Finanzierung bei AMD Therapy 15.06.2012, 11:55 Uhr

Altersbedingte Makuladegeneration: Patienten-Fonds finanziert Forschung

AMD Therapy aus Reutlingen will bis zum Jahresende 20 000 Genossenschaftsanteile à 3000 € verkaufen. Zielgruppe sind an Altersbedingter Makuladegeneration (AMD) Erkrankte und deren Angehörige. Mit den 60 Mio. € des geschlossenen Fonds wollen die Initiatoren die Entwicklung von Wirkstoffen gegen die bisher nicht behandelbare trockene AMD forcieren. Ob am Ende ein Medikament oder der Totalverlust der Einlagen herauskommt, ist offen.

Das zentrale Blickfeld verschwimmt, wird schleichend zum blinden Fleck – ehe das Augenlicht erlischt. Allein in Deutschland leiden 2 Mio. Menschen an Altersbedingter Makuladegeneration (AMD). Gegen die trockene Form der Erkrankung, bei der Einlagerungen die Versorgung der Sinneszellen in der Netzhaut kappen, gibt es keine wirksame Therapie. Patienten bleiben mit Tipps wie „Rauchen einstellen, Sport treiben und viel Obst essen“ allein.

Das will die Firma AMD Therapy aus Reutlingen ändern. Die eingetragene Genossenschaft plant, bis zum Jahresende 60 Mio. € einzuwerben und diese binnen zehn Jahren in ausgewählte Wirkstoff-Entwicklungsprojekte gegen trockene AMD zu investieren. Dafür wollen die Initiatoren 20 000 Genossenschaftsanteile à 3000 € ausgeben. Zielgruppe sind Betroffene und Angehörige. Würde die Crowd-Funding-Initiative nur 1 % der hierzulande Erkrankten überzeugen, wären die 60 Mio. € im Topf.

Genossenschafts-Fonds setzt auf erfolgreiche Wirkstoff-Entwicklung bei AMD

Als Rendite winkt zahlenden Genossen zweierlei: die Chance auf Erhalt des eigenen Augenlichts – oder zumindest der Sehkraft künftiger Leidensgenossen. Und Verkaufserlöse, sofern der Plan der Reutlinger tatsächlich aufgeht: Die Genossenschaft soll mit ihrer Beteiligung junge F&E-Projekte durch die risikobehaftete Phase zwischen Forschungslabor und Phase II der klinischen Erprobung geleiten. Dort wären sie für Investoren aus der Pharmabranche interessant, die das Risiko unreifer Frühphasen-Projekte scheuen. Etwaige Verkaufserlöse sollen dann unter den Genossen aufgeteilt werden.

„Wenn das klappt, sind sehr interessante Renditen möglich“, erklärt Vorstand Wolfgang Klein. Doch er macht auch keinen Hehl daraus, dass anstelle gesundheitlicher und finanzieller Rendite Totalverluste eintreten können. Denn gerade in der Frühphase ist die Wirkstoffentwicklung riskant: Von 5000 getesteten Substanzen schafft es laut Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) ein knappes Dutzend in die präklinische Phase mit Tierversuchen, von denen im Schnitt vier bis in Phase II der klinischen Erprobung vorstoßen und nur eines letztlich die Zulassung bekommt. Im Schnitt dauert das 13 Jahre und es fallen 800 Mio. € Kosten an.

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AMD Therapy möchte das hohe Ausfallrisiko durch Fokussierung auf eine Krankheit und Substanzen an der Schwelle zur Präklinik minimieren. Zudem steht ein Beirat aus renommierten AMD-Forschern sowie Experten aus der Pharmaindustrie bereit, der die Erfolgsaussichten potenzieller Beteiligungen prüft und bewertet, ehe Investitionsentscheidungen fallen. Noch allerdings ist laut Klein kein Projekt in der engeren Auswahl. AMD Therapy sei ein „blind pool“ und damit ein im VC-Sektor gängiges Konstrukt. Kein VC-Fonds lege im Voraus fest, in welche Unternehmen und Projekte er investiere.

