Wenn der Handy-Bildschirm die Seele einsaugt
Der französische Fotograf Antoine Geiger hat eine dramatische Fotoserie geschaffen, in der die Gesichter meist junger Smartphone- und Tablet-Nutzer förmlich in die Bildschirme hineingesaugt werden. Ist das medienkritische Kunst oder plumpe Effekthascherei?
Die Fotoserie „Sur-Fake“ des französischen Fotografen Antoine Geiger ist zurzeit überall im Netz zu finden. Seine Methode ist rasch erzählt. Geiger fotografiert Menschen an öffentlichen Orten, die in ihre Smartphones oder Tablets vertieft sind. Auf unbenannten Pariser Straßen, auf einer Ruhebank im Louvre, vor der Mona Lisa oder mit Selfie-Stick auf dem Fahrrad. Dann folgt die Bearbeitung mit Photoshop, indem Geiger die individuellen Gesichter auflöst und mit dem Bildschirm in direkter Linie verbindet.
Die Menschen verschmelzen mit ihren Bildschirmen
Aus Personen sind amorphe Massen mit leichtem Gruseleffekt geworden, die außer ihrer virtuellen Realität, in der sie ganz und gar aufgegangen sind, nichts mehr um sich herum wahrnehmen. Das Projekt sei spontan entstanden, erzählt der 20-jährige Geiger, der in Paris Architektur studiert, dem Magazin The Creators Project.
Er habe sich in überfüllten U-Bahnen oder im Museum bisweilen allein gefühlt. „Ich konnte richtig sehen, wie die Gesichter der Menschen mit den Bildschirmen verschmolzen sind, als ob ihre Identität verloren gegangen ist in einem nicht-existenten technologischen Raum.“ Solche Situationen, in denen die Vereinzelung des modernen Menschen nur allzu offenkundig wird, kennt wohl jeder. Der Hype um die Nachrichten, ob wir sie lesen oder selbst versenden, ist mittlerweile für Viele ein ernsthafter Zeit- und Energiefresser geworden.
Nach einer Studie der Universität Bonn nach Auswertung des Verhalten von 60.000 Handynutzern nehmen wir alle 18 min ein Smartphone in die Hand und unterbrechen damit unsere Arbeit oder private Tätigkeit. 53-mal nutzen wir im Schnitt täglich das Handy.
Auch Max Cavallari hat den Zombie-Effekt entdeckt
Aber wird deshalb jeder, der auf sein Smartphone starrt, zum Zombie? Natürlich will Geiger provozieren und Reaktionen auslösen. Und dabei hat er viele im Fokus: Mal ist das vielgeschmähte Selfie im Blickpunkt, mal der Herr im feinen Anzug, dann die Jugendlichen, die sich zusätzlich mit Kopfhörern der Gegenwart völlig entzogen haben.
Antoine Geiger ist nicht der Einzige, der den Zombie-Effekt entdeckt hat. Auch der italienische Fotograf Max Cavallari ist auf dieselbe Idee gekommen. In seinen schwarz-weißen Fotos mit dem Titel „Loneliness“, aufgenommen in U-Bahnen und Wartehallen, verwendet er denselben Effekt wie Geiger und wirkt damit genauso eingleisig.
Alternativ zu dieser Effekthascherei sei denjenigen, die sich eine komplexere Behandlung des Themas wünschen, eine Ausstellung in Düsseldorf empfohlen. Sie heißt „Ego Update. Die Zukunft der digitalen Identität“ und läuft noch bis zum 17. Januar 2016 im NRW-Forum. In dieser Gruppenausstellung geht es vorwiegend um das Selfie und wie sich unsere Vorstellung vom Menschsein unter dem Einfluss digitaler Medien verändert. Übrigens ist Düsseldorf, das will das Time Magazin herausgefunden haben, die deutsche Selfie-Hauptstadt.
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