Frachtdiebstahl zunehmend auf Bestellung
Jährlich sind etwa 200 000 Transporte auf deutschen Straßen von Frachtdiebstählen betroffen, die nach Informationen der EU-Kommission volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Über die bevorzugte Vorgehensweise der Frachtendiebe und geeignete Präventionsmaßnahmen informierten Experten kürzlich auf dem Symposium „Wirksamer Schutz vor Ladungsdieben“ in Stuttgart.
Durch Frachtdiebstähle entstehen in den EU-Staaten volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Laut den jüngsten Angaben der EU-Kommission belief sich der Gesamtschaden im Jahr 2010 auf 8,5 Mrd. €, davon rund 3,5 Mrd. € allein in Deutschland.
Jährlich sind etwa 200 000 Transporte auf deutschen Straßen von Frachtdiebstählen betroffen – Tendenz steigend, wie das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen kürzlich auf dem Symposium „Wirksamer Schutz vor Ladungsdieben“ in Stuttgart festgestellt hat. Rund sechzig Branchenexperten informierten sich auf der von der Fachzeitschrift „trans aktuell‘ in Kooperation mit der Sachverständigenorganisation Dekra und dem baden-württembergischen Verband Spedition und Logistik (VSL) ausgerichteten Veranstaltung über das Ausmaß der Folgeschäden von Frachtdiebstählen und geeignete Präventionsmaßnahmen zu deren Vermeidung.
Folgekosten von Frachtdiebstahl deutlich höher als eigentlicher Schaden
Denn ungleich höher als der durch Ladungsklau entstehende unmittelbare Sachschaden, den Michael Wortmann von der weltweit tätigen Frachtschutzorganisation Tapa (Transported Asset Protection Association), hochgerechnet auf die Gesamtzahl aller Frachten, auf 6,72 € je Transport bezifferte, seien die Folgekosten. Durch die Unterbrechung der Lieferkette komme es oft zu massiven Produktionsausfällen und Betriebsstörungen in ganzen Industriezweigen. „Nicht selten ist der Folgeschaden fünfmal so hoch wie der Warenwert“, berichtete der Experte von Tapa, einem Zusammenschluss von mehr als sechshundert Warenherstellern, Versicherern, Logistikdienstleistern und Strafverfolgungsbehörden. Zusätzlich sorge die von Hehlern zu Dumpingpreisen verhökerte Beute auch noch für Wettbewerbsverzerrungen.
Gestohlen wird laut Wortmann alles, was sich problemlos und rasch vermarkten lässt und hohen Profit verspricht – Computer, Mobiltelefone, Autoradios, Fernseher, aber auch Lebensmittel, Spirituosen, Zigaretten oder Kosmetikartikel. Vorwiegend in Südeuropa würden auch schon mal komplette Lkw-Ladungen mit frischem Obst oder Käse verschwinden. Einen regelrechten Boom erlebt nach den Informationen des Tapa-Experten aufgrund der explodierenden Rohstoffpreise derzeit der Diebstahl von Metallen jeglicher Art.
Geht es um Diebstahl oder Raub kompletter Ladungen, nahm 2010 Großbritannien mit 603 registrierten Fällen die Spitzenposition in der Tapa-Statistik ein, gefolgt von Deutschland (110), Belgien (38) und Spanien (35). Dreistigkeit und Brutalität der Täter nehmen dabei deutlich zu.
„Früher“, so berichtete Marcel Frings von der Frachtenbörse Timocom, Düsseldorf, „hatten wir es überwiegend mit Einzeltätern zu tun, heute ist Ladungsdiebstahl ein lukrativer Geschäftszweig international agierender Verbrecherbanden.“
Häufigste Tatorte für Frachtdiebstahl sind Rast- und Parkplätze
Die häufigsten Tatorte sind nach Auskunft des Landeskriminalamtes Niedersachsen Rast- und Parkplätze. In zwei von drei Fällen verschwindet von dort „nur“ die Ladung, ganz oder teilweise, im dritten Fall der komplette Lastwagen oder Sattelzug. Die Vorgehensweise sei dabei weitgehend gleich: Im Schutz der Dunkelheit schneiden die Täter ein Loch in die Plane und laden in Windeseile die Fracht in ihr mitgebrachtes, nicht selten ebenfalls gestohlenes Fahrzeug um, während der Fahrer in der Kabine schläft oder in der Raststätte weilt. Statistisch in etwa jedem fünften Fall wird der Fahrer bedroht oder tätlich angegriffen und aus der Kabine gezerrt. Gelegentlich zwingen ihn die Räuber auch, seinen Lastzug selbst zu der von ihnen gewählten „Umladestation“ zu fahren, und lassen ihn dann laufen, nachdem sie ihm Handy und Bargeld abgenommen haben.
