Smartphone als Ersthelfer 20.12.2024, 07:00 Uhr

Der neue Lebensretter bei Herzstillstand ist eine App

Eine von der Deutschen Herzstiftung geförderte Studie untersucht, ob ein App-basiertes Ersthelfersystem die Überlebenschancen bei einem Herzstillstand verbessern kann.

Notfallmediziner Dr. Jan-Steffen Pooth im Gespräch mit einer Notärztin am Zentrum für Notfall- und Rettungsmedizin des Universitäts-Notfallzentrums, Uniklinikum Freiburg.

Notfallmediziner Jan-Steffen Pooth vom Uniklinikum Freiburg in einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Rettungsdienstes.

Foto: M. Gerlach / Deutsche Herzstiftung

Mehr als 65.000 Menschen sterben in Deutschland jedes Jahr am plötzlichen Herztod. Damit zählt er zu den häufigsten Todesursachen. Tritt im Alltag ein Herz-Kreislauf-Stillstand ein, befindet sich der Mensch in der Regel nicht in einem Krankenhaus. Das hat zur Folge, dass nur rund zehn Prozent der Betroffenen überleben. Hauptgrund dafür ist die Zeit: Im Durchschnitt vergehen neun Minuten vom Notruf bis zum Eintreffen des alarmierten Rettungsdienstes und damit auch dem Beginn der Wiederbelebungsmaßnahmen. Fachleute nennen dies das sogenannte reanimationsfreie Intervall.

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„Grundsätzlich könnten die Überlebenschancen bei Herzstillstand auch außerklinisch viel höher sein“, sagt Thomas Voigtländer, Kardiologe, Ärztlicher Direktor im Agaplesion Bethanien Krankenhaus in Frankfurt und Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. „Allerdings liegt die Laien-Ersthelferquote am Notfallort zu niedrig – sie liegt in Deutschland bei 51 Prozent –, weil sich viele die Wiederbelebung durch Herzdruckmassage nicht zutrauen.“ Ohne schnelle Hilfe führt ein Herzstillstand meist innerhalb von zehn Minuten zum Tod. Das Gehirn erleidet bereits nach fünf Minuten irreparable Schäden durch Sauerstoffmangel.

App als Ersthelfer soll die Überlebensrate verbessern

Nun gibt es die Idee, dieses zeitliche Vakuum durch ein Smartphone-basiertes Ersthelfersystem zu füllen und zu verkürzen. Damit soll es möglich sein, Leben zu retten. Die Deutsche Herzstiftung fördert deshalb ein patientennahes Forschungsprojekt am Zentrum für Notfall- und Rettungsmedizin des Universitätsklinikums Freiburg. Das System alarmiert per App medizinisch geschulte Ersthelfer, die bis zum Eintreffen von Rettungsdienst und Notarzt durch Herzdruckmassage, Beatmung und den Einsatz eines AED (Automatisierter Externer Defibrillator) die Überlebenschancen der Patientin oder des Patienten erhöhen. Jan-Steffen Pooth, Assistenzarzt und Notfallmediziner am Zentrum für Notfall- und Rettungsmedizin des Universitäts-Notfallzentrums (UNZ) des Uniklinikums Freiburg koordiniert die sogenannte „HEROES-Studie“. Sie soll Ergebnisse liefern, inwiefern das Smartphone-basierte Ersthelfersystem die Sterberate bei außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand beeinflussen oder sogar senken kann.

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In Freiburg gibt es bereits ein etabliertes Ersthelfersystem: „Region der Lebensretter“. Der Notfallmediziner Jan-Steffen Poth untersucht mit einem Team rund 3.600 Fälle von außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand bei Erwachsenen, die durch den Rettungsdienst und Notarzt behandelt wurden. Die Studie wird erst einmal in elf Landkreisen Deutschlands stattfinden, darunter Trier, Dresden, Amberg, Göttingen, Stuttgart und der Main-Taunus-Kreis. Die Datenerhebung erfolgt jeweils acht Monate vor und nach Einführung des Systems „Region der Lebensretter“. „Im Vorher-Nachher-Vergleich können wir feststellen, inwieweit die Einführung des Smartphone-basierten Ersthelfersystems die Überlebensrate der reanimierten Patienten verbessert und deren neurologisch intaktes Überleben steigert, indem Folgeschäden im Gehirn vermieden werden“, erläutert Pooth. „Erfahrungsgemäß treffen die per App alarmierten Ersthelfer nach drei bis vier Minuten ein und können noch vor dem Rettungsdienst die lebensrettenden Maßnahmen einleiten.“

App als Ersthelfer alarmiert geschultes Team, das hilft

Laut Pooth lässt sich die Überlebensrate „verdoppeln bis vervierfachen“, wenn innerhalb von fünf Minuten mit der Herzdruckmassage begonnen und bestenfalls auch schon vor Ankunft des Rettungsdienstes der Defibrillator eingesetzt wird. Das Smartphone-basierte Alarmierungssystem „Region der Lebensretter“ gilt als Modellprojekt: Die App ist an die Rettungsleitstelle und ein Netzwerk öffentlich zugänglicher Defibrillatoren (AED) angebunden. Geht bei der integrierten Leitstelle (ILS) ein Notruf ein, wird dabei ein Herz-Kreislauf-Stillstand gemeldet oder vermutet, lässt sich das System parallel zum Rettungsdienst aktivieren. Ein Alarmierungsalgorithmus fragt die Verfügbarkeit von vier registrierten Freiwilligen ab. Diesen Freiwilligen sind spezifische Aufgaben zugeteilt, sodass im Notfall jedes Team-Mitglied weiß, was zu tun ist.

Seit 2021 ist in den internationalen Leitlinien zur Reanimation der Einsatz „smarter“ Technologien als Empfehlung enthalten. Dadurch sollen bei Notrufen mit vermutetem Herz-Kreislauf-Stillstand Ersthelfer in unmittelbarer Nähe des Notfallortes aktiviert werden können. Das System „Region der Lebensretter“, das 2018 in Freiburg etabliert wurde, lässt die Empfehlung Realität werden: Zwei per App alarmierte Helfer werden zum Betroffenen geleitet, um mit der Reanimation zu beginnen, während ein Helfer zum nächstgelegenen öffentlichen AED navigiert wird. Der vierte Helfer empfängt am Notfallort den Rettungsdienst und betreut die Angehörigen. Bisher liegt die Überlebensrate von Patienten mit außerklinischem Herz-Kreislauf-Stillstand bei 10 bis 11 Prozent. Pooth und sein Freiburger Team gehen davon aus, dass sich diese Rate auf 14 bis 15 Prozent steigern lässt. „Das sind tausende Menschenleben jedes Jahr. Das funktioniert aber nur, indem wir mittels Smartphone in Minutenschnelle in Wiederbelebung geschulte Ersthelfer an den Notfallort lotsen.“

Ein Beitrag von:

  • Nina Draese

    Nina Draese hat unter anderem für die dpa gearbeitet, die Presseabteilung von BMW, für die Autozeitung und den MAV-Verlag. Sie ist selbstständige Journalistin und gehört zum Team von Content Qualitäten. Ihre Themen: Automobil, Energie, Klima, KI, Technik, Umwelt.

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