehmen dabei, die Sorgfaltspflicht und entsprechende Regularien einzuhalten? Gibt es automatisierte Features, die speziell darauf ausgerichtet sind?
Die notwendige Sorgfalt von Unternehmen wächst in diesen Tagen exponentiell – einerseits wegen Regularien, aber besonders aufgrund von erhöhter Komplexität und Vernetzung der Lieferketten. Anders als früher reicht die menschliche Aufmerksamkeit heute nicht mehr aus, um die entstehenden Datenmengen im Blick zu behalten. Aus diesem Grund halte ich künstliche Intelligenz an sich für eine unverzichtbare Schlüsseltechnologie, ohne die es kaum möglich sein wird, die Regularien kosteneffizient einzuhalten und Sorgfalt walten zu lassen.
Unsere Plattform eignet sich, um beispielsweise mithilfe großer Sprachmodelle hunderte Terabyte von Textdaten verständlich aufzubereiten. Im Kern zielen eigentlich die meisten Funktionalitäten wie Daten-Pipelines und individuelle Workflows darauf ab, den Gehalt von großen Datenmengen besser zugänglich zu machen.
Wie sehen Sie die Zukunft der KI-Technologie in der Lieferkettenverwaltung und -optimierung? Gibt es bestimmte Trends oder Entwicklungen, die besonders vielversprechend sind?
Die Nutzung der Technologie wird voraussichtlich deutlich zunehmen und sich verstärkt auf die Integration aller denkbaren Datentypen konzentrieren. Ein wertvoller Trend könnten zudem proaktive Prognosemodelle sein, die unzählige Szenarien vorab durchrechnen. Das KI-basierte Risikomanagement wird immer wichtiger – auch, um beispielsweise mit Abhängigkeiten und Krisen umzugehen.
Welche Ratschläge würden Sie Unternehmen geben, die vor den Herausforderungen der Einhaltung des neuen Lieferkettengesetzes stehen und überlegen, KI-Lösungen einzusetzen?
Besonders für die großen Unternehmen, die von dem Gesetz betroffen sind, kann die unkontrollierte Einführung von KI gewisse Risiken mit sich bringen. Indem die Algorithmen stoisch und meinungsfrei Informationen zusammentragen, können sie Erkenntnisse schaffen, die in Konflikt zur internen Wahrnehmung von Abteilungen stehen oder gar führende Meinungsträger infrage stellen. Es kommt also erstmal auf eine möglichst objektive Erstanalyse an, die am besten von externen KI-Spezialisten durchgeführt wird. So können die Erkenntnisse zunächst einem kleinen Kreis von Entscheidern vorgestellt und dann sukzessive in die Organisation eingebracht werden. Bei der Umsetzung des Lieferkettengesetzes wird eine derart langfristige Strategie entscheidend sein.
Wir danken für das Gespräch!
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