Bitkom diskutiert das nichtlineare Fernsehen der Zukunft
Das lineare Fernsehen – live anschauen, was die Sender anbieten – scheint nicht mehr allzu viele Freunde zu haben. Ob über IPTV, Web TV oder Smart TV mit HbbTV – überall heißt es: sehen, was und vor allem wann der Zuschauer will. Dennoch werden unverdrossen lineare Programme gemacht, gesendet und gesehen. Also – was ist dran an der Delinearisierung?
„Das lineare Fernsehen ist nicht tot!“, sagte Christian Illek, Chef von Microsoft Deutschland und bis Mitte August noch Marketing-Chef der Deutschen Telekom, kürzlich bei der Eröffnung des Bitkom New-TV-Summit – „IPTV, Web TV und Smart-TV: Megatrends der Delinearisierung“. Markt und Akzeptanz von „Old and New TV“ standen im Mittelpunkt.
Illek konnte seine Behauptung auch mit AGF/GfK-Zahlen gut untermauern: „Die unterschiedlichen Sehdauern pro Tag sind in den letzten zehn Jahren um 1,5 % gestiegen, und zwar von 190 min im Jahr 2000 auf 225 min in 2011.“ Selbst die twitternde und „youtubende“ Facebook-Generation, also die 15- bis 29-Jährigen, seien noch immer gut 2 h am Tag, nämlich 138 min, mit linearem TV beschäftigt. Längere Sehdauern sind auch durch den soziodemografischen Wandel bestimmt – und nicht unbedingt durch bessere Programme. Illek: „Je älter die Leute, desto länger schauen sie.“
Doch das will nicht viel heißen. Früher hat sich nie jemand aufgeregt, wenn während des Fernsehens gegessen, gelesen oder geliebt wurde. Doch heute sieht man die Ablenkungsgefahr über den Second Screen, das parallel zum TV-Gerät genutzte Smartphone oder Tablet.
Laut einer Bitkom-Studie sagen 77 % aller befragten Internetnutzer, dass sie während einer klassischen TV-Sendung in irgendeiner Weise surfen. 82 % nutzen dabei Internetinhalte, die nichts mit dem TV-Programm zu tun haben. „Die Eyeballs sind abgelenkt – nicht gut für die Programmveranstalter“, so der Microsoft-Boss. „Die Konzentration lässt nach, was lineares TV angeht.“ Dabei tun die Broadcaster selbst genug, damit es so ist, wie es ist, bieten zusätzliche Inhalte im Netz und weisen permanent in ihren Sendungen darauf hin.
„Noch ist der Fernseher das dominante Endgerät“
„Noch ist der Fernseher das dominante Endgerät, wird aber smarter. Und die Kunden wollen Bewegtbild über verschiedene Screens“, so Illek. Liveinhalte gibt es überall, selbst auf Smartphones. Für Video on Demand sieht er „ein relativ starkes Wachstum“ – im letzten Jahr um 55 %, freilich bei einem recht kleinen Markt. „Wenn man die Umsätze von Videoload, Maxdome und den anderen Videoanbietern aufaddiert, liegen die zusammen bei etwa 50 Mio. € in Deutschland.“
Bei Pay TV sieht Illek noch viele Wachstumsmöglichkeiten, auch wenn das starke Angebot und die Qualität des Free TV dem entgegenstehen. Immerhin – Sky hat an der 3-Mio.-Marke angeschlagen. Auch für die HD-Angebote der Privatsender über die Satellitenplattform HD+ zahlen rund 60 % der Nutzer nach dem ersten kostenfreien Jahr. IPTV mit einem jährlichen Wachstum von etwa 400 000 Kunden sowie dem erwarteten Sprung über die 2-Mio.-Kunden-Grenze sowie zusätzlichem Interesse an Pay-Paketen zeugt von einem gewissen medialen Zusatzbedarf.
Konkrete Zahlen zu den Märkten brachte dann Jürgen Boyny, Global Director Consumer Electronics der GfK. Laut statistischem Bundesamt lebten Ende 2011 in Deutschland 81,7 Mio. Einwohner, 2006 waren es noch 82,4 Mio., bis 2025 dürften wir nur noch rund 79 Mio. sein. Umgekehrt die Entwicklung bei den Haushalten. Die nahmen von 2006 mit 38,4 Mio. auf jetzt 39,5 Mio. zu und dürften 2025 bei 40,5 Mio. liegen. Schon jetzt leben rund 40 % der Menschen in Einpersonenhaushalten.
