ChatGPT für Roboter 20.01.2025, 12:30 Uhr

Investoren setzen auf KI-Robotik: Sereact sammelt 25 Mio. ein

Mit der KI-Software von Sereact können Maschinen ihre Umgebung verstehen und per Sprachbefehl mit ihr interagieren. Das überzeugt auch Investoren.

Die Gründer Ralf Gulde (li.) und Marc Tuscher haben das angeblich weltweit einfachste Tool zur Roboterprogrammierung entwickelt. Foto: Sereact

Die Gründer Ralf Gulde (li.) und Marc Tuscher haben das angeblich weltweit einfachste Tool zur Roboterprogrammierung entwickelt.

Foto: Sereact

Das Stuttgarter Start-up Sereact hat eine Finanzierung von 25 Mio. € erhalten, um seine Software für KI-trainierbare Roboter weiterzuentwickeln. Die Technologie mit dem Namen Vision Language Action Model (VLAM) ist zunächst für Anwendungsbereiche in der Logostik gedacht. Sie könnte aber in Zukunft in vielen weiteren Feldern das Training von Robotern beschleunigen. Der Tech-Investor Creandum (u.a. bei Spotify und Klarna engagiert) führt die Finanzierungsrunde an. Zu den Geldgebern gehören aber auch Point Nine, Air Street Capital und prominente Business Angels wie der ehemalige Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, Mehdi Ghissassi (ex-Google DeepMind) und Ott Kaukver (Skype).

VDI nachrichten porträtierte das Unternehmen am 17. Oktober 2023 wie folgt:

Auf die Leiter steigen, eine Kiste aus dem Regal ziehen, eine CD von Beethoven herausziehen, ein Regal weiter den passenden Rotwein: Arbeit von gestern. In modernen Warenlagern der Onlinehändler übernehmen diesen Job längst Maschinen – automatisierte Hochregallager, Förderbänder und autonome Shuttles. Doch trotz allen Fortschritts bleibt ein Arbeitsschritt meist manuell: das Kommissionieren, das Verpacken der Waren in einen Versandkarton. Ein Job, den Gelenkarmroboter mechanisch zwar längst übernehmen könnten. Doch hapert es am Erkennen von Produkten. Liegen Artikel kreuz und quer in Behältern verteilt, fernab definierter Positionen, sind Roboter meist nicht in der Lage, Waren zu identifizieren und den geeigneten Griffpunkt zu finden. „Zwar gibt es technische Möglichkeiten, Maschinen mit Konturen von Erzeugnissen vertraut zu machen und ihre Flexibilität zu erhöhen. Doch besonders bei großen und wechselnden Sortimenten sind die Trainingsphasen schlichtweg zu lang und somit unwirtschaftlich“, sagt Ralf Gulde, Geschäftsführer des Stuttgarter Start-ups Sereact. „Entsprechend hoch ist der Bedarf an neuen Methoden, die autonome Roboter schneller und kostengünstiger auf das automatisierte Kommissionieren und Verpacken großer Sortimente vorbereiten.“

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Bildverarbeitung lernt in neuronalem Netz

Die Idee für Sereact entwickelten Ralf Gulde (CEO) und Marc Tuscher (CTO) an der Universität Stuttgart. Gulde studierte Mechatronik und Tuscher Informatik. Gemeinsam forschten die Kommilitonen fünf Jahre lang am Thema Künstliche Intelligenz für die Robotik – am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW). Bis sie 2021 schließlich Sereact ausgründeten. Mit einem patentierten Computer-Vision-Modell – einem neuronalen Netzwerk, darauf trainiert, Objekte anhand ihrer visuellen Merkmale zu identifizieren. Zur Verfügung gestellt als Cloud-Software.

Lesetipp: Einsatz professioneller Serviceroboter nimmt zu

Verbinden Unternehmen nun ihr Lagerverwaltungssystem mit dem Programm der Stuttgarter, spendieren sie ihren Robotern Superkräfte. Ähnlich wie Held Neo im Hollywood-Blockbuster Matrix auf Knopfdruck Kung-Fu beherrscht, können die Roboter auf einen Schlag tausende Produkte erkennen – ohne Trainingsphase. Angeblich so zuverlässig, dass sie auch chaotisch in Kisten verteilt liegen könnten. „Die Maschine wird somit zu einer vollwertigen Fachkraft, die so gut wie alles picken kann“, sagt Gulde. Dabei versetze die Cloud-Software die elektrischen Arbeiter nicht nur in die Lage, Produkte zu identifizieren, sondern auch Griffpunkte zu erkennen und sich für den geeigneten Greifer zu entscheiden – etwa einen Vakuumgreifer für die CD oder einen Zwei-Finger-Greifer für die Flasche Wein.

