Baby-Glück aus der Petrischale
VDI nachrichten, Düsseldorf, 28. 3. 08, sta – Jede siebte Partnerschaft in Deutschland ist von ungewollter Kinderlosigkeit betroffen. Bei ihnen ist trotz regelmäßigen Geschlechtsverkehrs über zwei Jahre hinweg keine Schwangerschaft eingetreten. Helfen kann dann nur noch eine künstliche Befruchtung. Ein Paar schildert die dabei gemachten Erfahrungen – bis zu den ersten Ultraschallaufnahmen eines pochenden Herzchens.
Anna und Henning wünschen sich sehnlichst ein Kind. Sie wissen genau, was dafür zu tun ist. Also tun sie „es“, regelmäßig – schon seit zwei Jahren. Zunächst mit Spaß, zuletzt vor allem mit Kalkül. Monatlich versucht die 37-Jährige, ihre fruchtbaren Tage abzupassen. Helfen sollten dabei Thermometer und Ovulationstests aus der Apotheke. Sobald der Eisprung sich ankündigt, muss ihr 41-jähriger Ehemann ran. Doch eine Schwangerschaft blieb bisher aus.
Die biologischen Uhr tickt. Von Monat zu Monat wird sie lauter. Anfang 2007 entschließen sich die beiden Rheinländer deshalb dazu, medizinischen Rat einzuholen. Ihr Weg führt sie zum Kinderwunschzentrum am Universitätsklinikum Düsseldorf, kurz „UniKid“. Nach einem ersten Informationsabend steht für das Paar fest: Hier lassen wir uns behandeln. Der Startschuss fiel Ende Januar 2007.
Der Initiator der Einrichtung, Dr. Jan-Steffen Krüssel, heißt das Paar in den auffallend modern gestalteten Räumen willkommen – und kommt gleich zur Sache. „Da die Ursachen der Unfruchtbarkeit im Allgemeinen je zur Hälfte beim Mann und der Frau liegen, beginnen wir mit einer umfassenden Diagnostik.“ Anna bekommt einen Termin, um ihren Hormonstatus überprüfen zu lassen. Außerdem werden bei ihr Gebärmutter und Eileiter auf Unregelmäßigkeiten hin untersucht. Henning muss in die Andrologie und im Abstand von sechs Wochen zwei Spermaproben abgeben.
Kurze Zeit später ist „Urteilsverkündung“. Demnach ist bei Anna alles in Ordnung. Anders bei Henning. Krüssel: „Das Ejakulatvolumen ist mit 4 ml ausreichend. Auch die Zahl der Spermien liegt mit 40 Mio. im Durchschnitt. Leider aber bewegen sich nur 5 % der Samenfäden schnell nach vorne. Außerdem ist ein Großteil nicht normal geformt.“ Beispielsweise sei der Kopf nicht oval sondern rund. Diese Spermien hätten kaum eine Chance, die Hüllschicht der Eizelle eigenständig zu durchbrechen. „Insgesamt ist eine Befruchtung auf normalem Wege sehr unwahrscheinlich“, stellt der Mediziner ernüchternd fest.
