Eine Spritze, die ganz ohne Nadel auskommt
Spritzen jagen vielen Menschen Angst ein. Vielleicht auch den US-amerikanischen Wissenschaftlern, die einen nadelfreien Injektor präsentierten, der seine Injektionsgeschwindigkeit selbst steuern kann. Für mehr Präzision und weniger Schmerzen.
Die Behandlung einiger chronischer Krankheiten etwa, wie entzündliche Darmerkrankungen, erfordert mehrfache intravenöse oder subkutane Injektionen von Arzneimitteln. Die durch die Injektionen verursachten Schmerzen und die Angst vieler Menschen vor Spritzen führen jedoch dazu, dass die Therapie allzu häufig vorzeitig abgebrochen wird. Das US-amerikanische Start-up Portal Instruments, ein Spin-Off des Massachusetts Institute of Technology (MIT), entwickelte daher ein nadelfreies Injektionsgerät. Es soll die mit den Nadelinjektionen verbundenen Schmerzen und Ängste reduzieren, die Behandlungszeit verkürzen und die Patientenadhärenz, also die Zahl der bis zum Ende durchgeführten Behandlungen, erhöhen.
Präzise dosierte Injektionen durch Druck statt Nadel
Basierend auf Forschungen des Thermodynamikprofessors Ian Hunter und der Wissenschaftlerin Catherine Hogan, hat Portal Instruments ein Jet-Injektionsgerät entwickelt, mit dem ein sehr dünner Strahl ohne Nadel durch die Haut in den Körper injiziert werden kann. Das Injektionsgerät mit Namen Prime ist ungefähr so groß wie ein Elektrorasierer. Die Medikamente werden in ein Einweggefäß gefüllt und mitsamt dem Gefäß in das Gerät eingesetzt. An der Spitze des Gefäßes befindet sich anstelle einer Injektionsnadel eine winzige Düse. Sobald das Gefäß in die Vorrichtung eingesetzt ist, drückt ein leistungsstarker linear-elektromagnetischer Aktuator auf einen Kolben im Einweggefäß, wodurch ein hauchdünner Strahl der Flüssigkeit mit hohem Druck durch die Düse gestoßen wird.
Die Austrittsgeschwindigkeit des Medikaments aus der Düse beträgt etwa 200 Meter pro Sekunde oder ungefähr Mach 0,7. Diese Geschwindigkeit entspricht annähernd der Reisegeschwindigkeit eines Passagierjets. Der intelligente Injektor passt die Injektionsgeschwindigkeit bei der Verabreichung automatisch innerhalb einer halben Millisekunde an. Für die präzise Regulierung sorgt ein geschlossenes Regelungssystem, das am MIT BioInstrumentation Laboratory entwickelt wurde. Dieses System überwacht den Einspritzverlauf und liefert dem Aktuator eine Rückmeldung in Echtzeit, um den austretenden Strahl zu steuern. Dadurch ist es möglich, eine spezifische Hauttiefe und -lage für exakte Arzneimitteldosen zu erreichen. Es existieren zwar bereit ist einiger Zeit andere kommerzielle Strahlinjektionsgeräte, diese bieten aber keine wirksame Methode zur Kontrolle des Injektionsstrahls. Sie nutzen vielmehr Druckfedern und spritzen immer die gleiche Medikamentendosis unabhängig von der Hauttiefe des Patienten aus.
Hohe Nachfrage bei der Anwendung für Biologika
Prime ermöglicht die für Patienten fast schmerzfrei Injektion von Biologika – Therapeutika, die aus biologischen Komponenten wie Proteinen und lebenden Zellen hergestellt werden und derzeit noch durch Nadelinjektionen verabreicht werden. Dazu gehören Hormonbehandlungen, Insulin, Impfstoffe und andere Therapeutika für verschiedene chronische Krankheiten. Diese Medikamente haben ein hohes Molekulargewicht, erfordern hohe Volumina und haben eine hohe Viskosität. Für die Injektion mit Spritze und Nadel müssen Patienten zum Teil für 10 bis 20 Sekunden mit hohem Druck auf den Spritzenkolben drücken, um das Medikament vollständig zu injizieren. Diese Prozedur kann für Patienten mitunter sehr schmerzhaft sein. Die US-amerikanische Food and Drug Administration und das Center for Disease Control schätzen, dass aus diesem Grund nur ca. 40 bis 70 Prozent der Patienten die Therapie mit injizierten Biologika bis zum Ende durchhalten.
Insulin sollte übrigens schon einmal ohne Nadel injizierbar geworden sein: Im Jahr 2015 präsentierten US-amerikansiche Wissenschaftler das Insulinpflaster, das den Blutzuckerspiegel kontrollieren und bei Bedarf Insulin verabreichen sollte.
Therapieüberwachung per App
Der nadellose Injektor lässt sich auch mit einer App verbinden. Darin kann jede Dosis und die Wirkungen des Medikaments verfolgt werden. Außerdem lädt die App alle Informationen für Patienten und Ärzte in eine Cloud. Sie dient dabei nicht nur der Überwachung und Protokollierung der Injektionen. Vielmehr können Patienten auch eingeben, wie sie sich fühlen, nachdem sie das Gerät benutzt haben. Beispielsweise kann ein Patient, wenn er ein Therapeutikum gegen Arthritis nimmt, alle Gelenke, die noch schmerzen, auf einem digitalen Bild des Körpers markieren. Diese Informationen werden mit einem Web-Dashboard synchronisiert, das von Ärzten verwendet wird, um die Einhaltung der Therapie und die Zufriedenheit der Patienten im Auge zu behalten und die Behandlungen falls erforderlich anzupassen.
Erste Kooperation für die Vermarktung des Injektors
Portal Instruments hat gerade einen Vermarktungs- und Kooperationsvertrag mit dem japanischen Pharmakonzern Takeda abgeschlossen, um den intelligenten Prime-Injektor weiterzuentwickeln und zu vermarkten. Das erste potenzielle Medikament für den klinischen Einsatz des Gerätes ist Takedas Entyvio, ein Antikörper für Erwachsene mit den chronisch-entzündlichen Darmerkrankung Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. Entyvio wird derzeit durch intravenöse Infusion verabreicht und befindet sich in klinischen Phase-III-Studien für Injektionen.
Portal Instruments geht allerdings davon aus, in den kommenden Jahren mit weiteren Pharmaunternehmen Kooperationen eingehen zu können und die Vermarktung des Injektors zum Wohle vieler Patienten weltweit vorantreiben zu können.
Ein Beitrag von: