Jung und nackt im Internet
Jugendliche geben im Internet oft beinahe alles preis, von der Adresse über Fotos bis hin zu Terminen und persönlichen Vorlieben. „Total cool“ sei das, sagen sie. Doch die sorglos verbreiteten Daten laden zum Missbrauch ein und bleiben für immer im Netz. VDI nachrichten, Mainz, 6. 2. 09, rb
„Man muss online sein, um in zu sein“, sagt Petra Kain, Jugendkoordinatorin beim Polizeipräsidium Wiesbaden. Freiwillig stellten die Kids Dinge ins Web 2.0 ein, auf die nicht einmal die Polizei käme. Bereits 12-Jährige plaudern hier völlig offen – in dem Irrglauben, dass Erwachsene keinen Zutritt in ihre Internetwelt haben. Der hemmungslose Umgang mit Daten sei für Pädokriminelle geradezu eine Einladung, warnt Kain.
Doch die Communitys sind zu einer Jugendkultur geworden, der sich kaum jemand entziehen kann. Millionen Kinder und Jugendliche tummeln sich täglich im Schüler VZ. Täglich stellen sie 600 000 neue Bilder ein, entstehen nach Kains Angaben 2300 neue Internetgruppen.
Hier werden Freundschaften geschlossen und gepflegt, hier werden andere unter Druck gesetzt. Polizeiexpertin Kain: „Das Mobbing vom Schulhof setzt sich im Internet fort.“ 5000 Beschwerdemeldungen am Tag beziffern die Schattenseiten der munteren Onlinetreffen. Chantal Grede gehört zu den „Datenopfern“. Vor zwei Jahren ist die 17-Jährige ins Schüler VZ eingetreten, „weil eben alle drin waren“. Alles lief für die Oberstufenschülerin normal, bis ihr persönliches Profil zum ersten Mal manipuliert und ein Hitler-Bild unter ihrem Namen eingestellt wurde. Der Betreiber der Plattform löschte das Fake erst nach zwei Tagen.
„Über jede Schmerzgrenze hinweg“ ging der zweite Missbrauch von Chantals Profil. Unbekannte stellten ein Foto ein, gekoppelt mit diffamierenden Äußerungen. Ganze Community-Gruppen zogen über die Schülerin her, bis – nach vier Tagen – das falsche Profil endlich aus dem Verkehr gezogen wurde.
Eine Anzeige „gegen unbekannt“ beim Kölner Polizeipräsidium wurde nach zwei Monaten wegen mangelnder Beweise eingestellt. Bei der Hot- line des Betreibers beschied man der Mutter sinngemäß: „Wenn Sie Ihr Kind ins Internet lassen, müssen Sie damit rechnen.“
Das Mobbing vom Schulhof setzt sich im Internet fort
Ein soziales Netzwerk sei auf die Preisgabe personenbezogener Daten angelegt, erklärt Thorsten Feldmann, Rechtsanwalt der Schüler-Plattform „spickmich“. Feldmann beruft sich auf die im Datenschutzrecht verankerte „informierte Einwilligung“. Soziale Kontrolle finde bei spickmich durchaus statt. Der Klassenverband bilde schließlich das „reale Substrat der virtuellen 2.0 Community“.
Für Michael Stumpf, Leiter der ZDF Kinder-Plattform tivi.de ist dies zu wenig. Bei tivi.de müssen die Eltern per Fax schriftlich einwilligen, bevor ihre Sprösslinge im Netz mitmachen dürfen. Die strikte Kontrolle wirkt sich prompt auf die Nutzerzahlen aus: Nur 23 000 Kids sind bei tivi.de aktiv. Gerade aber der offene Dialog in den Familien über das, was im Internet passiert, bietet nach Stumpfs Überzeugung sinnvollen Schutz. Nur 30 % bis 40 % der Eltern jedoch, schätzt Polizistin Kain, wissen überhaupt, was ihre Kinder im Netz machen. Dass sich die Jugendlichen oft schon im strafrechtlich relevanten Bereich bewegen, wenn sie Bilder ohne Genehmigung hochladen oder Menschen beleidigen und verleumden, sei den meisten nicht bewusst.
Medienkompetenz auf Seiten der Nutzer ist nach Überzeugung der Experten der eine Hebel, eine „Platt- formarchitektur, die die Privatsphäre schützt“, der andere. Sieben Plattformen, u. a. myspace, facebook und Studi VZ, haben Andreas Poller und sein Team vom Fraunhofer-Institut SIT in Darmstadt 2008 untersucht.
Die Nutzer würden schlecht geführt, Daten, z. B. Kontaktlisten, seien nicht zu verbergen, Verbindungspfade nachvollziehbar und Altersfilter „trivial zu überlisten“, zählt Poller die Mängel auf. Oftmals würden Daten nach Beendigung der Mitgliedschaft nicht vollständig gelöscht.
Die Spuren bleiben ein Leben lang. 34 % der Personalchefs greifen nach ZDF-Angaben schon heute bei Einstellungsentscheidungen auf Daten zurück, „die das Netz nicht vergisst“. Gefragt sind Eltern, Pädagogen und Plattformbesitzer.
Verbote und Verteufelungen helfen nicht weiter. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, betont Petra Kain. Sie setzt auf klare Regeln: keine Nachnamen, E-Mail-Adressen, Passwörter, Handynummern und Altersangaben ins Netz, empfiehlt sie. Von Verboten hält auch Chantal Grede nichts. Für sich persönlich hat sie die Reißleine gezogen und das Schüler VZ verlassen. Eine Lösung, weiß die 17-Jährige aber auch, ist dies nicht. J. WITTE
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