Henning ist geschockt. „Ist der Traum vom eigenen Kind damit geplatzt?“ Krüssel beruhigt: „Theoretisch gibt es eine Vielzahl von Behandlungsmöglichkeiten. Am einfachsten wäre ein Zyklusmonitoring.“ Anhand der Ergebnisse könne der optimalen Zeitpunkt für Geschlechtsverkehr ermittelt werden. „Eine zweite Möglichkeit besteht in der Insemination.“ Dabei werde der Samen mit Hilfe eines Katheters direkt in die Nähe der Eizelle transportiert. „Leider aber scheiden diese beiden Methoden bei Ihnen wegen der Spermiogramm-Ergebnisse aus. Deshalb schlage ich Ihnen eine intracytoplasmatische Spermiuminjektion, kurz ICSI, vor.“
Anhand von Schaubildern erklärt der Arzt, was auf das Paar zukommt. Dabei geht es nicht allein um medizinische Details. Auch die finanziellen Konsequenzen werden thematisiert. Krüssel: „Seit dem 1.1. 2004 sind die Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen deutlich reduziert worden. Früher wurden vier Versuche komplett übernommen. Aktuell bekommen Ehepaare nur noch die Kosten für drei Behandlungszyklen erstattet – und das nur zur Hälfte.“ Weitere Versuche müssten komplett aus eigenen Tasche bezahlt werden. Pro Zyklus würden insgesamt rund 3000 € für Medikation und Behandlung fällig werden. Trotz dieses hohen Kapitaleinsatzes sei ein Erfolg nicht garantiert. „Bei vier Versuchen beträgt die kumulative Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft knapp 75 %“, so Krüssel.
Anna und Henning überlegen nur kurz. Für ihren Kinderwunsch wollen sie auf Urlaube verzichten, die Familie anpumpen und ggf. sogar einen Kredit aufnehmen. Also stellt Krüssel die Rezepte aus.
Erstes Ziel der Behandlung ist es, mehrere Eizellen zu gewinnen, die sich später außerhalb des Körpers befruchten lassen. Dazu muss sich Anna zwei Wochen lang täglich eine Spritze setzen. Die darin enthaltenen Hormone regen das Follikelwachstum an. Im Idealfall wird die Dosis so gewählt, dass rund ein Dutzend Eibläschen entstehen. „Viel mehr sollten es nicht werden“, so Krüssel. „Jedes einzelne hat immerhin einen Durchmesser von 2 cm. Durch diese Masse werden die Eierstöcke etwa so groß wie Pampelmusen.“ Im Inneren jedes Follikels befindet sich je eine winzige Eizelle. Sie ist mit dem bloßen Auge kaum sichtbar.
Anfangs hatte Anna Angst vor den Injektionen. Am Ende war es Routine. „Ich fühlte mich zeitweise wie ein Junkie“, scherzt die Patientin, „zumal ich vor den Spritzen auch schon Erfahrungen als Snieferin gemacht habe.“ Krüssel erklärt: „Vor der Stimulation des Follikelwachstums müssen wir den Östrogenspiegel der Frau mit Hilfe eines Nasensprays runterregeln. Damit verhindern wir, dass es zu einer Ovulation kommt, noch bevor alle Eizellen reif sind.“
Annas Eierstöcke werden während der gesamten Prozedur regelmäßig via Ultraschall untersucht. Am Ende hat sie insgesamt zehn Follikel „ausgebrütet“. Als diese reif sind, setzt sich die Patientin eine weitere Spritze, um den Eisprung auszulösen. 36 bis 38 Stunden danach folgt der zweite Schritt der Behandlung: die Punktion. Krüssel: „Dabei werden die Eierstöcke von der Scheide aus unter Ultraschallsicht angestochen. Anschließend wird die Follikelflüssigkeit mit den Eizellen abgesaugt.“
Am Morgen vor dieser Operation ist Anna einigermaßen entspannt. Sie vertraut auf den Anästhesisten – und dessen Opiat. Henning ist deutlich nervöser. Er muss in den „Spermagewinnungsraum“. Wenn er den dort bereitgestellten Becher nicht zumindest etwas füllen kann, dann wäre Annas teure Behandlung umsonst gewesen. Doch es klappt. Er benötigt nicht einmal die für den Notfall bereitgestellte mediale Unterstützung. Nach nur zehn Minuten hat er seinen bescheidenen Beitrag zum Projekt Kinderwunsch geleistet.
Bei Anna dauert der Eingriff 20 Minuten. Doch es vergeht eine weitere Stunde, bis sie wieder auf den eigenen Beinen steht. Langsamen Schrittes verlässt sie an der Seite ihres Mannes das UniKid.
