Wie Containerschiffe ihre Ladung schützen können
Immer wieder geht bei großen Frachtern auf See die Ladung über Bord. Nun soll ein Trackingsystem für Seecontainer entwickelt werden, um die Container schneller zu finden.
Es war im Jahr 2019, nur vier Jahre nach der Schiffstaufe, als die MSC Zoe im Wattenmeer havarierte. Bei rauer See verlor der gigantische Frachter bei Borkum und bei Ameland 342 Container. Erst fünf Stunden später fiel das der Besatzung auf. Die Katastrophe ist kein Einzelfall. Immer wieder rutschen insbesondere bei großen Frachtschiffen Container über die Reling. Allein in den vergangenen drei Jahren sollen es 7000 Stahlboxen gewesen sein, schätzt der Branchenverband World Shipping Council. Die Besatzung bemerkt den Verlust, insbesondere bei Sturm oder Nacht, oft nicht direkt.
Im Fall der MSC Zoe übernahm das Havariekommando in Cuxhaven die Suche nach den vermissten Containern. Flugzeuge versuchten sie aus der Luft zu orten. „Das ist äußerst schwierig, weil sie oft etwas unter der Wasseroberfläche treiben, manchmal auch untergehen“, sagt Moritz Oberjatzas, Seefahrtsexperte von der Jade-Hochschule Elsfleth. Beim Unfall der MSC Zoe barsten zudem viele Container. Über Wochen treiben Kühlschränke, Plastikblumen, Kleidung und Fernseher an die Küsten in Ostfriesland und den Niederlanden. Der Frachter soll auch Gefahrgut, Lithiumbatterien und Dibenzoylperoxid geladen haben. Die Chemikalie für die Kunststoffherstellung ist sehr giftig für Fische. Viele der Container sowie ihre Fracht konnten bis heute nicht geborgen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Rekord: Giga-Frachter Ever Alot kann knapp 25.000 Container aufnehmen
- Trackingeinheiten sollen über Bord gegangene Container melden
- Hapag-Lloyd und Eurogate sind an den smarten Containern interessiert
- Datenübertragung über Mobilfunknetz Starlink von Elon Musk geplant
- Warnmeldung über das automatische Identifikationssystem (AIS) geplant
- Plötzliche Änderung von Neigung und Ausrichtung der Container erkennen
- Überwachung der Lieferkette auf See steht erst am Anfang
- Solarmodul am Container liefert Energie fürs Absetzen des Funksignals
Rekord: Giga-Frachter Ever Alot kann knapp 25.000 Container aufnehmen
Niedersachsens Umweltminister fordert nach dem Unfall Peilsender für Gefahrgutcontainer. Und auch der Abschlussbericht des Unglücks macht das Risiko deutlich: Mit dem Trend zu immer größeren Frachtern – der Rekord des Giga-Frachters Ever Alot liegt aktuell bei knapp 25.000 Containern – steigt die Gefahr, dass diese Container verlieren.
Die Ladung der MSC Zoe war ordnungsgemäß gesichert. Der Frachter aber geriet ins Rollen. Schiffe dieser Größe hätten eine sehr hohe Stabilität, erläutert Ulf Kaspera, Direktor der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung, im Gutachten. Sobald sie in Schieflage geraten, richten sie sich abrupt wieder auf. Dabei wirken enorme Beschleunigungen auf die Ladung. Stählerne Ladungssicherungen brechen dann unter Umständen und Container schießen stapelweise über die Reling. Kaspera stellt klar, dass auch in Zukunft mit vergleichbaren Havarien zu rechnen ist. Die Versicherungsindustrie verlangt deshalb in Anbetracht immer größerer Frachtschiffe immer höhere Prämien.
Trackingeinheiten sollen über Bord gegangene Container melden
Im Licht dieser Entwicklungen ist es dem deutschen Wirtschaftsministerium 1,4 Mio. € wert, im Rahmen eines Forschungsprojekts Trackingeinheiten für Container entwickeln zu lassen, die Havarien sofort erkennen und deren Schaden begrenzen. ConTAD heißt das Vorhaben; die Abkürzung steht für „Smart container tracking und accident detection“. Die Vision: Sensoren in den über Hundert Millionen weltweit zirkulierenden Containern sollen melden, wenn eine der Boxen ins Wasser stürzt.
Im Ernstfall soll eine Trackingeinheit sofort die Position angeben, damit die Bergung unverzüglich beginnen kann. Sonst geht wertvolle Zeit verloren – und der Container allmählich unter. „Vor allem sollen auch andere Schiffe und Segler in der Nähe gewarnt werden. Denn immer wieder kommt es zu schlimmen Unfällen, wenn jemand auf einen unter der Wasseroberfläche treibenden Container auffährt“, sagt Oberjatzas.
