Forschung der Ohio State University 06.07.2018, 06:39 Uhr

Mücken-Spritze soll schmerzfrei in die Haut eindringen

Maschinenbauingenieur entwickelt Mikronadel nach dem Vorbild des Saugrüssels bei Mücken. Seine Lösung: Eine Doppelnadel, die beim Einstechen keine Schmerzen verursacht.

Mücke auf menschlicher Haut

Stechmücken gelten den meisten wohl als unnütze Plagegeister. Aber Forscher aus Ohio konnten ihr nun etwas sehr Erfreuliches abgewinnen.

Foto: panthermedia.net / Steffen Eichner

Mücken gehören zu den gefährlichsten Lebewesen der Welt. Jedes Jahr sollen etwa zwei Millionen Menschen ums Leben kommen, weil einige der Insekten potenziell tödliche Krankheiten wie Malaria oder Denguefieber übertragen. Die Gefahr einer Infektion ist auch deshalb so groß, weil der Stich einer Mücke kaum zu spüren ist. Diese Eigenschaft möchte sich nun das Ingenieurwesen zunutze machen, um ein altbekanntes Problem beim Arztbesuch zu lösen: die Spritzenphobie.

Die Mücke als Vorbild der Medizintechnik

Eine Spritze verursacht bei gewöhnlicher Empfindsamkeit zwar keinen beißenden Schmerz, unangenehm bleibt der Stich aber allemal. Einige Menschen empfinden Spritzen hingegen als so schmerzhaft, bzw. Blutabnehmen als so unangenehm, dass sie sogar Arztbesuche meiden und im Extremfall lebensrettende Maßnahmen verweigern. Da mutet es beinahe surreal an, dass Stechmücken minutenlang Blut saugen können, ohne dass sie vom Wirt bemerkt werden. Dabei setzt die Mücke einen Stechrüssel ein, der einer Injektionsnadel relativ ähnlich ist.

Forscher rund um den Maschinenbauprofessor Bharat Bhushan von der Ohio State University sind davon überzeugt, dass sich der natürliche Aufbau des Stechrüssels auf schmerzlose Mikronadeln für medizinische Behandlungen übertragen lässt. Dabei möchten sie Techniken übernehmen, die sie für die Schmerzlosigkeit beim Einstich der Mücken verantwortlich machen. Der Ansatz ist nicht neu: Schon 2002 versuchten japanische Forscher diese Herausforderung zu meistern, bisher kamen jedoch keine entsprechenden Modelle auf den Markt.

Bionische Grundlage: Was den Mückenstich so schmerzlos macht

Bhushan hat gemeinsam mit seinen Kollegen eine detaillierte Analyse über den Rüssel der Stechmücke erstellt und im „Journal of the Mechanical Behavior of Biomedical Materials“ veröffentlicht. Darin werden vier Eigenschaften vorgestellt, die für die Schmerzfreiheit beim Mückenstich verantwortlich sein sollen:

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  • die Verwendung eines schmerzbetäubenden Proteins, das sich im Speichel der Mücke befindet,
  • ein gezahnter, sägeartiger Aufbau, der den Einstich erleichtert,
  • sanfte Vibrationen während des Einstichs und
  • eine Kombination aus weichen und harten Abschnitten des Rüssels.

„Mücken müssen irgendetwas richtig machen, wenn sie unsere Haut durchbohren und das Blut saugen können, ohne Schmerzen zu verursachen“, sagt Bushan. „Wir können unser Wissen über die Stechmücken nutzen, um auf dieser Basis eine schmerzlose Mikronadel zu entwickeln.“

