Was passiert mit Tweets rechter Politiker? Studie zu Twitter endet abrupt
Eine internationale Forschergruppe untersuchte, ob Twitter im Zeitraum zwischen 2021 und 2023 Tweets rechter Politiker bevorzugt behandelte. Dafür analysierte sie 8.600 Politiker-Konten in zwölf Ländern. Im Juni 2023 sperrte Elon Musk plötzlich den kostenlosen Datenzugang für die Wissenschaft. Entsprechend abrupt endete dann auch die Studie.
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Forschende untersuchten Tausende Twitter-Konten von Politikerinnen und Politikern des rechten Spektrums. Das Ergebnis zeigt: Es findet keine Bevorzugung statt.
Foto: panthermedia.net / mitay20
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität des Saarlandes haben sich in einer umfangreichen Studie mit der Frage beschäftigt, ob die Social-Media-Plattform Twitter im Zeitraum von 2021 bis 2023 Tweets von Politikern aus dem rechten Spektrum bevorzugt behandelt hat. Das Forscherteam um den Humboldt-Professor für Künstliche Intelligenz, Ingmar Weber, analysierte dazu die Twitter-Konten von rund 8.600 Politikerinnen und Politikern in zwölf Ländern mit besonders hoher Nutzeraktivität. Dazu zählten Argentinien, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Indien, Japan, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Spanien, das Vereinigte Königreich und die USA.
Nur weg von Musk und X – doch wohin soll ich wechseln?
Die Forschenden teilten die Politikerinnen und Politiker in jedem Land in zwei Gruppen ein, je nachdem ob sie eher dem linken oder rechten politischen Lager zugeordnet werden konnten. „Wir haben uns der Einfachheit halber für diese binäre Unterscheidung entschieden, denn die Verwendung von ‘links’ und ‘rechts’ zur Bezeichnung bestimmter politischer Positionen ist weitgehend universell. Um die Politiker und Parteien passend zuzuordnen, haben wir verschiedene Quellen wie Expertenbefragungen und Parteiprogramme herangezogen“, erklärt Rosa M. Navarrete, Politikwissenschaftlerin und Teil des Forschungsteams. Doch die vielversprechende Studie endete abrupt, als Twitter-Besitzer Elon Musk im Juni 2023 den bisher kostenfreien Datenzugang für die Forschung sperrte. Trotz des vorzeitigen Endes der Untersuchung konnte die Doktorandin Brahmani Nutakki vom Institut für Societal Computing der Universität des Saarlandes bis dahin wertvolle Erkenntnisse aus den gesammelten Daten gewinnen.
Umgang mit rechten Tweets: Plattform-Änderungen erschweren Analyse
Bei der Auswertung von mehreren tausend Tweets pro Politiker zeigte sich in allen untersuchten Ländern kein signifikanter Unterschied zwischen der Verbreitung von Tweets linker oder rechter Politiker. Allerdings stellten die Forschenden nach der Twitter-Übernahme durch Elon Musk im Herbst 2022 einige Veränderungen fest: Die Anzahl der Likes und der Likes pro Retweet stieg an, während die Zahl der Retweets selbst deutlich zurückging. Dies führen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darauf zurück, dass eine breitere Streuung politischer Botschaften eher zu mehr Likes aber zu weniger Retweets führt.
Die dynamischen Veränderungen, die Twitter zwischen November 2022 und Juni 2023 durchlief, stellten die Forschenden bei der Analyse vor große Herausforderungen. So wurde beispielsweise „Twitter Blue“ zwischenzeitlich in ein günstiges Abo verwandelt, für das man lediglich eine Telefonnummer angeben musste. Zuvor waren dafür ein gewisser Bekanntheitsgrad und eine hohe Nutzeraktivität erforderlich gewesen. Auch die Regeln gegen Hassverhalten, die Angriffe auf Einzelpersonen unterbinden sollten, wurden nach Musks Übernahme zeitweise entfernt. „Änderungen bei den Funktionen wirkten sich auch darauf aus, dass dann andere Personen die Plattform nutzten. So war es schwierig, die von uns beobachteten Veränderungen mit einer einzelnen Maßnahme zu erklären“, erklärt Brahmani Nutakki. Die Studie gibt somit Einblicke, wie sich Twitters Umgang mit rechten Tweets über die Zeit veränderte. Alle Fragen lassen sich aber nicht eindeutig beantworten.
Besserer Zugang notwendig, um Tweets zu untersuchen
Ungeachtet der Einschränkungen handelt es sich laut Professor Ingmar Weber um die erste Studie, die Trends beim politischen Engagement auf Twitter nach den jüngsten Änderungen der Plattform länderübergreifend und im Zeitverlauf untersucht hat. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass seitdem politische Inhalte ein breiteres Publikum erreicht haben. In dem Zeitraum bis Juni 2023 fanden wir jedoch keine Anhaltspunkte für einen signifikanten Unterschied in den Engagement-Mustern zwischen dem linken und rechten politischen Spektrum“, so Weber. Er bezieht sich auch auf einen Bericht der „Washington Post“, wonach die aktivsten republikanischen Twitter-Nutzer mehr posten, mehr Reichweite erzielen und mehr Follower gewinnen als die aktivsten Demokraten. Hinweise auf eine Zensur durch die Plattform konnten die Forschenden nicht finden. Andere Beobachter warnten, dass Twitter unter Musk zu einem problematischen Umfeld werde.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen sich besorgt über die Veränderungen in sozialen Netzwerken wie Twitter (heute X), die potenziell Demokratien in vielen Ländern gefährden könnten. Um diese Entwicklungen weiterhin untersuchen zu können, sei jedoch ein besserer Datenzugang für die Forschung unerlässlich. „Wir fordern daher, dass Rechtsvorschriften wie Artikel 40 des Gesetzes über digitale Dienste (Digital Services Act) umgesetzt werden, damit die Forschung wieder einen besseren Zugang zu den Daten der sozialen Netzwerke erhält. Es kann nicht sein, dass dieser wertvolle Datenpool entweder unbezahlbar ist oder so selektiv geöffnet wird, dass sich keine seriösen Erhebungen daraus ableiten lassen“, gibt Professor Weber zu bedenken.
Universität des Saarlandes will interdisziplinäre Forschung vorantreiben
Die veröffentlichte Studie entstand am Interdisciplinary Institute for Societal Computing (I2SC) der Universität des Saarlandes. Dieses Institut, geleitet von Humboldt-Professor Ingmar Weber und Professorin für Politikwissenschaft Daniela Braun, will die interdisziplinäre Forschung an der Schnittstelle von Sozial-, Geistes- und Computerwissenschaften vorantreiben. Zwei Schwerpunkte stehen dabei im Fokus: Einerseits die Nutzung computerbasierter Methoden, um gesellschaftliche Phänomene wie Twitters Umgang mit rechten Tweets zu erforschen („Computing der Gesellschaft“). Andererseits die Entwicklung von technischen Ansätzen, die auf Basis solcher Erkenntnisse das Zusammenleben in einer digitalisierten Welt verbessern sollen („Computing für die Gesellschaft“). Die nun vorgestellte Twitter-Studie zeigt exemplarisch, welche Bedeutung diese Forschung für die Zukunft der Demokratie im digitalen Zeitalter hat.
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