Hapag-Lloyd und Eurogate sind an den smarten Containern interessiert
Der Frachtdienstleister Hapag-Lloyd und das Bremer Logistikunternehmen Eurogate, das Frachter be- und entlädt, beteiligen sich am Projekt. Hapag-Lloyd ist Weltmarktführer im Bereich Containertransport auf See. Das Unternehmen hat eigenen Angaben zufolge als Erstes in der Branche bereits mehr als die Hälfte seiner Container zumindest mit Ortungstechnik ausgestattet. Die Motivation dafür ist, die Fracht an Land weiterverfolgen zu können, wenn sie auf Güterzügen und Lkw verladen wird, berichtet Olaf Habert, Experte für digitale Container bei Hapag-Lloyd. „Auf hoher See sind unsere Sensoren aber bisher offline, da es keine entsprechende Mobilfunkverbindung zum Festland gibt. Eine Havarieerkennung und Warnung vor umhertreibenden Containern wäre für uns als zusätzliche Funktion interessant.“ Denn die Digitalisierung der Container ist ohnehin kostspielig. Sie erfordere einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag.
Allerdings bestehen momentan noch mehrere technische Herausforderungen, um die Container auch auf den Weltmeeren intelligent zu machen. Außerhalb der 12-Meilen-Zone gibt es keine Mobilfunkverbindung für die Datenübertragung an Land. Zwar können Frachter eine eigene Mobilfunkstation mitführen. Aber die Übermittlung der Daten ist dann nur über Satelliten möglich, berichtet Hanns-Christian Wüstner, Geschäftsführer von der Firma Socratec. Das Unternehmen entwickelt die Software im Projekt ConTAD und hat sich auf Ortungstechnologie spezialisiert. Satellitentelefonie ist jedoch bisher sehr teuer und findet deshalb wenig Anklang im Schiffshandel, der unter immensem Kostendruck steht. „Außerdem nutzen Satelliten Erdfunkstellen und je nachdem, wo sich ein Schiff befindet, kann die Datenübertragung auch einige Stunden verzögert sein.“
Datenübertragung über Mobilfunknetz Starlink von Elon Musk geplant
Die Hoffnungen der Projektbeteiligten richten sich deshalb auf das weltumspannende Mobilfunknetz Starlink, das Elon Musks Unternehmen SpaceX derzeit aufbaut. Es besteht aus Satelliten, die in niedrigen Erdumlaufbahnen und großer Zahl die Datenübermittlung gewährleisten. Ende 2023 befanden sich 5270 dieser Satelliten im Orbit. Bisher ist allerdings zur Nutzung eine eigene Antenne nötig, die SpaceX ebenfalls vertreibt. Demnächst will das Unternehmen jedoch Satelliten einsetzen, zu denen eine Verbindung über den LTE-Mobilfunkstandard und damit mit jedem Smartphone möglich sein soll. Bis zu 40.000 Satelliten sollen dafür künftig betrieben werden. Im Flugzeug und auf See verspricht SpaceX einen kostengünstigen Zugang zum Breitbandinternet. Die digitalen Container würden dann Teil eines Internets der Dinge auf See.
Warnmeldung über das automatische Identifikationssystem (AIS) geplant
Bis zum Ende des ConTAD-Projekts 2026 dürfte die mangelnde digitale Anbindung auf See folglich der Vergangenheit angehören. Doch um andere Frachter zu warnen, müssten die Container im Fall eines Unfalls ihre Position ähnlich wie jedes Schiff über das sogenannte AIS-System melden. AIS ist ein automatisches Identifikationssystem für Schiffe, in dem diese in definierten Zeitabständen ihre Koordinaten, ihren Kurs und ihre Geschwindigkeit über ein Frequenzband im Bereich der Ultrakurzwellen austauschen. Schiffe können die Signale untereinander empfangen. Zusätzlich werden diese über Satelliten zusammengeführt.
Für jede Kapitänin und jeden Bootsführer sind andere Fahrzeuge auf einer digitalen Seekarte zu sehen. Das System verhindert auf diese Weise Kollisionen auf See und hilft illegalen Fischfang aufzudecken. „Sobald Container über Bord gehen, müssten diese ihre Daten auch in das AIS-System einspielen, um umliegende Schiffe zu warnen“, schildert Oberjatzas. „Im AIS-System ist jedoch streng geregelt, welche Daten und wie häufig diese gesendet werden dürfen, um das System nicht zu überlasten.“ Die Forschenden beabsichtigen dennoch, bei einem Ladungsverlust innerhalb von 2 min eine Warnmeldung über AIS abzusetzen. „Das ist unser Ziel“, sagt Oberjatzas.