Die Natur ist der effizienteste Ingenieur

Der Maschinenbauprofessor Bhushan hat sich in der Vergangenheit bereits einen Namen gemacht, weil er sich von der Natur für bessere Produkte inspirieren ließ. Zum Beispiel entwickelte er Hightech-Oberflächen nach Vorbild von Schmetterlingsflügeln sowie Kunstleder und Beschichtungen, bei denen jeweils Pflanzen Modell standen. Wir haben über die ölabweisende und wasserdurchlässige Beschichtung ebenso berichtet wie über die Nanobeschichtung aus Glas, die helfen sollen Plastiktuben für Zahnpasta und Cremes wirklich leer zu bekommen. Angesichts all dieser Erfolge ist es kein Wunder, dass sich Bhushan auch an der Herausforderung Mikronadel versucht. Für die aktuelle Forschung verwendet der Wissenschaftler bereits gewonnene Erkenntnisse von Insektologen über Stechmücken und Methoden aus dem Ingenieurwesen, um herauszufinden, was die Mücke zur schmerzlosen Nadel beitragen könnte.

Die Forscher analysierten zusätzlich die äußere Hülle des Rüssels, das sogenannte Labrum, von weiblichen Individuen der Stechmückenart Aedes vexans. Diese Art ist hierzulande unter anderem als Rheinschnake bekannt und gilt in Nordamerika wie in Deutschland als die am weitesten verbreitete Stechmückenart. Mithilfe der Nanointendierung konnten die Wissenschaftler herausfinden, wie hart und steif die Spitze des Rüssels an insgesamt sieben verschiedenen Punkten ist. Dabei stellten sie fest, dass das Labrum an seiner Spitze und den Rändern am weichsten ist und im zunehmenden Verlauf immer härter und steifer wird. Bhushan betont die Bedeutung dieser Erkenntnisse, denn eine weichere und nachgiebigere Spitze verursacht weniger Schmerzen beim Einstich, weil sie die Haut weniger verformt.

Übertragung des Mücken-Prinzips auf die Mikronadel

Bhushan geht davon aus, dass sich alle vier bisher gefundenen Eigenschaften auf die Entwicklung eines Mikronadel-Designs übertragen ließen. Zurzeit besäßen medizinische Nadeln noch einen sehr einfachen Aufbau. Bhushan und sein Team möchten nun mit einer Innovation auf sich aufmerksam machen. Die geplante Mikronadel soll aus zwei Einzelnadeln bestehen. Die erste gibt einen Wirkstoff ab, der die Einstichstelle betäubt – wie der Speichel einer Mücke. Die zweite Nadel kann entweder dafür genutzt werden, Blut abzunehmen oder einen Stoff zu injizieren. Die Nadel soll die verbliebenen drei Eigenschaften des Moskitorüssels vereinen, um den Schmerz so weit wie möglich zu reduzieren: leichte Vibrationen, ein sägeförmiger Aufbau und eine weiche, nachgiebige Spitze.

Festigkeit der künstlichen Spitze hemmt Marktreife

Obwohl auch andere Forscherteams in den letzten Jahrzehnten an der schmerzlosen Mikronadel geforscht haben, konnte bisher kein marktreifes Produkt entwickelt werden. Eine seltene Ausnahme scheint das Mikronadel-Pflaster zu sein, das für die Grippeimpfung entwickelt und 2017 bereits in einer klinischen Studie getestet wurde. Die größte Herausforderung ist offenbar, dass die künstliche sägeförmige Spitze zu brüchig für die natürliche Belastung ist. Dadurch besteht die Gefahr, dass abgebrochene Teile der Nadel im Körper Schaden anrichten.

Ob Bhushan für dieses Problem bereits eine Lösung ausgetüftelt hat, ist zurzeit nicht bekannt. Jedoch gibt er an, dass neben dem nötigen Wissen auch bereits geeignete Materialien für die Entwicklung seiner geplanten Nadel bereitstünden. Derzeit ist das Team auf der Suche nach Fördermitteln. Sollte der Maschinenbauprofessor mit seiner Idee den Durchbruch erzielen, würde die Mikronadel vermutlich trotzdem nur eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Die schmerzlosen Mikronadeln wären teurer als gängige Nadeln, sodass sie höchstwahrscheinlich nur bei Kindern und Menschen mit Spritzenphobie zum Einsatz kämen.

Ein Beitrag von:

  • ingenieur.de

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