Kann künstliche Intelligenz Gravitationswellen besser entdecken?
Gravitationswellen sind kaum messbar, eröffnen aber tiefe Einblicke in kosmische Ereignisse. KI kann bei der Entdeckung helfen.

Schwarze Löcher - hier gezeichnet von einer generativen KI - verursachen Gravitationswellen, wenn sie miteinander kollidieren. Sie sind schwer zu messen, mit KI soll es besser gehen.
Foto: PantherMedia / TIAM SEONG YEW
Kollisionen von Schwarzen Löchern oder Supernova-Explosionen schleudern winzige Erschütterungen durch die Raumzeit. Diese Gravitationswellen sind kaum messbar, eröffnen aber tiefe Einblicke in kosmische Ereignisse. Seit ihrem ersten Nachweis im Jahr 2016 sind sie ein wichtiges Werkzeug für die moderne Astrophysik.
Doch um diese Wellen zu registrieren, braucht es extrem empfindliche Detektoren. Ihre Entwicklung ist technisch höchst anspruchsvoll. Klassische Ansätze stoßen dabei an Grenzen. Nun zeigt sich: Künstliche Intelligenz kann hier neue Wege aufzeigen – und schlägt in manchen Fällen sogar menschliche Kreativität.
Inhaltsverzeichnis
Der Mensch entwirft, die Maschine übertrifft
Am Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts (MPL) arbeiten Forschende an der Frage, ob Maschinen bessere Lösungen finden als Menschen. Konkret geht es um Detektoren, die auf Interferometrie basieren. Dieses Messverfahren nutzt die Überlagerung von Lichtwellen, um minimale Veränderungen in der Raumzeit sichtbar zu machen.
Dr. Mario Krenn, Leiter des ›Labors für künstliche Wissenschaftler‹ am MPL, hat gemeinsam mit Kolleg*innen vom LIGO-Projekt – bekannt für den ersten Nachweis von Gravitationswellen – eine künstliche Intelligenz entwickelt. Sie trägt den Namen ›Urania‹ und soll neuartige Detektordesigns generieren.
„Nach etwa zwei Jahren der Entwicklung und Anwendung unserer KI-Algorithmen haben wir Dutzende neuer Lösungen entdeckt, die besser zu sein scheinen als experimentelle Entwürfe von menschlichen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wir stellten uns die Frage, was der Mensch im Vergleich zur Maschine übersehen hatte“, erklärt Krenn.

Illustration des ersten Gravitationswellenereignisses, das von LIGO beobachtet wurde. Die erfassten Wellenformen von LIGO Hanford (orange) und LIGO Livingston (blau) sind unter den Abbildungen der verschmelzenden schwarzen Löcher überlagert.
Foto: Aurore Simmonet (Sonoma State University), Courtesy Caltech/MIT/LIGO Laboratory
Wie lassen sich Gravitationswellen messen?
Gravitationswellen werden mithilfe hochsensibler Instrumente nachgewiesen, die minimale Veränderungen in der Raumzeit erfassen können. Die gängigste Methode basiert auf der Laserinterferometrie. Ein typischer Gravitationswellendetektor, wie das bereits erwähnte Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO), besteht aus zwei langen, rechtwinklig zueinander angeordneten Armen.
Und so erfolgt die Messung: Ein Laserstrahl wird aufgeteilt und in beide Arme geschickt. Am Ende jedes Arms wird der Strahl reflektiert und kehrt zurück zum Ausgangspunkt, wo die beiden Strahlen überlagert werden. Eine durchlaufende Gravitationswelle verändert minimal die Länge der Arme, was zu einer Verschiebung des Interferenzmusters führt. Diese Verschiebung kann gemessen und analysiert werden, um Informationen über die Gravitationswelle zu erhalten.