Im Labor geht die Arbeit nun erst los. Laborleiter Dr. Jens Hirchenhain gibt die abgesaugte Follikelflüssigkeit in Petrischalen, um die gewonnenen Eizellen finden zu können. Er entdeckt acht reife Exemplare. Der 42-Jährige saugt sie mit einer Pipette auf und überführt sie in ein Medium. Nach einer kurzen Ruhepause im Brutschrank werden sie dann in einzelnen Tröpfchen auf einer neuen Petrischale drapiert.
Parallel dazu wird die Spermaprobe von Henning aufbereitet. Einige der schönsten „Sprinter“ werden mit einer viskosen Zuckerlösung ausgebremst, in einem Tropfen gesammelt und ebenfalls in der Petrischale abgelegt.
Nun beginnt die eigentliche ICSI. Hirchenhain bringt mit einem Joystick den Tropfen mit den Samenzellen in den Arbeitsbereich seines hochpräzisen Mikroskops, des sogenannten Mikromanipulators. Nun dreht er an verschiedenen Rädern, um eine nur 0,006 mm dicke Nadel in Position zu bringen. Sie zieht eine einzelne Samenzelle ein – mit dem Schwanz zuerst. Auf einem Monitor lässt sich alles genau verfolgen. Ohne diese technische Unterstützung ist keinerlei Bewegung erkennbar.
Ist die winzige Nadel „geladen“, wird sie zum ersten Tropfen mit einer Eizelle gelenkt. Diese wird mit einer 0,06 mm dicken Nadel fixiert – ein kaum messbarer Unterdruck hält sie fest. Vorsichtig sticht Hirchenhain nun durch die Hüllschicht der Eizelle und injiziert die Samenzelle per Knopfdruck. Sind alle Eizellen entsprechend behandelt, werden sie in ein neues Kulturmedium übertragen und im Brutschrank gelagert.
Nach 16 Stunden ist sichtbar, ob die Befruchtung erfolgreich war. Dann sind in der Mitte der Eizelle zwei Vorkerne sichtbar. Einer enthält den mütterlichen, der andere den väterlichen Chromosomensatz. Nach einer Weile verschmelzen sie. Die erste Zellteilung tritt nach etwa zwölf Stunden ein. Dann spricht der Mediziner von einem Embryo. Von nun an gilt das Embryonenschutzgesetz.
Noch vor der Zellteilung muss entschieden werden, wie viele Eizellen in die Gebärmutter von Anna zurückgegeben werden. Mehr als drei sind nicht erlaubt. Hintergrund ist die Gefahr von lebensbedrohenden Mehrlingsschwangerschaften. Anna und Henning wollen den Rechtsrahmen voll ausschöpfen. Krüssel ist einverstanden. Wegen Annas relativ hohen Alters ist die Wahrscheinlichkeit nur sehr gering, dass sich alle drei Eizellen einnisten werden.
Da insgesamt alle acht Eizellen von Anna erfolgreich befruchtet werden konnten, werden fünf Vorkernstadien eingefroren. Sie sollen für später folgende Schwangerschaftsversuche genutzt werden. Vorteil der sogenannten Kryobehandlung ist, dass die teure und aufwendige Stimulation der Eierstöcke im folgenden Zyklus nicht nötig ist. Problematisch ist, dass 15 % der befruchteten Eizellen die Kältebehandlung nicht überstehen. „Trotz einer speziellen Frostschutzbehandlung platzen sie“, so Krüssel. Im Innern des Kryobehälters herrschen immerhin -196°C.
Zwei Tage nach der Punktion sind aus den drei nicht eingefrorenen Eizellen im Vorkernstadium zwei Vierzeller und ein Zweizeller geworden. Diese Embryonen werden nun gemeinsam mit etwa 30 Mikrolitern Medium in einen Transferkatheder aufgesaugt und in Annas Gebärmutter injiziert. „Das war im Vergleich zur Punktion ein reiner Spaziergang“, erinnert sie sich. „Nach rund fünf Minuten war alles vorbei.“ Um die Einnistung der Embryonen zu fördern, bekommt Anna Medikamente. Mit ihnen wird der Progesteron-Spiegel optimal eingestellt. Das führt unter anderem dazu, dass die Gebährmutterschleimhaut aufnahmefähig bleibt.
