Kolosse aus Kassel starten auf der Weser nach Korea
Die Weser wird als Transportweg für die Industrie in Nordhessen zunehmend interessanter. Seit die ehemals stillgelegte Weserumschlagstelle Hann. Münden 2007 für den Schwergutumschlag mit Großgeräten ertüchtigt wurde, hat das Unternehmen Richter, hier bereits mehr als 30 Mal schwere Maschinenteile von Tiefladern auf das Binnenschiff verladen und es gibt weitere industrielle Interessenten.
250 t „Hightech aus Hessen“ hingen an den Stahltrossen der beiden Schwerlastkräne, als sie Anfang August einen 24 m langen, 4,80 m breiten und 3,80 m hohen Zylinder an der Weserumschlagstelle Hann. Münden in das Binnenschiff „Wodnik“ hievten. Er ist das Herzstück eines von der Alstom Power Energy Recovery GmbH in Kassel hergestellten Synthesegaskühlers. Bestellt hat ihn der koreanische Stahlproduzent Posco.
Der Kühler hat noch eine lange Reise vor sich. „Wodnik“ brachte ihn nach Bremerhaven, und von dort aus geht es Mitte November per Seeschiff weiter nach Korea. Zwei „Zwillingsbrüder“ sind derzeit in Kassel noch in Arbeit sie sollen ihm Ende des Jahres folgen. In Gwangyang lässt Posco derzeit die weltgrößte Anlage zu Erzeugung synthetischen Erdgases (SNG) errichten. Zwei der Kühler würden bei der Kohlevergasung eingesetzt, der dritte stehe in Reserve parat, erklärte Edgar Seliger, Alstoms Director Project Management, bei der Verladeaktion.
Um Alstom-Geschäftsführer Karsten Stückrath hatten sich Vertreter der südniedersächsischen und nordhessischen Wirtschaft, aus Politik und Verwaltung, Organisationen und Gremien versammelt. Unter den Gästen war auch der Unternehmer Axel Richter aus dem rund 40 km entfernten Hessisch Lichtenau. Er hatte die Ende der 70er-Jahre stillgelegte Weserumschlagstelle 2007 wiederentdeckt und wiederbelebt.
250 000 € investierte sein auf die Bearbeitung „größtdimensionierter“ Maschinen- und Anlagenkomponenten spezialisiertes Unternehmen, um die Kaianlagen zu ertüchtigen, und leitete damit eine wohl von niemandem für möglich gehaltene Renaissance der Oberweser als Schifffahrtsstraße für Güterverkehr ein.
Seit 2008 ließ die Richter AG weit über 30 Mal Maschinenteile von Tiefladern auf Binnenschiffe verladen und umgekehrt. Den Straßentransport für die bis zu 300 t wiegenden Teile genehmigt zu bekommen, werde immer schwieriger, erklärte Richters Vertriebsleiter Joachim Kraus. „Knackpunkt“ – im wahrsten Sinne des Wortes – sind marode Brücken, vor allem Autobahnbrücken, deren Traglast immer weiter reduziert wird. Problem Nummer zwei ist, dass auch die Dimension der Anlagen zunimmt – Alstoms Synthesegaskühler sind die längsten und schwersten Bauteile, die das Unternehmen bisher produziert hat. Und selbst die mussten für den Transport „zurechtgestutzt“ werden. In Bremerhaven werden jeweils noch die Gaseintritts- und die Gasaustrittskammern angeschweißt. In Kassel war das nicht möglich, weil die in voller Länge rund 35 m langen Apparate gar nicht aus der Fertigungshalle herauszumanövrieren gewesen wären.
„Der Transport auf dem Wasserweg entwickelt sich zu einem wichtigen wirtschaftlichen Standortfaktor“, sagte der Hann. Mündener Wirtschaftsförderer Jörg Hartung. Für viele Unternehmen werde das interessant, „denn“, so Hartung, „Maschinen- und Anlagenbau spielen in der Region Südniedersachsen/Nordhessen/Ostthüringen eine bedeutende Rolle und sind stark exportorientiert“. Die Einbindung des Verkehrsträgers Wasserstraße biete gerade für Unternehmen dieser Branche spezifische Vorteile, wie eine hohe Transportsicherheit und keine relevanten Einschränkungen bei Gewicht und Abmessungen der Kolli. Das bescheinigte die 2011 von Logistic Network Consultants (LNC) vorgelegte Machbarkeitsstudie in Sachen Weserumschlagstelle.
Die Bedeutung des Binnenschiffs für den Umschlag von Schwergut werde stetig zunehmen, so die Gutachter. Die Stadt Hann. Münden ist bereit, die Umschlagstelle zu einem Binnenhafen auszubauen. Sie führt Gespräche mit einem potenziellen Betreiber und um Fördermittel für einen Kran lockerzumachen. Darüber hinaus geht es darum, einen dauerhaften Umschlag sicherzustellen. Als die IHK Kassel zu einem „Runden Tisch“ einlud, fanden sich 27 potenzielle Interessenten ein. Und, so hofft man, ist die Infrastruktur erst einmal vorhanden, werden sich auch weitere Nutzer einfinden.
Alstom ist auf die Weser als Transportweg angewiesen. Das machte Stückrath in Hann. Münden bei seiner Ansprache vor den Gästen deutlich. Sorge bereitet ihm, dass das Bundesverkehrsministerium im Zuge der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung die Oberweser als „sonstige Wasserstraße“ klassifiziert hat, d. h. als solche, „die keinen Güterverkehr haben“. Die werden, wie es im 5. Bericht des Ministeriums zur WSV-Reform heißt, in ihrem Bestand erhalten, aber nicht weiter ausgebaut werden. Dass zwischen Hann. Münden und Minden tatsächlich sehr wohl Güterverkehr stattfindet und heftig daran gearbeitet wird, dass es noch mehr wird, hatte man im Ministerium offenbar nicht mitbekommen. Stückrath forderte Planungssicherheit, so dass die Fahrrinnentiefe gewährleistet und bei Niedrigwasser wie bisher durch eine Zugabe aus dem Edersee reguliert wird. Eine solche „Welle“ ebnete auch der „Wodnik“ den Wasserweg bis Minden.
Das Auftragsvolumen für die drei Synthesegaskühler summiere sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag, betonte Stückrath. Über weitere acht bis zehn Exemplare werde gerade verhandelt die Aufträge sollen 2013 unterschriftsreif sein. Voraussetzung für die Annahme weiterer Aufträge sei jedoch die Transportmöglichkeit vom Werk zu den Seehäfen Hamburg, Bremerhaven und Antwerpen. ANNE SCHNELLER
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