Die Veränderungen, die Gravitationswellen verursachen, sind extrem klein – oft im Bereich von 10⁻²¹ Metern. Um solche winzigen Effekte zu messen, müssen Detektoren äußerst empfindlich sein und vor Störungen wie seismischen Aktivitäten, thermischen Schwankungen und anderen Umweltfaktoren geschützt werden. Techniken wie Vakuumröhren, seismische Isolierung und hochpräzise Lasersysteme sind daher essenziell für den erfolgreichen Nachweis von Gravitationswellen.
Künstliche Intelligenz entdeckt neue Ideen – und alte
Urania arbeitet nicht wie ein klassischer Simulationsalgorithmus. Die KI durchforstet einen riesigen Raum möglicher Detektorarchitekturen, prüft deren Leistungsfähigkeit und verfeinert ihre Vorschläge durch maschinelles Lernen.
Interessant: Viele ihrer Lösungen enthalten Elemente, die bereits bekannt sind – aber in völlig neuen Kombinationen. Andere Vorschläge wirken unkonventionell, sogar kontraintuitiv. Manche Designs könnten das heutige Verständnis von Gravitationswellendetektoren grundlegend verändern.
Die Forschenden haben ihre Aufgabe als ein sogenanntes kontinuierliches Optimierungsproblem formuliert. Das bedeutet: Die KI verbessert schrittweise Parameter und Strukturen, um am Ende möglichst leistungsfähige Designs vorzuschlagen.
Gravitationswellen
Definition: Gravitationswellen sind Wellen in der Raumzeit, die durch beschleunigte Massen erzeugt werden. Sie wurden 1916 von Albert Einstein im Rahmen seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt.
Eigenschaften:
- Breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus.
- Verursachen minimale Stauchungen und Dehnungen im Raum.
- Extrem schwache Effekte, daher schwer nachweisbar.
Quellen:
- Verschmelzende Schwarze Löcher.
- Kollisionen von Neutronensternen.
- Supernova-Explosionen.
- Rotierende asymmetrische Neutronensterne (Pulsare).
Nachweis:
- Erstmals direkt nachgewiesen am 14. September 2015 durch LIGO.
- Verwendete Technik: Laserinterferometrie.
- Weitere Detektoren: Virgo (Europa), KAGRA (Japan), GEO600 (Deutschland).
Wissenschaftliche Bedeutung: Gravitationswellen eröffnen eine neue Möglichkeit, das Universum zu beobachten, insbesondere Ereignisse, die mit elektromagnetischen Teleskopen nicht sichtbar sind.
Weiterführende Informationen: Wikipedia: Gravitationswelle
Der „Detektor-Zoo“ – 50 Entwürfe für die Zukunft
Um die Ergebnisse zugänglich zu machen, haben die Beteiligten die 50 leistungsfähigsten Entwürfe in einem öffentlich einsehbaren Archiv gesammelt. Sie nennen es ›Detektor-Zoo‹. Hier können andere Forschende die Ideen analysieren, testen und weiterentwickeln.
Die Designs könnten die Empfindlichkeit künftiger Gravitationswellenobservatorien deutlich steigern – laut Studie sogar um mehr als den Faktor zehn. Damit würden Ereignisse erkennbar, die bislang völlig unentdeckt bleiben.
Vom Werkzeug zur Mitdenkerin
Die Arbeit zeigt: Künstliche Intelligenz kann nicht nur menschliche Arbeit ergänzen, sondern eigenständig neue Wege in der Wissenschaft eröffnen. Urania ist nicht darauf programmiert, bekannte Methoden zu imitieren. Stattdessen denkt sie „anders“ – und inspiriert dadurch auch die Forschenden selbst.
Krenn betont: „Wir befinden uns in einer Ära, in der Maschinen neue Lösungen in der Wissenschaft entdecken können, die besser sind als die von Menschen erdachten, und die Aufgabe des Menschen besteht darin, zu verstehen, was die Maschine getan hat. Dies wird sicherlich ein sehr wichtiger Teil der Zukunft der Wissenschaft werden.“