Auch das Nutzungsverhalten hat sich geändert – immer mehr schauen zumindest räumlich für sich allein. Und: „Das Internet ist bei über 75,6 % der Personen über 14 Jahren angekommen, 2001 waren es erst 37 %.“ Hauptsächlich deswegen wurden 2012 auch 6 Mio. Notebooks, 3,3 Mio. Tablets und immerhin noch 1,4 Mio. Desktop-PCs. gekauft. Absoluter Renner sind die Smartphones mit 18,8 Mio. verkauften Geräten.
Fernsehen der Zukunft: Internetnutzung steigt stärker als der TV-Konsum
TV-Geräte mit Internetzugang wurden und werden in diesem Jahr ebenfalls gut gekauft. So dürften von den erwarteten 10,4 Mio. abgesetzten Fernsehern 5,7 Mio., also über 50 %, Smart TVs mit Internetanschluss sein. Doch sogar bei diesen Smart TVs überwiegt die lineare Nutzung, der Sprung auf und in die Apps ist selbst bei denen, die könnten, längst noch nicht die Regel.
Den wachsenden Absatzzahlen von TV-Geräten steht die sinkende Gebrauchszeit gegenüber: Sie ging von rund zehn Jahren auf derzeit sechs bis sieben Jahre zurück. Weitere stabile Trends: Mehr Fernsehgeräte im Haus und vor allem größere: „Nahezu die Hälfte des Marktes wird jetzt durch Geräte bestimmt, die 37 Zoll und größer sind, und selbst die 46-Zoll-und-mehr-Geräte haben mit 15 % schon einen recht hohen Anteil“, lautet Boynys Analyse. Trotzdem geht es einigen Herstellern derzeit nicht besonders gut und das hat seine Gründe in der Preisentwicklung.
War der Konsument anfangs noch bereit, für die Innovation Flachbild zu bezahlen, so ist flach alleine keine Innovation mehr und wird nicht honoriert. „Bis 2004 lag der Durchschnittspreis bei rund 500 €, stieg bis 2006/07 auf 789 €. Trotz größerer Diagonalen, besserer Ausstattung und Qualität sowie aufwendigerem Design ist der Durchschnittspreis inzwischen auf 607 € gesunken“, so der Marktbeobachter. „Etwa 25 % der verkauften Fernseher sind 3-D-Geräte, auch wenn der Content hinterher hinkt und 65 % der Bevölkerung mit 3-D nichts am Hut hat“, so Boyny.
Fernseh-Hersteller hoffen auf Smart-TV und Internet Access
Da bleibt für die Hersteller die Hoffnung auf Smart TV und den Internet Access für mehr Inhalte und zusätzliche Nutzungsmöglichkeiten à la Youtube & Co. Ob nun auf dem First Screen oder dem Second Screen – eine Einordnung aus Vermarktungsperspektive versuchte Robert Günther von Smartclip. „Der TV-Konsum nimmt zu, dramatischer jedoch die Internetnutzung“, so Günther.
Rund ein Drittel der Nutzung erfolge derzeit über die mobilen Geräte, vor allem über Smartphones. Darauf mache der Videokonsum immerhin 44 % aus. Eine Differenzierung nach First, Second oder Multi Screen müsse nach der jeweiligen Nutzungssituation und Aufmerksamkeit erfolgen. So sei aus Vermarktersicht entscheidend, wo der Benutzer gerade hinguckt. Daher hat sich Smartclip vorgenommen, der Werbewirtschaft Nutzerzahlen für Social TV zur Verfügung zu stellen. Vielleicht wird der Markt dadurch ja stimuliert.
Florian Kerkau, Geschäftsführer bei Goldmedia Custom Research, rückte da einiges ins rechte Licht. Zwar gäbe es immerhin 24,3 Mio. Facebook-Nutzer in Dutschland, doch könne Facebook nicht als Social-TV-Plattform gelten. Bei Twitter seien gerade mal 4,1 Mio. Nutzer registriert, und noch weniger Akzeptanz zeigten die Websites der Sender und Blogs. „Dahinter kommen dann noch die Apps von RTL inside oder Connect von ProSieben“, stellt Kerkau klar.
Ein Beitrag von: