Zukunftswelt 13.04.2012, 11:58 Uhr

„Die Nanomedizin birgt große und neuartige Potenziale“

Im Körper ist fast alles nano. Zellwände, die feinen Blutgefäße, die inneren Strukturen von Knochen und Zähnen messen ungefähr ein Millionstel eines Millimeters. Bakterien und Viren spielen in derselben Liga. Immer mehr begibt sich jetzt auch die Medizin in den Nanobereich, versucht Krankheiten an ihren zellulären Wurzeln zu packen, zu verstehen und zu heilen.

Die Euphorie der Ökonomen ist kaum zu bremsen: Die Nanotechnologie werde im Gesundheitswesen – von der Pharmazie über die Medizintechnik bis zur Diagnostik – die Wertschöpfung von 15 Mrd. Dollar im Jahr 2007 auf 310 Mrd. Dollar im Jahr 2015 ansteigen lassen, so das Marktforschungsinstitut Lux Research. Die Konkurrenten Ernst&Young und Freedonia verbreiten ebenfalls Euphorie, wenn sie der Nanomedizin ein jährliches Wachstum von 20 % vorhersagen.

Geforscht wird schon heute eifrig: Nanoskalige Medikamente sollen effektiver an den genauen Wirkort im Körper gelangen und zugleich stärker wirken. Nano-Transportsysteme sollen Arzneien und Diagnostika ähnlich einem Passagier im Taxi gezielt am Krankheitsherd abliefern. Nano-Diagnostika machen krankes Gewebe in bildgebenden Untersuchungsverfahren besser sichtbar. Kliniklabore schrumpfen zu nanostrukturierten Chips im Kreditkartenformat – tragbar und einfach zu bedienen. Implantate mit nanostrukturierter Oberfläche betten sich verträglicher ins Körpergewebe ein.

„Die Nanomedizin birgt große und neuartige Potenziale“, ist sich die Radiologin Ingrid Hilger vom Universitätsklinikum Jena sicher.

Einsatz der Nanomedizin in der Praxis ist absehbar

Einige Innovationen der Nanomedizin sind besonders weit gediehen; ihr Einsatz in der klinischen Praxis ist absehbar. Dazu zählen die Hyperthermie, bei der Tumoren auf über 40 0C erhitzt werden, und das Magnetic Particle Imaging (MPI), mit dem Herzen und Blutgefäße live gefilmt werden können. Beides sind grundlegend neue Techniken auf Basis der Nanotechnologie.

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„Die Hyperthermie wird zur vierten Säule der Krebstherapie werden – neben der Chirurgie, der Strahlentherapie und der Chemotherapie“, proklamierte jüngst Michael Bamberg, Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft. Er kann sich auf eine wachsende Zahl an Studien berufen: Brustkrebs, Sarkome, auch Hautkrebs, Hirntumore, Darm- und Gebärmutterhalskrebs drängt die gezielte Wärmebehandlung zurück. Viele Geschwüre schrumpften, der Krebs kehrte seltener zurück und die Patienten lebten im Schnitt länger.

Bei der Hyperthermie werden kleine Nanomagnete aus Eisenoxid auf operativem Weg in das Tumorgewebe eingeschwemmt. Mit einem ringförmigen Gerät, dem Magnetfeldapplikator, werden die Magnete in einem Wechselfeld zum Schwingen gebracht. Das Krebsgewebe erwärmt sich auf bis zu 42 0C.

Die Erhitzung macht den Krebs verwundbarer gegenüber den gängigen Waffen der Krebsmedizin. Die Zellwand wird durchlässiger für Chemotherapeutika und Strahlung. Die Reparaturmechanismen der Krebszellen werden ausgebremst.

Die Nanomedizin kann Leben von Tumor-Patienten verlängern

„Die Nanotherapie kann für bestimmte Patienten deutliche Verbesserungen bringen“, zieht Krebsmediziner Peter Wust von der Berliner Charité Bilanz. Patienten, deren Tumor 1 cm bis 2 cm misst und auf gängige Therapien schlecht anspricht, würden von der Wärmebehandlung am ehesten profitieren, erläutert er. In größere Geschwüre lassen sich die Nanomagnete dagegen nicht in ausreichender Dichte einbringen.

Schon im Jahr 2010 testete Wust gemeinsam mit anderen Forschern die Hyperthermie bei 66 Patienten mit einem neuerlich aufgetretenen Glioblastom, einem Tumor im Kopf. In Kombination mit einer Strahlentherapie lebten die Patienten doppelt so lange – 13 statt 6 Monate bei alleiniger Strahlentherapie.

Für Wust ist das ein „beachtlicher Behandlungserfolg der Hyperthermie“, da Glioblastome nach ihrer Rückkehr generell schwer zu therapieren sind.

In einer laufenden Studie behandelt Wust nun auch Patienten mit Prostatakrebs hyperthermisch.

Hyperthermie: Der Durchbruch steht noch aus

Trotz der Erfolge „steht der Durchbruch noch aus“, urteilt er. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten die Hyperthermie bisher nur in Einzelfällen. Die notwendige Technik, der Magnetfeldapplikator, sei bislang erst an zwei Kliniken in Deutschland verfügbar.

Ein anderes Manko der Hyperthermie möchte die Jenenser Radiologin Ingrid Hilger in einem mit knapp 10 Mio. € geförderten EU-Projekt anpacken. „Bisher müssen die Nanoteilchen mit einem Katheter in das Krebsgewebe geschwemmt werden. Das geschieht in einem operativen Eingriff“, erklärt sie. „Wir wollen die Partikel intravenös spritzen und von alleine zum Tumor wandern lassen.“

Kämen die Nanoteilchen mit einem schlichten Pieks in den Körper, würde das die Anwendung der Hyperthermie erheblich erleichtern und dem Patienten Strapazen ersparen. Hilgers Team verschweißt dazu Nanopartikel mit bestimmten Proteinen, die gezielt an Brustkrebs- oder Bauchspeicheldrüsenkrebszellen andocken.

Einmal im Krebsgewebe angekommen, sollen die Partikel gleich zwei Funktionen erfüllen: Als Nano-Kontrastmittel helfen sie, den Tumor auf dem Monitor gut zu erkennen. Abschließend wird das bösartige Gewebe mittels Hyperthermie erhitzt. „Wir wollen Diagnostik und Therapie verknüpfen“, so Hilger. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch niemand zweifelt ernsthaft an der Machbarkeit des Verfahrens.

Ähnlich hohe Erwartungen ruhen auf einem neuen Bildgebungsverfahren, das gleichfalls auf Nanopartikeln basiert: dem Magnetic Particle Imaging. 2005 stellten es Forscher aus der Hamburger Niederlassung von Philips Healthcare erstmals vor. Mediziner staunten über dreidimensionale Filme vom Herzen, Gefäßen und sogar von Tumoren. Das kann kein anderes diagnostisches Verfahren.

Fast täglich kommen Patienten mit Brustschmerzen in die Praxen und Notaufnahmen. Sofort rückt das Herz als Urheber in den Verdacht. Magnetic Particle Imaging könnte diesen weit schneller als bisher ausräumen oder erhärten, so die Hoffnung. Der Arzt würde das Organ sowie die umliegenden Gefäße von außen filmen und eine Herzmuskelschwäche oder verkalkte Gefäße aufspüren. Zuvor würden dem Patienten lediglich magnetische Nanopartikel als Kontrastmittel gespritzt. „Da wird MPI einen Punkt machen“, glaubt Michael Kuhn, Vizepräsident der Technologiestrategie bei Philips Healthcare in Hamburg. Denn zurzeit ist die Diagnose einer Herzmuskelschwäche oder verkalkter Herzgefäße enorm aufwendig und zieht sich oft über viele Monate hin.

Herz-Kreislauferkrankungen sind aber die häufigste Todesursache in westlichen Industrieländern. Alleine in Europa verursachen sie jährlich Kosten von 100 Mrd. €.

Das neue Bildgebungsverfahren funktioniert anders als die verbreitete Magnetresonanztomografie (MRT), obwohl beide Geräte ähnlich aussehen: Röhren, in denen der Patient verschwindet. Doch während im MRT ein statisches Magnetfeld herrscht, wirkt in MPI-Geräten ein magnetisches Wechselfeld. Es lässt die Eisenoxidmagnete im Blut wie Kompassnadeln tanzen. Dieser Tanz wird aufgezeichnet. Da das Kontrastmittel in den Gefäßen und durch das Herz zirkuliert, werden diese indirekt mitgefilmt.

Noch gibt es keine MPI-Geräte für Patienten. Aber in diesem Jahr bringt das Medizintechnikunternehmen Bruker BioSpin ein Instrument mit 12 cm Durchmesser auf den Markt – für die Forschung an Nagetieren. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft greift mit ihrer Großgeräteinitiative vom Herbst 2011 Instituten finanziell unter die Arme, die das neue Verfahren testen wollen.

Unterdessen baut Philips gemeinsam mit Partnern ein Ganzkörper-MPI, das 2013 das schlagende Herz eines Schweins sichtbar machen soll. „Bis sich die ersten Patienten hineinlegen dürfen, werden aber noch einige Jahre vergehen“, stellt Kuhn klar.

Nanomedizin: Nanodiagnostik und -therapie verschmelzen

Denn nicht nur die Apparate müssen gebaut und geprüft werden, sondern es werden auch neue Nanopartikel als Kontrastmittel benötigt. Die Zulassung für die bisher verwendeten magnetischen Eisenoxidpartikel ist in Europa vor Kurzem ausgelaufen. Sie waren allerdings nicht optimal. Nur ein Anteil von 3 % der Teilchen trug zum Bild bei. Die Erfinder wissen nur zu gut: Erst mit effizienteren und gesundheitsverträglichen Nanopartikeln lohnt es, den menschlichen Herzschlag mit Magnetic Particle Imaging zu verfolgen.

Dann aber rechnen Forscher mit einem Schulterschluss von MPI und Hyperthermie. Jene Partikel, die den Tumor anzeigen, können das Geschwür nachträglich aufheizen und helfen, es zu besiegen – Nanodiagnostik und -therapie verschmelzen.

Ein Beitrag von:

  • Susanne Donner

    Susanne Donner ist studierte Chemikerin und schreibt als Wirtschaftsjournalistin über Technik- und Medizinthemen u. a. für die Wirtschaftswoche, GEO, FAZ und ingenieur.de.

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