Seehäfen brauchen effiziente Hinterlandverbindungen
Die Seehäfen brauchen verkehrsübergreifende Logistikketten, um die weiter wachsenden internationalen Warenströme in das europäische Hinterland transportieren zu können. Während die Wissenschaft dazu an intelligenten IT-Lösungen zur optimalen Vernetzung der Verkehrsträger arbeitet, schaffen die deutschen Binnenhäfen neue Umschlagskapazitäten.
Um etwa 7 % wird der weltweite Warenhandel nach Schätzungen der IKB Deutsche Industriebank, Düsseldorf, alleine in diesem Jahr wachsen. Hiervon profitierten auch die großen europäischen Logistikmärkte, heißt es in der aktuellen Branchenuntersuchung der Düsseldorfer Banker.
„Mehr als 90 % der interkontinentalen Güterströme werden über den Seeweg transportiert. Immer mehr Waren müssen in kürzeren Zeiträumen verschifft, auf limitierten Hafenflächen umgeschlagen und gelagert sowie über die stark ausgelasteten Hinterlandanbindungen weitergeführt werden“, erklärte Prof. Dr.-Ing. Carlos Jahn, Leiter des Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML), Hamburg, gegenüber den VDI nachrichten. Ob die maritimen Häfen daraus aber wirtschaftliche Erfolge ziehen können, sei nicht nur von der Leistungsfähigkeit des Hafenstandorts an sich abhängig, sondern zunehmend auch von der Anbindung an das Umland und von der intermodalen Vernetzung mit dem Hinterland.
„Hier eröffnet sich erstmalig die Chance, durch die Integration entlang der Lieferkette durchgängige Prozesse zu schaffen und logistische Dienstleistungen aus einer Hand anzubieten“, so der Wissenschaftler. Dazu seien Kooperationen zwischen den Akteuren und gezielte Investitionen im Hinterland notwendig. Beispielsweise könnten Hafenstandorte proaktiv auf die prognostizierten Volumenzuwächse im Seehandel zugehen, indem sie individuell zugeschnittene Transportmöglichkeiten und spezialisierte Mehrwertleistungen bieten. Eine besonders große Rolle spiele dabei die Intermodalität, die den Verkehrskollaps auf den Straßen verhindern soll. Jahn: „Die Stärken von Bahn und Binnenschiff lassen sich hauptsächlich dann ausspielen, wenn komplexe Informationsströme von den Hafenakteuren integriert und zielgerichtet gesteuert werden.“
Für die Umsetzung dieser zeit- und kostenoptimalen Dienstleistungen müsse es rechtzeitig gelingen, bestehende Prozesse und Technologien optimal aufzustellen und innovative Ideen umzusetzen, so der Logistikexperte. Der Einsatz moderner Technologien, das Ineinandergreifen von Material- und Informationsflüssen entlang der gesamten Prozesskette und die Nutzung intelligenter IT-Lösungen seien dafür wichtige Erfolgsfaktoren. Die Wissenschaft und die angewandte Forschung seien hier gefordert, mit den Unternehmen und Organisationen der Seehäfen an neuen Lösungen zu arbeiten. Mit der Gründung des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen sei im vergangenen Jahr eine neue Forschungseinrichtung geschaffen worden, die Logistikinnovationen für die maritime Logistik fördert.
Die Optimierung der komodalen Verkehre zwischen maritimen Verkehr, Binnenschifffahrt, Bahn- und Straßenverkehr fordert auch Brigitte Grouwels. Die Ministerin für Transport der Region Brüssel-Hauptstadt, die Belgien beim informellen EU-Ministerrat Transport in Antwerpen vertritt, will weitere Unterstützung für die europäischen Binnenhäfen als logistische Knotenpunkte. Die Integration des maritimen Verkehrs in die Logistikkette setze jedoch ein gut entwickeltes Netzwerk komodaler Knotenpunkte voraus, sowohl in den See- als auch in den Binnenhäfen.