AMD Therapy baut auf bestehende Ansätze bei altersbedingter Makuladegeneration

Allerdings benennt AMD Therapy vielversprechende Forschungsprojekte – darunter ein Projekt aus Tübingen. Dort hatte eine Gruppe um Ulrich Schraermeyer Ende letzten Jahrzehnts in Tierversuchen zufällig Stoffwechselprozesse erkannt, bei denen die kritischen Ablagerungen in der Netzhaut abgebaut werden. Schraermeyer gründete 2010 ein Start-up, um auf Basis dieser Erkenntnisse ein Medikament gegen trockene AMD zu entwickeln. Damals gab er in Interviews an, VC-Investoren zu suchen. Doch angesichts ausgetrockneter Risikokapitalkanäle für Biotech- und Pharmaprojekte blieb die Suche erfolglos. Zusammen mit Klein entwickelte er dann die Cowdfunding-Idee. Pikant: Schraermeyer sitzt nun im wissenschaftlichen Beirat – wird also über die Verteilung des Geldes mitbestimmen.

Darauf angesprochen reagiert Klein gelassen: „Wir sind bemüht, solche Interessenkonflikte offen zu benennen und dafür in unseren Investmentrichtlinien klare Regelungen zu finden“. Er hält es für einen Vorteil, Schraermeyer als international renommierten AMD-Experten an Bord zu haben. Die wissenschaftliche Community sei hier sehr klein und Überscheidungen von daher kaum ganz auszuschließen.

Damit Patienten die stockende Wirkstoffentwicklung als zahlende Genossen forcieren können, hat Finanzexperte Klein zusammen mit Andreas Mayr die Therapy Invest Group gegründet. Die AMD Therapy eG nennen sie ihre erste „Betroffenenorganisation“, wobei die Initiatoren nicht an AMD leiden, sondern Betroffenen einen professionellen Rahmen bieten wollen. Teils hatten Medien ihre Genossenschaft als Selbsthilfegruppe dargestellt, in der eine Gruppe von Betroffenen ihr Schicksal in die eigene Hand nimmt.

Doch derart „genossenschaftlich“ sind nur die Kosten und Risiken verteilt. Das Fonds-Management handelt laut Klein keineswegs altruistisch. Es will Gewinne erzielen – die ggf. natürlich auch den Genossen zugute kämen. Um den Fonds zu managen, haben die beiden Initiatoren neben der Genossenschaft drei Firmen für Marketing, Administration und Portfolio Management gegründet und den als eG & Co. KG organisierten geschlossenen Fonds aufgelegt.

Für dieses aufwendige Firmenkonstrukt werden Genossen kräftig zur Kasse gebeten: Über die 10-jährige Laufzeit fließen 23,69 % der 60 Mio. € als Nebenkosten ab – 1,42 Mio. € jährlich. Es bleiben also kaum 46 Mio. € für Beteiligungen an Projekten übrig. Obendrein beansprucht das Management im Falle erfolgreicher Veräußerung der Beteiligungen 10 % der Gewinne als Incentives – ebenso wie 10 % der Gewinne, die potenzielle Beteiligungen erwirtschaften. Klein nennt diese Kosten „im Marktvergleich mehr als fair“. Ein Private-Equity-Funds erfordere intensive Betreuung und die Kosten würden auch dann anfallen, wenn das Geld nicht eingespielt wird.

Angebot von AMD Therapy ist keine genossenschaftliche Selbsthilfegruppe

Angesichts der Zahlen wird klar, dass das Bild der genossenschaftlichen Selbsthilfegruppe falsch ist. Zwar wirbt die Genossenschaft damit, dass Patienten und ihre Angehörigen nun „etwas Sinnvolles gegen trockene AMD tun können“. Doch dabei sollten diese trotz der vermeintlichen Hilfe unbedingt die drohenden Verluste und Nebenkosten im Blick behalten. Nehmen 20 000 Genossen diese in Kauf, besteht die Chance, die schleichende Erblindung aufzuhalten. Daran haben die Genossen dann einen Anteil, der sich womöglich sogar noch besser anfühlt, als der dann fällige finanzielle Gewinn.  

Ein Beitrag von:

  • Peter Trechow

    Peter Trechow ist Journalist für Umwelt- und Technikthemen. Er schreibt für überregionale Medien unter anderem über neue Entwicklungen in Forschung und Lehre und Unternehmen in der Technikbranche.

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