Immer häufiger stehlen laut den LKA-Informationen arbeitsteilig organisierte Banden gezielt für kriminelle Auftraggeber Ware nach Wunsch. Speditionen, Fahrzeuge und Ladevorgänge werden bisweilen tagelang ausgespäht, um bei passender Gelegenheit zuschlagen zu können. Um an Insiderinformationen zu gelangen, werden Mitarbeiter der beteiligten Unternehmen angesprochen und bestochen, Gespräche unter Fahrern an Tankstellen und Raststätten belauscht oder Mails und Telefongespräche innerhalb der Lieferkette abgefangen. Etwa zwei Drittel aller Frachtdiebstähle basieren auf derartigen Informationen.
Große Schwachstellen finden sich auch in den Logistikunternehmen selbst. In Großbritannien beispielsweise erfolgen laut Tapa 40 % aller Frachtdiebstähle auf dem Firmengelände. Abhilfe würden hier lückenlose Umzäunung, vollständige Ausleuchtung bei Dunkelheit, Zutritts- und Zufahrtskontrollen schaffen. Der Einsatz von Magnetschlüsseln, Chipkarten, Transpondern und Videoüberwachung könnten den Sicherheitsstandard noch effektiver machen.
Das gängige Klischee vom vermummten Täter mit Taschenlampe und Stemmeisen mutiert im Internetzeitalter zum Auslaufmodell. Heute bewerben sich nach Erkenntnissen der Frachtenbörse Timocom beispielsweise fiktive Firmen mit gefälschten EU-Lizenzen um Aufträge und locken mit Dumpingpreisen. Oder Anrufer gäben sich als Mitarbeiter branchenbekannter Unternehmen aus, bei denen wegen Stromausfalls Festnetztelefon und Internetzugang lahmgelegt seien. Deshalb müsse nun das Geschäft über Handy abgewickelt werden. Eine beliebte Masche ist laut den Informationen von Timocom auch die Übernahme insolventer Speditionen, vor allem in Osteuropa. Unter deren Namen werden dann munter weiter Transaktionen durchgeführt, weil es dort bisweilen Monate dauert, bis der Firmenname im Handelsregister gelöscht ist.
Schließ- und Sicherungssysteme an Fahrzeugen und Verpackungsbehältern erschweren Frachtdiebstahl
Um Frachtdieben das Handwerk zu erschweren, ist nicht zuletzt die Wahl eines zweckmäßigen Fahrzeugs wichtig, das je nach Ladungswert und Fahrtroute entsprechend ausgerüstet ist. Dazu gehören neben stabilen mechanischen und elektronischen Schließ- und Sicherungssystemen an Fahrzeugen und Verpackungsbehältern beispielsweise auch Königsbolzenschlösser oder Deichselsicherungen, wie Erwin Abele vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Berlin, erklärte.
Wenn, wie geschehen, Autoradios im Wert von 260 000 € in einem Lkw mit Planenaufbau von Deutschland nach Frankreich gekarrt werden und der Fahrer auf einem unbewachten Parkplatz in Belgien pausiert, so der Verkehrshaftungsexperte, dürften er und sein Spediteur sich nicht wundern, wenn Diebe die Plane aufschlitzten und 356 Autoradios mitnähmen. Mit Kofferaufbau wäre das vermutlich nicht passiert, zumal, wenn der Lkw mit einer Alarmanlage ausgerüstet gewesen wäre, so Abele. Bei der Fahndung nach gestohlenen Fahrzeugen steigert die Objektverfolgung mittels des satellitengestützten GPS-Navigationssystems (GPS-Tracking) nach Ansicht des GDV-Rechtsexperten zudem die Erfolgsaussichten bei der Aufklärung des Diebstahls durch die Strafverfolgungsbehörden.
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