Zwölf Tage nach dem Embryotransfer kommt der Tag der Wahrheit. Morgens fährt Anna in die Klinik zum Bluttest. Finden sich Spuren des humanen Choriongonadotropin, kurz hCG? Das Hormon ist ein zuverlässiger Schwangerschaftsindikator. Die Ergebnisse können am frühen Nachmittag abfragt werden.
Mit zitternden Händen greift Anna um Punkt 14 Uhr zum Telefon. Die Schwester am anderen Ende der Leitung weiß sofort, worum es geht. Ihre Ausführungen beginnen mit „Leider…“. Den Rest bekommt Anna kaum noch mit. Tränen schießen ihr in die Augen. Alles war umsonst. Henning schließt sie in ihre Arme.
Wenige Tage nach der niederschmetternden Nachricht konzentriert sich das Paar auf seinen ersten Kryozyklus. Annas Gebärmutter wird auf den Einzug der bei Raumtemperatur aufgetauten „Eisbärchen“ vorbereitet. Nach dem Transfer beginnt erneut die 14 tägige Warteschleife. Das Ergebnis ist wieder negativ. Auch der folgende, zweite Kryozyklus endet ohne Erfolg.
Henning und Anna entscheiden sich schweren Herzens für eine weitere Punktion. Das Ergebnis stimmt hoffnungsfroh. Diesmal können zwölf Eizellen gewonnen und neun erfolgreich befruchtet werden. Doch am Ende wiederholt sich die Geschichte. Wieder Tränen. Wieder Trauer. Erste Gedanken an ein Leben ohne Kind halten Einzug.
Doch im folgenden Kryozyklus ist plötzlich alles anders. „96,6“ sagt die Arzthelferin am Telefon. „Das ist ein sehr guter hCG-Wert.“ Anna wird blass. Ihr fehlen zunächst die Worte. Dann stottert sie: „Heißt das, ich bin schwanger?“ „Ja“, erwidert die Arzthelferin freudig mitfühlend.
Eine Woche später ist die erste Kontrolluntersuchung. Der positive Befund wird bestätigt, der hCG-Wert ist auf 1525 gestiegen. Auch die Laune von Anna und Henning steigt von Tag zu Tag – bis zum Wochenende. Plötzlich bekommt Anna eine Blutung. Sie greift sofort zum Notfalltelefon des UniKid. Krüssel ist in der Leitung und lässt sich die Probleme schildern. Seine Antwort ist wenig erbaulich. „Wahrscheinlich hat sich der Embryo nicht halten können. Das kommt leider häufig vor.“ Anna weint. „Sicherheitshalber sollten wir aber eine Kontrolluntersuchung machen“, schlägt der Mediziner vor.
Am Montag, dem 4. Februar 2008, ziemlich genau ein Jahr nach dem Beginn der Kinderwunschbehandlung, sitzen Anna und Henning wieder im UniKid. Eigentlich wollen sie sich nur den schlimmen Verdacht bestätigen lassen – um sich dann sowohl vom Kinderwunsch als auch vom UniKid-Team verabschieden zu können. Doch wieder kommt alles anders. Krüssel zeigt grinsend auf den Monitor des Ultraschallgerätes. „Sehen Sie das? Dieser helle Fleck – das ist ihr Kind. Und das, was da so flimmert, das ist das pochende Herz. Alles ist noch genau da, wo es hingehört.“ Die Blutung sei nur eine Folge des dynamischen Prozesses der Einnistung gewesen. „Da kann schon mal ein Äderchen platzen.“ Anna lacht. Henning geht in die Knie. Er weint. Vor Glück. STEFAN ASCHE
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