Kombination mit generativem Sprachmodell nach Vorbild von ChatGPT

Doch die Objekterkennung ist nur der erste Streich von Sereact. Der neueste Clou der Stuttgarter: Die Kombination des Computer-Vision-Modells mit einem Large-Language-Modell. Solche generativen Sprachmodelle mit KI sind seit Einführung des Chatbot-Dienstes ChatGPT in aller Munde. Durch das Verheiraten beider Modelle hat das Team von Sereact ein neues Produkt namens PickGPT auf den Markt gebracht. Ein Cloud-Service, der Roboter nicht nur befähigt, Objekte zu erkennen, sondern ihnen gleichzeitig erlaubt, die physikalischen Eigenschaften der Produkte zu verstehen.

Roboter wissen dank der KI von Sereact, welche Produkte sie wo greifen sollen und wie sie gestapelt werden können. Angelernt werden müssen sie dafür nicht.

Foto: Sereact

„Roboter können ihre Umgebung somit mit einer bisher nicht gekannten Intelligenz wahrnehmen“, betont Gulde. Bedeutet: Erhält ein Roboter den Auftrag, einen Karton mit Wein, Keksen und Bananen zu packen, weiß er dank Zugriff auf ein Large-Language-Modell, dass Bananen empfindlich und leicht sind. Folglich platziert er zuerst die Flasche Wein in der Box und darüber die Früchte. Dabei sei es dank des Einsatzes eines Bild- und Sprachmodells sogar möglich, dass die Roboter ihre Wissensbasis generalisieren. Und somit ihre Fähigkeiten auch auf Produkte übertragen, die sie vorher noch nie gesehen haben. „PickGPT ist somit ideal geeignet für Maschinen, die beim Kommissionieren mit ständigen Veränderungen zu tun haben.“

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Anwender benötigen keine Programmierkenntnisse mehr

Durch die Einbindung eines Sprachmodells verbessert Sereact auch die Bedienbarkeit von Robotern. Programmierkenntnisse benötigt der Anwender keine mehr. Stattdessen steuert er seinen elektrischen Kollegen mit einer Texteingabe oder per Sprachbefehl. „PickGPT ist das weltweit einfachste Tool zur Instruktion und Programmierung von Robotern“, ist Gulde überzeugt. Der Vorteil liegt auf der Hand. Selbst Aushilfskräfte, die von IT keine Ahnung haben, können mit den Cobots zusammenarbeiten und ihnen per Sprache Anweisungen erteilen – genau wie einem menschlichen Kollegen. Ein Game-Changer, der bei vielen Logistikern laut Gulde offene Türen einrennen wird. „Auf das Kommissionieren und Verpacken entfallen etwa 55 % der Kosten im Lagerbetrieb. Gleichzeitig geraten immer mehr Unternehmen wegen des Arbeitskräftemangels unter Druck. Der Bedarf an intelligenten Automationslösungen ist daher höher denn je. Unsere Lösung lässt sich innerhalb eines Tages implementieren und sorgt für Kosteneinsparungen von 77 % pro Kommissionierung.“

Zu den Kosten der Innovation äußert sich das Start-up nicht. Die Gründer verraten nur, dass sich die Investition in der Regel innerhalb von weniger als zwölf Monaten amortisiere.

Vom Potenzial der neuen Lösung sind auch Investoren überzeugt. Im August hat Sereact eine Finanzierungsrunde mit 5 Mio. $ abgeschlossen. „Wenn Unternehmen die Automatisierung vorantreiben, benötigen sie eine zugängliche Technologie, die in der Lage ist, mit schwierigen und unvorhersehbaren Umgebungen umzugehen“, sagt Nathan Benaich, Founding Partner bei Air Street Capital. „Das Team von Sereact kombiniert ein tiefes Verständnis für den Betriebskontext von Lagerhäusern mit echtem technischen Einfallsreichtum.“ Dabei kratze das Produkt erst an der Oberfläche seiner Möglichkeiten.

Ein Beitrag von:

  • Patrick Schroeder

    Patrick Schroeder arbeitete während seines Studiums der Kommunikationsforschung bei verschiedenen Tageszeitungen. 2012 machte er sich als Journalist selbstständig. Zu seinen Themen gehören Automatisierungstechnik, IT und Industrie 4.0.

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