Plötzliche Änderung von Neigung und Ausrichtung der Container erkennen
Wie wichtig die schnelle Warnung ist, verdeutlicht Olaf Habert von Hapag-Lloyd. „Der größte anzunehmende Unfall wäre, wenn ein Frachter im Ärmelkanal Container verliert. Dann müsste die Route rasch gesperrt werden. Damit Großbritannien nicht in kurzer Zeit ohne Sprit dasteht und alle Schiffe um England herumfahren müssen, wären alle an einer raschen Bergung der Fracht interessiert.“ Das bedeutet aber, dass intelligente Container zuverlässig und schnell selbst erkennen müssen, wenn sie über Bord gegangen sind. Solange sie ordnungsgemäß an Deck stehen, sollen sie gerade nicht pausenlos funken und schon gar nicht das marine Navigationssystem AIS überlasten. „Wir müssen zunächst den Aufprall auf Wasser detektieren“, sagt Oberjatzas.
Verschiedene Ideen existieren, wie das gelingen könnte: Ähnlich wie das Gyroskop im Handy die Neigung und Ausrichtung des Smartphones detektiert, könnten identische Sensoren melden, wenn der Container ins Rutschen gerät und auf die Wasseroberfläche prallt. Auch Beschleunigungssensoren, wie in jeder Smartwatch üblich, könnten das erfassen. Eine Möglichkeit wäre auch der Abgleich der Schiffs- und der Containerkoordinaten. Sobald beide voneinander abweichen, treibt der Transportbehälter offenbar allein auf See.
Im Gespräch sind auch Tests, bei denen von einem Schiff oder von einem Kran Gegenstände ins Wasser fallen gelassen werden, um reale Messdaten zu gewinnen. „Wir können aber aus Sicherheitsgründen Container nicht absichtlich von Bord werfen“, sagt Wüstner. „Den Experimenten auf See sind Grenzen gesetzt.“ Socratec hat vor diesem Hintergrund einen kleinen Teil von Containern mit Sensoren und Trackingeinheiten ausgestattet, sodass auch diese wichtige Daten liefern könnten. „Aber bisher ist keiner von Bord gestürzt“, berichtet Wüstner.
Überwachung der Lieferkette auf See steht erst am Anfang
Treiber der Entwicklung von digitalen Containern sind nicht nur die kostspieligen Havarien. Händler und Logistikdienstleister würden gern viel mehr über ihre Fracht wissen als nur die Koordinaten auf den Weltmeeren. Sie interessiert die Temperatur in Kühlcontainern, genauso die Feuchtigkeit. Letztlich geht es ihnen um die Überwachung der Lieferkette. Auch Türöffnungen möchten die Händler gerne erfahren. „Die Rauschgiftkontrolleure in Hamburg und Bremen sind den ganzen Tag damit beschäftigt, sicherzustellen, dass nicht nachträglich Drogen in irgendwelche Container eingeschleust werden“, erzählt Wüstner.
Doch die Fülle der wirtschaftlich interessanten Daten wie auch die schiere Zahl von Millionen gehandelten Containern weltweit lässt erahnen: „Es gibt Unmengen Datenlärm und nur ganz wenig wichtige Informationen darin“, sagt Habert. Im Projekt ConTAD sind deshalb auch Strategien wichtig, um die Menge an Daten zu kondensieren. Da Container, wenn überhaupt, meist stapelweise über Bord fallen, möchten die Entwickler bei einem Unfall automatisch einen Master-Container ermitteln, der dann die Kommunikation zum Satelliten und zum AIS-System übernimmt. Alle übrigen Container würden zu „Untergebenen dieses Master-Containers und nur ihm ihre Daten zusenden“, berichtet Oberjatzas.
Solarmodul am Container liefert Energie fürs Absetzen des Funksignals
Eine weitere Herausforderung ist die Energieversorgung. Ein UKW-Signal abzusetzen, ist vergleichsweise energieintensiv. Das Gerät soll deshalb ein Solarmodul beinhalten und sich selbst aufladen. Hapag-Lloyd hat damit gute Erfahrung gemacht. Die Trackingeinheiten des Unternehmens, die an die klobigen ersten Handys der 1990er-Jahre erinnern, versorgen sich ebenfalls über Solarenergie selbst. Sie sind außen in der Türnische der Container montiert.
Doch noch sind diese Tracker nicht für den Fall gemacht, dass die Transporteinheit verloren geht. „Unsere Geräte sollen beim Sturz ins Wasser wie eine Boje aufschwimmen“, schildert Oberjatzas eine Idee. Nur über eine 20 m lange Leine wären sie mit dem Container verbunden. Das entspricht der sogenannten gefährlichen Tiefe in der Seeschifffahrt. So könnte verhindert werden, dass ein nachfolgendes Schiff direkt auf den Container auffährt. Denn die schwimmende Kommunikationseinheit sendet im Idealfall rasch einen Alarm.
Obwohl das noch Zukunftsmusik ist, lässt es manchen zurückliegenden Unfall in anderem Licht erscheinen. Hätten die verlorenen Container der MSC Zoe sofort einen Alarm ausgelöst, wäre es wahrscheinlich gelungen, viel mehr Fracht aus dem Wattenmeer zu holen, ehe die Gezeiten sie großflächig verteilte. Aktuell sammeln niederländische Umweltorganisationen Geld, um das Gefahrgut doch noch vom Meeresgrund zu holen.
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