Die Fahrerkabine 4.0 soll Traktorfahrer im Alltag unterstützen
Wie viel Konzentration ist gerade gefragt? Diese Fragen wollen Karlsruher Forscher für Landwirte beantworten. Sie entwickeln ein automatisiertes Assistenzsystem, das in der Fahrerkabine eines Traktors die aktuelle Situation analysiert und Handlungsempfehlungen auswirft. Das soll zur Entlastung beitragen.
Die meisten Ingenieure können sich ihre Arbeit gut einteilen und so für eine relativ gleichmäßige Belastung sorgen. Das sieht bei Landwirten im Ackerbau anders aus. Ihre Arbeitszeiten richten sich nach dem Wachstum der Pflanzen und dem Wetter. Besonders zur Erntezeit können die Tage lang werden. Denn die Ernte muss zum perfekten Reifezeitpunkt eingefahren werden, und in vielen Jahren hängen dunkle Wolken bedrohlich über den Feldern. Wer es nicht rechtzeitig vorm Regen schafft, muss zum Teil große finanzielle Verluste hinnehmen. Zehn Stunden oder mehr auf dem Traktor sind dann keine Seltenheit.
Forscher am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wollen daher den Landwirten ein automatisiertes Assistenzsystem zur Verfügung stellen, die Fahrerkabine 4.0. Sie soll anzeigen, wann die Arbeit gerade knifflig wird, wann Momente der Entspannung möglich sind und wann sogar Raum für weitere Tätigkeiten wäre – um die Arbeitsbelastung insgesamt zu verringern.
Digitalisierung schafft Leerlauf bei der Arbeit
Moderne Landmaschine sind komplex. Früher waren zum Beispiel für die Getreideernte mehrere Durchgänge nötig, heute erledigt ein Mähdrescher selbstständig mehrere Arbeitsschritte: Er schneidet das Getreide, nimmt es auf und transportiert es in das Dreschwerk, wo es gedroschen wird. Das wertvolle Korn landet in einem Auffangbehälter. All das kann die Maschine allein – und noch viel mehr. Denn in der Landwirtschaft ist, zumindest in großen Betrieben, die Digitalisierung im Vormarsch. Nach Angaben der Karlsruher Wissenschaftler setzen bereits knapp 82% der deutschen Landwirte auf einen intelligenten Maschinenpark. „Landwirtschaftliche Erntemaschinen mit einem hohen Automatisierungsgrad können mit GPS-Lenksystemen, Sensoren oder Farm- und Managementsystemen bereits viele Arbeitsschritte eigenständig ausführen“, sagt Patrick Lehr vom Institutsteil Mobile Arbeitsmaschinen (Mobima) am Institut für Fahrzeugsystemtechnik (FAST) des KIT. „Dank solcher Systeme lässt sich die Zeit auf dem Mähdrescher auch nutzen, sich um andere Dinge zu kümmern.“
Mit anderen Worten: Zeiten mit Leerlauf kann der Fahrer nutzen, um anderen Aufgaben zu erledigen, für die er sonst nach der langen Zeit auf dem Traktor noch ins Büro müsste, etwa Buchhaltung, die Einteilung des Personals oder Materialbestellungen. Außerdem wäre es ohnehin besser, die Arbeitsbelastung möglichst gleichmäßig zu verteilen. „Verschiedene Studien haben gezeigt, dass es für den Menschen am angenehmsten ist, sich in einem mittleren Beanspruchungsniveau zu bewegen“, sagt Lehr. Dafür soll das neue Assistenzsystem sorgen.
Virtual Reality macht Handlungsempfehlungen sichtbar
Viele Landmaschinen könnten dank GPS sogar autonom über das Feld navigieren, was allerdings aus Sicherheitsgründen nicht erlaubt ist. Ein Fahrer muss immer am Lenkrad sitzen und eingreifen können. Zudem gibt es auch Momente, in denen höchste Konzentration gefragt ist, etwa beim Andreschen, also dem Erntestart auf einem neuen Feld.
Die intelligente Fahrerkabine besteht daher aus mehreren Teilsystemen, die über verschiedene Wege die aktuelle Belastung des Landwirts ermitteln, unter anderem über die Blickerfassung (Eye-Tracking) oder ein Fitnessarmband, das mithilfe von Lichtsignalen den Puls ermittelt. Das ließe Aussagen über den Stresslevel zu. Als Ergebnis soll das System konkrete Handlungsempfehlungen aussprechen, beziehungsweise anzeigen – sie werden über Augmented Reality (AR), also eine Schnittstelle zur virtuellen Realität, ins Sichtfeld des Fahrers projiziert. Dort wär es auch möglich, zusätzliche Informationen wie Wettervorhersagen oder Daten über den Boden anzuzeigen.
Landwirte sind an Konzepten interessiert
Fertig ist die Fahrerkabine 4.0 zwar noch nicht, Konzepte für die Teilsysteme sind aber bereits erstellt. Im nächsten Schritt arbeiten die Forscher an der konkreten Umsetzung der technischen Lösungen. Dafür testen sie das System in einem Demonstrator, während parallel eine Testreihe mit Landwirten läuft. Sie probieren aus, wie es sich anfühlt, Getreide zu dreschen und gleichzeitig Bürotätigkeiten auszuführen. Eines haben die Wissenschaftler schon im Vorfeld abgefragt: „Die Mehrheit konnte sich vorstellen, in Zukunft die Zeit, in der der Mähdrescher automatisch arbeitet, auch anderweitig zu nutzen, insbesondere die immer wichtiger werdende Dokumentationspflicht wurde vermehrt genannt“, sagt Lehr.
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