Grouwels: „Diese Entwicklung muss einen zentralen Bestandteil der zukünftigen Politik der EU bilden. Dabei muss sowohl die Umwelt berücksichtigt werden als auch der städtische Charakter von Binnenhäfen. Freizeit- und Wohnmöglichkeit am Wasser etwa dürfen nicht auf Kosten der so wichtigen Entwicklung der Binnenhäfen als komodale Knotenpunkte gehen“, forderte die Politikerin unlängst vor dem informellen EU-Ministerrat Transport.
Zur Unterstützung der europäischen Binnenhäfen unterbreitete die Ministerin konkrete Vorschläge. So müsse nach ihrer Ansicht freier Raum entlang der Wasserstraße in ausreichendem Maße den wassergebundenen wirtschaftlichen Aktivitäten vorbehalten sein und nicht nur den Freizeit- und Wohnaktivitäten. Zudem müsse die Politik zur Anrechnung der externen Kosten der verschiedenen Verkehrsarten fortgesetzt werden. Dies komme der Wettbewerbsfähigkeit der Binnenschifffahrt zugute. Konkret denkt Grouwels an die Umsetzung der Eurovignetten-Richtlinie. Mit dieser Richtlinie würden die europäischen Mitgliedsstaaten angeregt, die externen Kosten für Umwelt- und Lärmbelästigungen des Güterverkehrs in Rechnung zu stellen.
Neuen Schwung in die Seehafenhinterlandverkehre will auch die Westhafenkonferenz bringen, zu der jedes Jahr hochrangige Vertreter der Seeverkehrsbranche zusammenkommen. Ziel der Konferenzteilnehmer ist die Optimierung des Kombinierten Verkehrs von und zu den niederländischen und belgischen Seehäfen. Dafür arbeiten die Akteure – darunter Reeder, Spediteure, Hafenbehörden, intermodale Operateure sowie seeverladende Unternehmen – vorrangig an der Verbesserung des Seehafenhinterlandverkehrs. So werden Mengenplanungen gemeinsam abgeglichen, um sich besser auf schwankende Transportvolumina oder gar sich abzeichnende Kapazitätsengpässe einstellen zu können.
Die Rotterdamer Hafengesellschaft (Port of Rotterdam) rechnet beispielsweise für die kommenden Jahrzehnte mit einem stark steigenden Gesamtumschlag. „Um dieses Wachstum effizient, schnell und umweltschonend zu bewältigen, ist eine gute Hinterlandanbindung unerlässlich“, bekräftigt Hans Smits, Vorstandsvorsitzender der Rotterdamer Hafengesellschaft und ergänzt: „Dazu brauchen wir einen leistungsstarken und wettbewerbsfähigen Schienengüterverkehr, insbesondere im Hinblick auf die angestrebte Verkehrsverlagerung.”
Diese Ansicht vertritt auch Erich Staake, Vorstandssprecher der Duisburger Hafen AG (Duisport). „Wir benötigen eine effiziente Hinterland-Hub-Struktur, die den Schiene-Schiene-Umschlag ermöglicht. Verkehre, die schwerpunktmäßig aus Rotterdam kommen, werden am Standort Duisburg konsolidiert, um neue Zugeinheiten in alle möglichen Korridore in Europa hinein definieren zu können“, so der Experte.
Laut Staake wird dafür der Ausbau der Bahndrehscheibe Duisburg mit dem Bau des Rhein-Ruhr-Hubs weiter vorangetrieben. „Bei diesem gemeinsamen Projekt der Deutschen Bahn und Duisport werden über 100 Mio. € in den Mega-Hub für den Umschlag Schiene-Schiene investiert. Nach Fertigstellung des Logistikdrehkreuzes im kommenden Jahr wird die Verteilfunktion des Duisburger Hafens weiter gestärkt“, betonte Staake Anfang April während der Bilanzpressekonferenz seiner Gesellschaft. ROLF MÜLLER-WONDORF
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